Vorwort Bund aktuell Nr. 11 | 3. November 2022

Liebe Leserin, lieber Leser,

immer wieder muss ich für meine Reisen auch das Flugzeug benutzen, sehr viel weniger als früher, aber manchmal geht es eben nicht anders. Natürlich zahle ich dann auch meine CO2-Kompensation und die Umweltabgabe extra.

Der neue Berliner Flughafen ist nun seit einiger Zeit in Betrieb. Es hat lange gedauert, viel Geld gekostet und für viel Spott und Hohn gesorgt. Er wurde nach Willy Brandt benannt. Der war von 1957 bis 1966 Regierender Bürgermeister von Berlin und von 1969 bis 1974 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. An einer markanten Stelle im Flughafengebäude steht an einer Wand ein Zitat von Willy Brandt. Er hat diesen Satz am 14. Juni 1987 in seiner Abschiedsrede als Parteivorsitzender in Bonn gesagt: „Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden das Wichtigste sei, dann lautet meine Antwort: Freiheit.“

Jedes Mal, wenn ich diesen Text lese, regt er in mir Gedanken an. Frieden oder Freiheit? Sie gehören zusammen, bedingen einander und lassen sich nicht voneinander trennen.

Frieden, das ist ein Wort, das in unseren Tagen noch einmal eine ganz besondere Bedeutung gewonnen hat. Der Krieg in der Ukraine geht in immer neue Phasen über und es ist zu vermuten, dass er noch länger dauern wird. Menschen sind auf der Flucht und es gehört zum Guten in alledem, dass sie auch bei uns Aufnahme finden, in privaten Häusern und Wohnungen, bei alten Freunden und auch in unseren Gemeinden. Dieses Verhalten ist ein Zeichen des Friedens, denn die Menschen sollen hier bei uns zur Ruhe kommen und es eröffnet gleichzeitig eine Freiheit zur Lebensgestaltung, wenn auch unter nicht gewünschten Bedingungen.

In den Seligpreisungen Jesu heißt es: „Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen“ (Matthäus 5,9). Im Umkehrschluss könnte man ja auch sagen, dass die, die sich als Gotteskinder sehen, für Frieden sorgen müssen, in ihrer Umwelt, in ihren Beziehungen, in ihrem eigenen Leben. Es ist eben nicht nur ein Zuspruch, sondern gleichzeitig auch ein Auftrag. Es ist die Hinwendung zum Mitmenschen, den Geflüchteten genauso, wie denen, die anders denken, leben und handeln als man selbst. Es sind die Nachbarn, die Kolleginnen und Kollegen, die eigene Familie und auch die, die eine andere Überzeugung haben als ich selbst. Frieden reicht die Hand, Frieden schafft Raum, Frieden sucht nach Heilung. Kein Krieg auf der Welt hat jemals Frieden geschaffen. Am Ende bleiben Tote, Zerstörung, Hass, Ohnmacht und die Erkenntnis, die sich in dem Satz ausdrückt: „Nie wieder!“ Bis zum nächsten Mal?

„Lass ab vom Bösen und tue Gutes; suche Frieden und jage ihm nach!“ (Psalm 34,15), sagt der Psalmist. Und damit bin ich dann auch bei den Kriegen in unserem Leben, den Auseinandersetzungen und Streitereien, der Rechthaberei und dem Verurteilen von Menschen, die anders sind. Auch diese Kriege führen nicht zum Frieden. Vielmehr grenzen sie ab, machen den eigenen Raum und den der anderen kleiner, schaffen Enge und Angst. Frieden sucht nach Verständigung, nach gegenseitiger Annahme und einem weiten Raum für mich und andere, dass wir leben können, einander ergänzen und füreinander eintreten. Lasst uns Gutes tun, auch und gerade jetzt, wo die Herausforderungen gewaltig und die Lösungen schwierig sind.

Alles das, was dem Frieden dient, im Kleinen wie im Großen, führt letztlich immer zur Freiheit, zu einem großen Gestaltungsraum, in dem wir alle leben können. „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“, heißt es im 2. Korinther 3,17. Ich wage auch hier einmal den Umkehrschluss: Kann es sein, dass das Maß an Freiheit, das mir und anderen gewährt wird und das Maß an Freiheit, das ich anderen gebe, ein Zeichen für die Gegenwart des Geistes Gottes ist?

Das Böse bleibt böse, aber Gutes zu tun, mitten im Bösen, ist auch ein Zeichen der Freiheit. Als vor ein paar Tagen in Berlin die Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine stattfand, mitten im Krieg, habe ich gedacht: Ja, so ist es richtig!

Zeichen der Hoffnung setzen, aufstehen gegen das Böse, Perspektive schaffen, mitten in der Ausweglosigkeit, den Horizont weiten und dem Bösen zeigen, dass es längst besiegt ist in dieser Welt. Das sind die Kinder Gottes, die Friedenstifterinnen und Friedensstifter; das sind die, die der Geist Gottes zur Freiheit treibt, das sind die, die für Politikerinnen und Politiker beten, die gute Gedanken haben und keinen Hass säen, die die Arme weit aufmachen und sagen: „Sei willkommen!“, das sind die, die Lebensraum eröffnen und mehr auf Gott, als auf ihre eigenen Ansichten vertrauen – sie alle verändern diese Welt.

Frieden und Freiheit gehören zusammen. Sie lassen sich nicht trennen: Wer Frieden will, muss Freiheit gewähren und schaffen. Wer die Freiheit liebt und mit Gott über die Mauern springen will (Psalm 18,30), den weiten Raum unter den Füßen spüren möchte (Psalm 31,9), muss den Frieden nachjagen und Gutes tun. „Zur Ehre Gottes und zum Wohle der Menschen!“ (Johann Gerhard Oncken)

Michael Noss
Präsident

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