Flutkunsthaus von @rifka_rah in Dernau

"Das ‚innere Haus‘ der Menschen muss wieder aufgebaut werden“

Pastor für aufsuchende Seelsorge im Ahrtal angestellt

„Diese Flut hat nicht nur die Immobilien erschüttert, sondern auch unsere Seelen“, so die Worte einer Wirtin aus dem Ort Ahrweiler zu Udo Hermann, der vom 12. bis 14. August das Ahrtal besuchte. Bei seinem Aufenthalt konnte sich das Mitglied des Lenkungsausschusses der Fluthilfe und der Geschäftsführung des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) ein Bild von der Situation der Menschen vor Ort machen und den Fluthilfe-Seelsorger Klaus Haubold in seinem Wirkungsfeld erleben.

„Über ein Jahr nach der Flut geht es zwar immer noch um die Wiederherstellung der zerstörten Gebäude, vor allem aber geht es darum, dass ‚das innere Haus‘ der betroffenen Menschen wiederaufgebaut wird.“ Dieses Fazit zieht Udo Hermann nach seinen Gesprächen mit den Menschen in Bad Neuenahr-Ahrweiler, Schuld, Dernau, Altenburg und Altenahr.

„Es war sehr bewegend, sich die Geschichten der Leute von der Flutnacht anzuhören. Viele haben noch die Schreie im Ohr, die sie in jener Nacht gehört haben, ohne helfen zu können“, berichtet er. „Ein Ehepaar erzählte mir, dass der Mann zu Beginn der Überflutung das Haus verließ, um anderen zu helfen. Er kam dann nicht mehr ins Haus zurück und rettete sich zu einer Kirche, die auf einer Anhöhe stand. Von dort aus konnte er sein Haus sehen, bei dem das Wasser immer höher stieg. Da auch das Handynetz zusammengebrochen war, war es ihm nicht möglich, mit seiner Frau Kontakt aufzunehmen. ‚Ich wusste nicht, ob sie noch am Leben war‘, schilderte er die bangen Stunden, die er durchlebte. Die Frau hatte sich ins Obergeschoss gerettet. Weit entfernt von der Küche mit den Messern. ‚Ich hatte solche Angst vor dem Wasser, ich weiß nicht, ob ich mir sonst mit einem Messer das Leben genommen‘, sagte sie mir.“ Ebenso erschütternd für Udo Hermann war die Nachricht, dass sich erst kürzlich zwei junge Ersthelfer das Leben genommen haben. „Ob die Traumata der Flutnacht dafür ursächlich sind weiß niemand. Aber so wird es im Ahrtal erzählt und gedeutet. Was aber fest steht: Die Folgen der traumatischen Erlebnisse sind noch gar nicht abzusehen.“

Sanierung noch nicht begonnen

Café-Bus und Begegnungszelt Altenburg

Verschütteter Rad- und Fußweg

Um der seelischen Not dieser und anderer Menschen zu begegnen, wird Pastor Klaus Haubold am 1. September als Beauftragter für pastorale Seelsorge gemeinsam vom BEFG und von Bund Freier evangelischer Gemeinden (Bund FeG) angestellt. Der Vertrag des gemeinsamen Fluthilfe-Koordinators, Ralf Beyer, läuft noch in diesem Jahr aus. Die Seelsorgetätigkeit im Ahrtal übt Klaus Haubold schon länger aus. Sein Wohnhaus war ebenfalls von den Wassermassen überschwemmt worden. Mit einem vollgelaufenen Keller kam er im Vergleich zu anderen Flutopfern jedoch noch glimpflich davon. „Die grausamen Leidgeschichten, die ich im Laufe der Zeit gehört habe, werde ich wohl nie wieder vergessen“, meint er.

Für die Menschen vor Ort, so sagt er, sei es wichtig, dass sie jemanden zum Reden haben und professionelle Hilfe erfahren. Dabei greift er auf ein Netzwerk von Seelsorgerinnen und Seelsorgern aus beiden freikirchlichen Gemeindebünden zurück. Dieses Netzwerk leistet wertvolle Arbeit für die von den Folgen der Flut Betroffenen – nicht nur im Ahrtal. Der Fluthilfefonds von BEFG und dem Bund FeG unterstützt diese wichtige Hilfe mit Kostenübernahmen, wo sie nötig sind.

Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Hoffnungswerk e.V. sind schon seit den ersten Tagen nach der Flut für die Betroffenen da. Der Verein wurde nach der Flutkatastrophe gegründet, um Menschen in Not zu unterstützen. Nach der praktischen Hilfe am Anfang stehen jetzt Begegnungen und Gespräche im Mittelpunkt des Engagements. Zwei Café-Busse, ein Kids-Bus, ein Begegnungsort in Ahrweiler und bald ein Begegnungsort in Altenahr helfen dabei und auch eine Traumapädagogin ist vor Ort. Das eine oder andere Projekt des Hoffnungswerks wurde schon mit Geldern aus den Fluthilfefonds unterstützt. Nun soll die Stelle von Klaus Haubold mitfinanziert werden, dessen positive Akzeptanz in der Dorfgemeinschaft bei diesem Besuch deutlich wurde. So berichtet Udo Hermann: „Klaus Haubold kennt wirklich jeden. Als wir mit dem Auto fuhren, hielt er zweimal an, um jemanden zu begrüßen. Als wir durch die Straßen liefen, winkte er hier, grüßte dort und kannte alle, die wir trafen, mit Namen. Ganz oft blieben wir auch stehen, er stellte mich vor und ich konnte mich mit den Leuten unterhalten.“ Diese hätten ihn umstandslos in ihre frisch renovierten Häuser eingeladen und offen von dem erzählt, worunter sie immer noch leiden: „Die Menschen im Ahrtal freuen sich über jeden der kommt und dieses wunderbare Stückchen Erde besucht. Es ist für sie eine starke moralische und auch finanzielle Unterstützung in ihrem Bemühen ihre Heimat wiederaufzubauen. Sie freuen sich über ehrliches Interesse und sind nur zu gerne bereit zu erzählen.“

Schuld - Blick auf die Kirche

Wiedereröffnete Weinstube in Ahrweiler

Ersatzbrücke Ahrweiler mit Übergangsquartieren

Zur Arbeit von Leuten wie Klaus Haubold und den Engagierten vom Hoffnungswerk sagen sie anerkennend: „Ihr seid gekommen, Ihr habt geholfen und vor allem: Ihr bleibt“ - Sätze wie diesen hören die Helferinnen und Helfer immer wieder und sind dafür dankbar.

Viel Grund zur Dankbarkeit gab es auch beim Abschluss des Besuches von Udo Hermann. Gemeinsam mit der Baptisten-Kirche Dormagen feierte er ein Jahr nach der Flut den Wiedereinzug in das Gemeindezentrum, dessen Sanierung mit Geldern aus dem BEFG-Fluthilfefonds unterstützt worden war. Gleichzeitig wurde im Gottesdienst auch der langjährige Gemeindepastor Roger Bahr verabschiedet. So stand dieser Tag unter Überschrift „Neubeginn und Aufbruch“. „Da wurde viel Segensreiches und Gutes deutlich und es war wirklich spürbar, dass Gott auch durch Krisenzeiten trägt“, sagte Udo Hermann. „Den Menschen im Ahrtal und in anderen Gegenden, die von der Flut getroffen wurden, wünsche ich von Herzen, dass sie diese Erfahrung auch machen können.“

Ein Artikel von Julia Grundmann