
Deuter der Zeit
Konvent der Ordinierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BEFG
Rund 400 Hauptamtliche, die in Gemeinden des BEFG pastoral oder diakonisch tätig sind, verbrachten vom 14. bis 17. März vier Tage zum Thema „Deuter der Zeit“ zur Fortbildung und Glaubenskonferenz in Willingen im Hochsauerland. Nachdem der Kongress 2021 verschoben werden musste, macht ein klares Hygienekonzept dieses Treffen als reine Präsenzveranstaltung möglich. Ein persönlicher Bericht vom Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Hannover-Walderseestraße, Dr. Michael Rohde.
Der Konvent war ein Mix aus fachlicher Fortbildung, gemeinsam erlebter Spiritualität und kollegialem Wiedersehen. Drei inhaltliche Schwerpunkte bilden meinen Rückblick: „Gemeinsam Bibel schmecken“, „In Krisen sprachfähig sein und mutig handeln“ und „Trotz Krisen hoffnungsvoll glauben“.
Gemeinsam Bibel schmecken
Der Konvent begann mit 60 Kleingruppen, die sich an Tischen trafen und in ihre Mitte die Feldrede Jesu aus dem Lukasevangelium 6,17-35 legten. Nach einer Einleitung durch Jens Stangenberg (Bremen) erspürten die Teilnehmenden „die Resonanz im Wort Gottes“ und in ihrer biografischen Prägung. Über den Bibeltext tauschten sie sich persönlich aus, wie einzelne Stellen das Herz berühren. Abschließend wurde entlang des Bibeltextes und mit den Impulsen gebetet. Dieser gottesdienstliche Start prägte die ganze geistliche Atmosphäre der Tagung: Liturgische Mittags- und Abendgebete, Morgenandachten mit meditativen Wortauslegungen, gemeinsamer Lobpreis, Abendmahlsgemeinschaft und ein Sendungsgottesdienst bildeten das Gerüst des Programms.
Der Frankfurter Neutestamentler und Jesuit Prof. Dr. Ansgar Wucherpfennig sprach über die Bibel als „lebendiges Wort des lebendigen Gottes“, das von Beginn an „übersetzt, gelesen und verstanden werden musste“. Er ermutigte die Teilnehmenden, die Texte als Deuter der Zeit „in die heutige Zeit hinein zu übersetzen und hineinzudenken“. Dabei warnte er davor, als liberale Lesende nichts mehr Anstößiges in den Texten zu entdecken und als fundamentalistisch Lesende nur in der eigenen Auffassung der Gottesferne der Gesellschaft bestätigt werden zu wollen. Wucherpfennig erklärte, wie stattdessen Resonanz Widerhall und Widerspruch bräuchte, und übte mit allen Teilnehmenden eine „Verkostung“ der Schrift ein, indem die Anwesenden Markus 3,1-6 in Form einer persönlichen Schriftbetrachtung nach Ignatius meditierten.
In Krisen sprachfähig sein und mutig handeln
Die beiden Pastoren Thilo Maußer und Matthias Drodofsky bewiesen den Mut, sich mit der Corona-Pandemie öffentlich kritisch und humorvoll auseinanderzusetzen. Der Klimaforscher Prof. Dr. Wolfgang Lucht war via Zoom zugeschaltet und hielt einen beeindruckenden Vortrag zum Stand des Klimawandels. Auf freundliche und zugleich klare Weise verdeutlichte er, dass der von Menschen gemachte Klimawandel das umfangreichste erforschte Feld der Naturwissenschaft ist und wie dringend notwendig eine Verhaltensänderung der Menschen sei, damit aus dem aktuellen Anthropozän kein totales „Verwüstungsanthropozän“ werde. Unter „Anthropozän“ versteht man ein Zeitalter, in dem der Mensch der wichtigste Faktor bei der Entwicklung der Umwelt geworden ist. Professor Lucht entwickelte im Dialog mit den Teilnehmenden auch die ethische Perspektive, dass es nicht darum gehe, ob man die Elefanten und Tiger vor dem Aussterben und die Erde retten „müsse“, sondern ob wir es „wollen“ und dass wir als Menschheit dazu aufgerufen seien, danach konsequent zu handeln. Dabei würde die Reduzierung von Fleischkonsum und von Mobilität auf individueller Ebene einen sofortigen Effekt für die Erreichung des 1,5 Grad-Ziels haben.
In einer Podiumsdiskussion mit dem WDR-Journalisten Arnd Henze und den Publizierenden Liane Bednarz, Hanna Jacobs und Andreas Malessa wurde deutlich, wie Sprachlosigkeit in Krisen lähmt und wie wichtig es ist, dass es Menschen gibt, die angemessene Worte finden. Als Kompass für Äußerungen in der Öffentlichkeit wurde von Andreas Malessa die Frage empfohlen, wer etwas von der eigenen Äußerung hat und ob diese die Früchte des Geistes nach Gal 5,22 fördere. Arnd Henze berichtete, dass er bei Aussprachen sehr darauf achte, dass viele Menschen Raum bekommen, die sich persönlich äußern wollen, auch wenn sie nur stammeln könnten, er aber intolerant gegenüber Menschen auftrete, die Ängste schürten und als radikale Rattenfänger von Emotionen aufträten. Insgesamt warnten die Podiumsgäste davor, zu „versekten“, also sich in einer Art Wagenburgmentalität gegen die Außenwelt abschirmen zu wollen. Stattdessen gelte es, offen und mit vielen Verbündeten in der Gesellschaft auch außerhalb der Kirche gemeinsam für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einzutreten.
Trotz Krisen hoffnungsvoll glauben
Drei Lehrende der Theologischen Hochschule Elstal trugen ein Fazit der Tagung öffentlich vor und setzten dabei unterschiedliche Akzente, die nach meinem Eindruck die Breite und Intensität der Tagung gut widerspiegelten. Prof. Dr. Andrea Klimt sprach die Hauptamtlichen als „Schwellenkundige“ an, die Menschen bei wichtigen Übergängen begleiten. Auf der Schwelle – in einer Krise – führe Existenzbedrohung häufig zu Kontrollstreben, das kreativ, panisch oder kämpferisch ausfallen könne. Am besten sei aber, so Klimt, die Spannung zu halten, denn darin liege die Lebendigkeit des Lebens: Angst und Hilfslosigkeit angesichts einer Krise ernst zu nehmen und auszudrücken und zur Klage einzuladen, und zwar eine Klage als „Protest gegen das Leid, als Kritik und mit Veränderungsversuchen“. Im Blick auf die Zukunft sei besonders die Frage zu stellen: „Was kann ich sehen, wenn ich mit Hoffnung nach vorne sehe?“ Prof. Dr. Carsten Claußen stellte klar, dass die von Menschen verursachten Krisen „keinen Bezug zur Apokalyptik“ hätten, denn die Apokalyptik spreche von dem „erhofften apokalyptischen Eingreifen Gottes“.
In einer leidenschaftlichen Rede sagte Prof. Dr. Ralf Dziewas, dass er seinen Kindern nicht sagen wolle: „Wir haben die Zeichen der Zeit ausgeblendet.“ Er wünsche sich viel mehr, dass wir daran festhalten, dass „Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll“ und dass sein Friedensreich kommt und unseren Enkel einmal gesagt werden kann: „Krieg. Das ist ein großer Fehler, den Menschen immer machen, wenn sie dachten, dass sie besser als andere sind“, aber jetzt die Menschen friedlich zusammenleben. Dabei appellierte er daran, die Klimakrise als die Hauptkrise wahrzunehmen und zu ökologisch ehrlichen Energie- und Benzinpreisen und Fleischverzicht zu stehen und auch als Gemeindebund klimaneutral zu werden.
In seiner abschließenden Predigt unterstrich Prof. Dr. Uwe Swarat mit Psalm 46,5f., dass im „Dennoch“ des Glaubens eine Widerstandskraft und in der Gemeinde ein tiefer Grund zur Lebensfreude liegt, denn dort sei Gott gegenwärtig.
Auf dem Konvent wurden erstmals Anja Bär und erneut Volker Schmidt und Dr. Matthias Walter als Vorsitzende des Vertrauensrats gewählt. Heimke Hitzblech ist zukünftig Mitglied im Vertrauensrat als Vertreterin der Pastorinnen.
Ein Artikel von Dr. Michael Rohde, Hannover