„Ein gemeinsames Zeugnis für Jesus Christus“

50 Jahre Kalender „Wort für Heute“

Vor 50 Jahren taten sich drei Freikirchen zusammen und gründeten den Kalender „Wort für Heute“. Ein halbes Jahrhundert später ziehen die Kirchenverantwortlichen Zwischenbilanz: Generalsekretär Christoph Stiba (Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden), Präses Ansgar Hörsting (Bund Freier evangelischer Gemeinden) sowie Bischof Harald Rückert (Evangelisch-methodistische Kirche).

Herr Stiba, was sind ihre ersten Erinnerungen an „Wort für Heute“?

Christoph Stiba: Ich bin in einem baptistischen Elternhaus aufgewachsen und erinnere mich noch gut daran, dass meine Großmutter den Abreißkalender an der Wand hängen hatte und die täglichen Andachten gelesen hat. Für mich war damals aber eher die Kinderbibel von Bedeutung.

Herr Hörsting, die frühkindliche Begegnung mit „Wort für Heute“ hatten Sie vermutlich nicht.

Ansgar Hörsting: Das stimmt. Ich bin in einem katholischen Elternhaus groß geworden. Da hatten wir keinen Abreißkalender, aber tatsächlich auch eine Kinderbibel.

Herr Rückert, Sie waren 13 Jahre alt, als „Wort für Heute“ gegründet wurde. Was schätzen Sie bis heute an daran?

Harald Rückert: Der Andachtskalender ist eine gute Anleitung für die regelmäßige Beschäftigung mit der Bibel. Nicht jeder hat die persönliche Disziplin, fortlaufend in der Bibel zu lesen. Der äußere Anreiz, vielleicht auch die mahnende Erinnerung, ist da durchaus eine Hilfe. Wenn es so etwas nicht gäbe, müsste es umgehend erfunden werden.

Tatsächlich ist es für Familien heute gar nicht so leicht einen gemeinsamen Termin dafür zu finden.

Stiba: Das stimmt, deswegen lesen wir als Familie nicht regelmäßig in einem Andachtsbuch. Jedenfalls nicht gemeinsam. Das passt nicht so recht in den alltäglichen Rhythmus von Schule und Arbeit. Solche Andachtszeiten gestaltet jeder selber.

Umso bedeutsamer sind diese gemeinsamen Zeiten zum Beispiel an gemeinsamen freien Tagen oder im Urlaub. Da nutzen wir dann tatsächlich „Wort für Heute“ und erleben die Andachten als gute Impulse. Mit einem Wort Gottes, geistlichen Gedanken und Gebet gemeinsam in den Tag zu starten, ist dann für mich sehr wertvoll.

Was ist denn für Sie das Besondere an „Wort für Heute“?

Rückert:  Bei „Wort für Heute“ finde ich es besonders gut gelungen, wie sich theologischer Tiefgang mit Alltagserfahrung paart. Die kurzen Auslegungen gründen in der Bibel, schlagen den Bogen zum Alltag und vermitteln konkrete Impulse und Denkanstöße.

Stiba: Das Besondere? Wohl die Kombination von Autorinnen und Autoren aus drei unterschiedlichen Freikirchen, die ihre Andachten alle ehrenamtlich schreiben. Das macht die Verbundenheit deutlich und es zeigt, dass wir geistlich in eine Richtung gehen. Das finde ich ermutigend.

Welche Form bevorzugen Sie persönlich, den Abreißkalender oder das Buch?

Hörsting: Das Buch mag ich lieber. Dann fliegen nicht immer so viele Zettel in der Gegend herum. Außerdem: Will man einen Kalender an der Wand haben, dessen Datum stimmt, kann man die Texte nur umständlich lesen oder erst am Folgetag.

Gab es unter den ungefähr 18.000 Texten, die bisher verfasst wurden, einen der Ihnen noch besonders in Erinnerung ist?

Hörsting: Tatsächlich habe ich mir schon oft Andachten aufgehoben und in die Bibel gelegt. Leider habe ich jetzt keine dabei, die ich vorzeigen könnte.

Stiba: Ja, ich habe tatsächlich einen besonderen Tag: den 28. März 2020. Ich finde, dass das eine wunderbar passende Zeitansage war, als vor einem Jahr angesichts der Corona-Pandemie selbsternannte Endzeitpropheten auftraten. Zu dem Bibelwort „Den Tag oder die Stunde, wann das Ende da ist, kennt niemand. Nur der Vater kennt sie.“ Markus Kapitel 13, Vers 32. Lohnt sich, nachzulesen!

Rückert: Ich nehme aus Andachten gerne eine besondere Formulierung auf, die mich anspricht und die ich dann eine Weile erinnere und in mein Leben einzufügen versuche. Jüngstens war das: „Wer auf Härte mit Sanftmut reagiert, wird Wunder erleben.“ Das buchstabiere ich dann in konkreten Situationen.

Sie sind ja nicht nur Leser, sondern alle auch Autoren des Kalenders

Hörsting: Und das sehr gerne. Ich staune über die Wirkung. Manchmal habe ich dankbare Post bekommen von Menschen, die eine Andacht von mir gelesen haben, die ich – weil die Produktionsprozesse so lange sind – vor über einem Jahr geschrieben habe. Es berührt mich zu sehen, wenn eine Andacht im Leben von Menschen zur Umkehr oder zu einer Ermutigung geführt hat. Für solche Momente habe ich mich immer gerne beteiligt und Texte geschrieben.

Stiba: Das kann ich bestätigen. Nicht immer, aber immer mal wieder gibt es eine Rückmeldung zu einer Andacht. Meistens dankbare Stimmen, an eine kritische Rückmeldung kann ich mich jedenfalls nicht erinnern. Das mag aber auch an meiner selektiven Wahrnehmung liegen und soll jetzt keine Aufforderung sein…

Zum Schluss noch ein wenig über den gemeinsamen Freikirchen-Kalender hinausgedacht. Wenn Sie das Verhältnis der drei Freikirchen zueinander heute mit dem vor 50 Jahren vergleichen – was hat sich verändert?

Hörsting: Das kann ich nicht genau überblicken. Aber wenn ich es richtig beurteile, haben die Leitungspersonen damals wie heute eine gute Beziehung gepflegt. Sie leben den respektvollen und geschwisterlichen Austausch. Das ist wichtig. In den Gemeinden wächst eine Generation heran, die immer weniger Wert auf das je Eigene unserer Gemeindeverbände legt. Man kann das begrüßen als Ergebnis des zwischenkirchlichen Miteinanders. Oder auch kritisch sehen als Desinteresse an theologischen Inhalten.

Stiba: Ich kann es wie Ansgar Hörsting auch nicht vergleichen, aber für heute würde ich es auch auf alle Fälle als gut beschreiben. Auf Ebene der Kirchenleitungen gibt es freundschaftliche Beziehungen, nicht zuletzt auch durch das Miteinander in der Vereinigung Evangelischer Freikirchen, der VEF. Und auf der Ebene der Gemeinden gibt es viel Zusammenarbeit vor Ort. Das finde ich wichtig, gerade weil die konfessionelle Bindung für die junge Generation weniger Bedeutung hat. Wir müssen doch als Christen zusammenstehen, „damit die Welt glaubt“, wie es im Johannes-Evangelium steht. Dazu trägt so gesehen dann auch „Wort für heute“ bei.

Gibt es heute vielleicht einen anderen Schritt hin zu mehr Gemeinsamkeit als damals Anfang der 70er?

Rückert: Vor fünfzig Jahren war es nötig, etliche theologische und gemeindepraktische Fragen mit Vorsicht auszutarieren. Beispielsweise die Vereinbarung, den Begriff „Kirche“ nicht zu verwenden und wegen unterschiedlicher Taufverständnisse nicht über die Taufe zu schreiben. Das ist heute, so habe ich den Eindruck, nicht mehr nötig. Darin zeigt sich die Annäherung unserer drei Freikirchen, wofür ich sehr dankbar bin.

Und was sagt der Blick in die Gegenwart?

Rückert: Heute sehe ich die nächste Herausforderung für uns darin, noch viel stärker ein gemeinsames Zeugnis für Jesus Christus abzulegen als die Unterschiede hervorzuheben. Die entkirchlichte Welt um uns herum kann mit der Betonung spitzfindiger Unterschiede nichts anfangen. Zum glaubhaften Zeugnis gehört auch, gemeinsam für wichtige Themen einzustehen und freundschaftlich füreinander einzutreten. Wenn Menschen nach Gemeinden suchen, wäre eine schöne Geste, selbstlos die Stärken jeweils anderer Gemeinden oder Kirchen hervorzuheben. Ich glaube, dass solch respektvoller Umgang anerkennend wahrgenommen wird.

Das Interview führte Martin Gundlach, Redaktionsleiter im Bundes-Verlag.

Erschienen in DIE GEMEINDE Ausgabe 20 | 3. Oktober 2021.

Ein Artikel von Martin Gundlach, Redaktionsleiter im Bundes-Verlag