Foto: EFG Hersbruck

Frömmigkeitsformen in der Brüderbewegung

Alexander Rockstroh berichtet, was für ihn besonders wertvoll ist

Ursprünglich stammt Alexander Rockstroh aus der Landeskirche. Heute ist er Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Brüdergemeinden „ChristusForum Deutschland“. Welche Ausdrucksformen der Frömmigkeit er innerhalb der Brüderbewegung besonders schätzt, beschreibt er in diesem Beitrag zur Artikelserie „INSPIRIERT LEBEN“.

Es ist Herausforderung und Freude zugleich, für jemanden, der seine geistlichen Wurzeln nicht in der Brüdergeschichte hat und der nicht in diesem Kontext groß geworden ist, über die typischen Ausdrucksformen der Frömmigkeit dieser Bewegung zu schreiben.

Meine ersten Begegnungen mit Menschen aus der Brüderbewegung waren bezeichnend und irritierend zugleich. Da haben sich mir Geschwister vorgestellt und bekannt „Ich gehe in eine Brüdergemeinde, aber unsere Gemeinde ist eigentlich gar keine typische Brüdergemeinde!“ Und dieses Zugehörigkeitsbekenntnis oder auch Nichtbekenntnis begegnet mir gelegentlich heute noch. Es zeigt sehr schön den Spannungsbogen zwischen dem Selbstbewusstsein der Bewegung einerseits, dass man sich der Werte bewusst ist, und andererseits offenbart es fast eine schamhafte Zurückhaltung und innere Scheu, die eigene Gemeindezugehörigkeit und ihre Stärken ins Gespräch zu bringen.

Heute darf ich Teil dieser Bewegung sein, mitgestalten und in der Tat genießen, weil ich so viel Wertvolles im Vergangenen und im Gegenwärtigen der Brüderbewegung sehe. Wir haben an vielen Stellen „Pfunde“, mit denen wir wuchern können und welche wir nicht zu verstecken brauchen. Wenn unsere Stärken jedoch in einen geistlichen Hochmut münden, wenn wir meinen, unsere Besonderheiten wären Grund genug, uns zu einer geistlichen Elite zu erheben – dann spüren andere meist vor uns, dass eine Stärke und eine von Gott gegebene Berufung kippt und die einstige Kraft und Stärke zur Schwäche wird.

So bleibt es nicht aus, dass wir von „Pfunden und Wunden“ sprechen können. Jenseits solcher Zerreißproben kann festgestellt werden, dass die Brüderbewegung in Vergangenheit und Gegenwart von erheblicher Bedeutung für die geistliche Situation in vielen Ländern der Welt war und ist. Von praktisch allen renommierten Konfessionskundlern wird uns ein erheblicher Einfluss auf die gesamte evangelikale Christenheit zugestanden. Das sollten wir mit Demut und einem bußfertigen Herzen wahrnehmen, wo wir uns gegenüber anderen Christen manchmal abgegrenzt und für etwas Besseres gehalten haben. Das sollten wir aber auch mit Freude in Anspruch nehmen, um unsere Beauftragung in dieser Welt und im Leib Christi fröhlich und glaubensstark zu leben. In den nachfolgend beschriebenen Stärken und Ausdrucksformen unserer Frömmigkeit steckt viel „Erweckliches“ und Erweckung darf immer bei mir und bei uns beginnen. Uns über diese anvertrauten Pfunde zu freuen und mit ihnen zu wuchern im erbaulichen Miteinander des Leibes Christi, das ist mehr als ein frommer Wunsch, das ist Vision und Auftrag zugleich.

Welche Ausdrucksformen der Frömmigkeit sind typisch in der Brüderbewegung? Vier Punkte, die in der Geschichte immer wieder herausgestellt und benannt sind, die ich auch persönlich sehr genieße und die meinen Alltag wertvoll machen:

1. Das allgemeine Priestertum

Als jemand der aus landeskirchlichen Strukturen kommt, liebe ich diesen stark angewandten Aspekt des Priestertums aller Gläubigen. Das neutestamentliche Prinzip der „Bruderschaft“ und der Mitarbeit aller Gemeindeglieder am Gemeindeleben wird hochgehalten. Auch wenn ich auf einige unterschwellige Hierarchien vor Ort stoße, so bleibt doch das Prinzip: in Brüdergemeinden gibt es keine kirchlichen Rangstellungen. „Einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder!“ Dieses Prinzip ganz praktisch ausgelebt, bewahrt den Einzelnen vor Überforderung und Diensten, die nicht gabenorientiert sind. Brüdergemeinden haben wenig Konsumenten oder Alleinunterhalter. Dennoch glaube ich, dass es bei allem geschwisterlichen Miteinander auch eine gute und biblisch orientierte Form von dienender Leiterschaft braucht. Es ist zudem ein verantwortliches Miteinander von Männern und Frauen, von Älteren und Jüngeren.

2. Die Gemeinschaft am Tisch des HERRN

Die Wurzel und Identität der Brüderbewegung lag von Anfang an in ihrer Sicht vom „Tisch des HERRN“. Die sonntägliche Abendmahlsfeier mit ihrer Konzentration auf Christus und seinem stellvertretenden Tod am Kreuz ist ein Juwel, das bis heute nicht nur anziehend wirkt, sondern beim Brotbrechen begegne ich dem gekreuzigten und auferstandenen HERRN in besonderer Weise. Jesus selbst spricht in die Zukunft hinein, dass dies zur Erinnerung aber auch zur Verkündigung dessen geschieht, was ER am Kreuz für uns getan hat. Wenn Christus uns verheißt, dass wir beim Abendmahl etwas verkünden, nämlich seine Auferstehung, dann darf das Abendmahl fröhlich sein und muss nicht zwangsläufig hinter verschlossenen Türen im kleinen Kreis stattfinden. So erlebe ich die regelmäßige Gemeinschaft mit den Geschwistern am Tisch des HERRN als Kräftigung und Stärkung!

3. Liebe zur Heiligen Schrift

Die Brüderbewegung war und ist immer eine Bibelbewegung. Und das ist gut so! Die Heilige Schrift wird als inspiriertes und unfehlbares Wort Gottes anerkannt. Christen aus der Brüderbewegung kennen in der Regel ihre Bibel. Um sie grundtextgenau lesen und auslegen zu können, entstand bereits ab 1854 eine eigene, sehr wortgetreue Übersetzung, die Elberfelder Bibel. Die Segensgeschichte dieser Bibelübersetzung ist kaum zu unterschätzen. Wenn ich mit meinen Geschwistern zusammen Bibel lese und Wort Gottes auslege, dann berührt mich die innere Haltung, dass wir dies in der gemeinsamen Sicht tun: „Jetzt spricht Gott zu uns! Das ist Gottes unfehlbares Wort!“ Ich brauche nicht in erste Linie zu deuten und zu interpretieren und Methoden anzuwenden, sondern ich darf lesen und hören, was ER mir zu sagen hat.

Ich mache Mut, mit diesen Pfunden zu wuchern und sie fröhlich und glaubensstark ins Reich Gottes einzubringen. Es macht mir Mut, dass wir durch Gottes Geist auch immer wieder auf die verbindenden Aspekte der einzelnen Glieder am Leib Christi hingewiesen werden und dass wir mehr und mehr aus dem Rückzug und der Absonderung heraustreten. Ich habe Mut, Erneuerungen und Veränderungen zuzulassen, ohne Werte aufzugeben.

Alexander Rockstroh ist Theologe und Betriebswirt. Er leitet als Geschäftsführer die Arbeitsgemeinschaft der Brüdergemeinden „ChristusForum Deutschland“ im BEFG. Zusammen mit seiner Frau Katrin und den beiden Söhnen wohnt er in Neunkirchen am Sand in Bayern.

Ein Artikel von Alexander Rockstroh