„Gemeinde als Herberge“
Möglichkeiten und Grenzen der Begleitung von Menschen
Am 14. September fand der regionale Diakonietag „Gemeinde als Herberge? – Möglichkeiten und Grenzen der Begleitung von Menschen mit seelischen Belastungen“ in Weltersbach statt. Er wurde verantwortet von der Diakonie im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden und im Bund Freier evangelischer Gemeinden. Pastor Ulrich Kühn und Diakonin Gabriele Löding hatten die Leitung des Tages inne.
Der familiäre Charakter freikirchlicher Gemeinden lädt Menschen ein, die sich nach Gemeinschaft sehnen. Dazu gehören auch Menschen mit seelischen Belastungen. Einige von ihnen haben eine ernstzunehmende psychische Erkrankung. Von den Betroffenen oder Angehörigen wird das oft nicht wahrgenommen. Auch in den Gemeinden können psychisch Erkrankte die Erfahrung machen, dass nicht angemessen mit ihnen umgegangen wird. Ein Verständnis ihrer Krankheit und ein bedachter Umgang sind hilfreich, betonte Dr. Martin Grabe, Ärztlicher Direktor der Klinik Hohe Mark, beim regionalen Diakonietag: „Gemeinde als Herberge? – Möglichkeiten und Grenzen der Begleitung von Menschen mit seelischen Belastungen“.
„Wir brauchen das Gebet, die Begleitenden und die Betroffenen, und es ist gut, dass wir mit einer übermenschlichen Kraft rechnen können. Doch Hilfe und Heilung geschieht auch durch das gute Netzwerk von therapeutischen Möglichkeiten“, erläuterte Dr. Grabe vor 120 Teilnehmenden im Diakoniewerk Pilgerheim. Er führte aus, dass psychische Störungen oft Überlebensstrategien sind, die in Krisen- und Stresssituationen ausgebildet werden, und gab einen Überblick über die Krankheiten und ihre Symptome. Dazu zählen zum Beispiel Depressionen, die Manie und die bipolare Störung sowie Angst- und Zwangsstörungen. Bei diesen Erkrankungen geht es in der Therapie darum, sich den dahinterliegenden Problemen zu stellen. In manchen Fällen ist eine unterstützende medikamentöse Therapie notwendig.
In den Gemeinden treffen wir auf Menschen, die im Laufe des Lebens auch bestimmte krankhafte Einstellungen und Verhalten verfestigt haben: die Opferrolle, dieRolle der Hilfsbedürftigen, der Außenseiter, der Regelbedürftigen, der Zukurzgekommenen. Diese Menschen kommen schwer aus ihrer Rolle raus und können ihr Verhalten nur sehr schwer verändern. Dr. Grabe wies darauf hin, dass solche Menschen oft zu lange seelsorgerlich begleitet werden und in dieser Zeit sich die Krankheit manifestiert, ohne dass durch eine entsprechende Therapie geholfen werden konnte. Eine Begleitung seitens der Gemeinde während der Therapie besteht oft im Aushalten und Mittragen des Leidens. Im Kontakt mit den Betroffenen gilt es, auf die eigenen Grenzen der Einfühlung zu achten, zum Beispiel bezüglich der Redezeit und der Begegnungszeiten. Auch besteht die Gefahr einer Co-Abhängigkeit, wenn die Betreffenden in ihrem Verhalten nur oder zu sehr bestätigt werden. Dazu gehört es, zu verdeutlichen, welches Verhalten eine positive Entwicklung fördert und welches Verhalten diese verhindert.
In den Seminarangeboten am Nachmittag wurden einige Themen in Kleingruppen vertieft und weitere Themen aufgenommen, wie beispielsweise „Kinder von Eltern mit psychischen Störungen“, „Nähe und Distanz in der Seelsorge“ und die „Begegnung mit traumatisierte Menschen“. Die Informationen über die unterschiedlichen Krankheitsbilder sowie die Verhaltensstile psychisch belasteter Menschen wurden aufmerksam aufgenommen und sehr geschätzt. Eine Teilnehmerin meinte: „Für mich war es sehr hilfreich, Krankheitssymptome kennenzulernen und zu erfahren, wie ich in guter Weise begleiten kann.“ Ein Teilnehmer fasste das Erfahrene so zusammen: „Für mich entscheidend war das Stichwort: Annahme.“ Dieser Tag war ein wichtiger Impuls in die Gemeinden hinein, psychisch Erkrankte kompetent zu begleiten und für Hinweise auf Therapien und Hilfsangebote zu sensibilisieren.
Ein Artikel von Gabriele Löding