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Gottes Wort – die Bibel

Lesen, hören und sich dabei vom Geist Gottes an- und durchpusten lassen

Die Rechenschaft vom Glauben (RvG) stellt den Abschnitt „Gottes Wort – die Bibel“ an das Ende des ersten großen Hauptteiles und betont: Das lebendige Wort Gottes, das ist nicht nur die Bibel, sondern vor allem Jesus Christus selbst.

Zu Beginn des ersten Hauptteils der RvG geht es um „Gottes Offenbarung in Jesus Christus“, am Ende um das lebendige Wort Gottes. Wie jedoch die zahlreichen Verweise auf Bibelstellen am Seitenrand belegen, geht es von Anfang an und bis zur letzten Zeile der RvG um Aussagen, die von der Bibel her gedacht und formuliert werden, die im biblischen Text ihre Grundlage haben. Damit wird durchgängig der enge und unauflösbare Zusammenhang von Heiliger Schrift und Bekenntnis gewahrt, auch in den vier kurzen Absätzen zum Wort Gottes. Wer in diesem letzten Abschnitt jedoch eine unmittelbare Gleichsetzung von Wort Gottes und Bibel erwartet, der oder die wird zunächst überrascht sein. Denn auch dieser letzte Unterabschnitt setzt mit Jesus Christus ein: „Jesus Christus ist Gottes Wort in Person an uns Menschen.“ Wie ist das gemeint?

Jesus Christus als Gottes Wort

Deutlich zeigen sich hier theologische Überzeugungen, die der Schweizer Theologe Karl Barth (1886–1968) formuliert hat. Er spricht von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes. Das Wort Gottes ist erstens: Jesus Christus (vgl. Joh 1,1ff.); zweitens: die Bibel des Alten und Neuen Testaments und drittens: die Verkündigung (vgl. 2 Tim 3,16f.). Von diesen dreien ist nur Jesus Christus die unmittelbare Offenbarung Gottes. Die Heilige Schrift und die christliche Verkündigung, wie sie zum Beispiel in der Predigt geschieht, beziehen sich auf ihn. Die RvG betont, dass Gott sich in Jesus Christus „umfassend und vollgültig offenbart“ hat. Das heißt streng genommen: Wir Menschen müssen für unser Heil nicht mehr wissen und glauben, als Gott uns durch Jesus Christus offenbart hat. Die Reformatoren haben dies mit dem lateinischen Begriff solus Christus = allein Christus auf den Punkt gebracht. Doch woher wissen wir genug über Christus?

Das Neue Testament als grundlegendes Zeugnis

Der zweite Unterabschnitt widmet sich den Schriften des Neuen Testaments. Die ersten Zeugen des Lebens und Wirkens Jesu Christi, jene Jünger und Jüngerinnen, die auch die Kreuzigung erlebt haben und die dem Auferstandenen begegnet sind, haben davon weitererzählt. „Unter der Leitung des Heiligen Geistes“ haben Christen und Christinnen der ersten frühchristlichen Generationen später aufgeschrieben, was sie gehört und gesehen haben. Ihnen und dem Wirken des Geistes Gottes verdanken wir das Neue Testament, das „durch keine nachfolgende christliche Verkündigung und Lehre ergänzt und überboten werden kann“. Die Reformation prägte dafür den Begriff sola scriptura = allein die Schrift. Doch was ist dann mit dem Alten Testament?

Christus und das Alte Testament

Die RvG sieht das Alte Testament vor allem als Zeugnis über „Gottes Geschichte mit seinem Volk Israel und Gottes Willen für alle Menschen“. Der Weg zum Verständnis des Alten Testaments führt dabei über das Christuszeugnis des Neuen Testaments. Zugespitzt endet der Abschnitt mit einer christologischen Zentrierung der ganzen Bibel: „Das Evangelium vom gekreuzigten, auferstandenen und kommenden Herrn Jesus Christus ist die Mitte des Neuen Testaments und damit der ganzen Heiligen Schrift.“ Ganz entsprechend lesen und verstehen auch die neutestamentlichen Autoren das Alte Testament von Christus her und auf ihn hin. Im Lichte der 2019 vorgenommenen Änderungen des vorangehenden Abschnittes „Das Volk Israel und die Gemeinde Jesu Christi“ würde ein Hinweis auf die Verbindung von Christentum und Judentum durch die hebräischen Texte des Alten Testaments der RvG jedoch sicher guttun. Auch wenn Christen und Juden viele Texte des Alten Testaments unterschiedlich auslegen, so sind sie durch den Glauben an den einen Gott und etwa durch die Schöpfungserzählungen oder die Zehn Gebote miteinander verbunden. Damit ist bereits die dritte Perspektive des Wortes Gottes berührt: die Verkündigung durch Menschen.

Gottes Wort in Menschenmund

Die neutestamentlichen Texte sind von konkreten Menschen in der Zeit von der Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. bis etwa zur Mitte des zweiten Jahrhunderts niedergeschrieben worden. Die ältesten Texte, die Paulusbriefe, entstanden wohl in den fünfziger Jahren und wurden auf Griechisch verfasst. Für die Evangelien, verfasst wohl ab der Zeit um 70 n. Chr., wurden die von Jesus ursprünglich in seiner aramäischen Muttersprache erzählten Sprüche und Geschichten ins Griechische übersetzt. So hatten die biblischen Texte von Anfang an mit der Kunst des Übersetzens zu tun. Übersetzungen erfolgten jedoch nicht nur in immer weitere Sprachen, sondern bis in die Gegenwart hinein in viele Kulturen und neue Denkhorizonte. Damit jedoch der ursprüngliche Sinn der Texte deutlich bleibt, bedarf es der sprachlich präzisen Übersetzung und der geschichtlichen Erforschung der Bibeltexte. Doch damit ist es weder für die ursprünglichen Übersetzer von aramäischen Jesusworten noch für heutige historisch kundige Menschen getan. Am Rande des Textes der RvG findet sich ein Hinweis auf 2. Timotheus 3,16. Hier steht, dass die Heilige Schrift theopneustos ist. Dieses griechische Wort findet sich im ganzen Neuen Testament nur an dieser Stelle. Es heißt wörtlich soviel wie „von Gott durchgeistet“ oder „vom göttlichen Geist durchweht.“ Gemeint ist, dass ein und derselbe Geist Gottes, damals wie heute, durch die biblischen Worte hindurchweht. Dieses lebendige Geisteswehen führt dazu, dass Menschen immer wieder neu erfahren, womit der Abschnitt in der RvG endet: „Die Bibel lebt, denn Gott redet durch sie.“

Einladung zum Weiterdenken

1. Gibt es einen Vers oder einen Bibeltext, durch den Gottes Geist dir besonders entgegenweht?

2. Hast du eine Bibelübersetzung, die dir durch ihre Sprache besonders nahe ist?

3. Manchmal helfen auch fremdsprachige Übersetzungen dem Verständnis der Bibeltexte. Hast du schon einmal eine englische, französische o.a. Bibel ausprobiert?

4. Vielleicht magst du einmal allein oder mit anderen zusammen die Bibelverse am Rand dieses Abschnittes in der RvG durchgehen. Welche Inhalte und Themen berühren sich hier?

Erschienen in: Die Gemeinde 10/2022, S. 14-15.

Ein Artikel von Prof. Dr. Carsten Claußen, Professor für Neues Testament an der Theologischen Hochschule Elstal