Kirchensaal Herrnhut

Foto: René Pech auf whc.unesco.org

Herrnhut wird UNESCO-Weltkulturerbe

Erste Betsäle deutscher Baptisten nach Herrnhuter Vorbild gestaltet

Seit dem 26. Juli 2024 sind Herrnhut und die herrnhutischen Siedlungen Bethlehem (Pennsylvania, USA), Christiansfeld (Dänemark) und Gracehill (Nordirland) UNESCO-Weltkulturerbe.

In Herrnhut wurde 1722 von dem Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf die Evangelische Brüder-Unität gegründet, die als die erste moderne Freikirche in Deutschland gelten kann. Die Herrnhuter „Erneuerte“ Brüder-Unität steht in der Tradition der 1457/67 in Böhmen entstandenen „Alten“ Brüderunität. Viele Nachfahren der Böhmischen Brüder schlossen sich im 18. Jahrhundert den Herrnhutern an. Die Herrnhuter Brüder waren Pioniere der evangelischen Weltmission und sind heute in vielen Ländern als „Moravian Church“ vertreten. Die UNESCO würdigt mit der Auszeichnung die Tatsache, dass die Herrnhuter mit ihren Siedlungen und Kirchenbauten einen charakteristischen Stil schufen, der Fröhlichkeit, Würde und Schlichtheit ausdrückt.

Wer einen Gottesdienst in einem typischen Kirchen- oder „Gemeinsaal“ der Brüdergemeine besucht, dem fallen verschiedene Besonderheiten auf: Der Raum ist meist langrechtechteckig mit dem etwas erhobenen „Liturgus-Tisch“ an einer der Langseiten. Wände und Bänke sind weiß, was auf das helle heitere Licht der Auferstehung Jesu hinweist. Den Gottesdienst leitet ein „Gemeinarbeiter“ am Tisch sitzend. Es gibt weder Kanzel noch Altar. Die seit  1834 gegründeten deutschsprachigen Baptisten übernahmen viele Traditionen der Brüderunität. Die ersten Betsäle der deutschen Baptisten waren nach Herrnhuter Vorbild gestaltet. In ihrer Anfangszeit sangen die Baptisten aus dem herrnhutischen Gesangbuch. Auch die 1849 eingeführte baptistische „Glaubensstimme“ enthielt noch viele Lieder von Zinzendorf und anderen Herrnhutern. Dem Herrnhuter Vorbild folgt auch die Abendmahlsform, bei der Brot und Wein von den Gläubigen selbst durch die Reihen gereicht werden. Das war eine bewusste Entscheidung gegen das bei den Katholiken und Lutheranern übliche „Wandelabendmahl“, bei dem die Teilnehmer nach vorne kommen, um das „Sakrament“ von einem ordinierten Priester oder Pfarrer zu empfangen. Fast vergessen sind die „Liebesmähler“ mit Tee und süßen Brötchen nach Herrnhuter Vorbild, die früher in den meisten Baptistengemeinden üblich waren. Bis heute verbreitet sind dagegen die Herrnhuter Losungen, die viele Baptisten täglich lesen.

Durch die Forschungskooperation „Acta Unitatis Fratrum: Dokumente zur Geschichte der Böhmischen Brüder“ ist die Theologische Hochschule Elstal mit Herrnhut besonders verbunden. Im Auftrag der Evangelischen Brüder-Unität und der Tschechischen Akademie der Wissenschaften arbeitet Martin Rothkegel, Professor für Geschichte des Christentums an der Theologischen Hochschule Elstal, gemeinsam mit deutschen und tschechischen Wissenschaftlern an dem anspruchsvollen Projekt. Es erschließt das umfangreiche Schrifttum der Alten Brüderunität, das auf über zehntausend Seiten handschriftlich in tschechischer Sprache überliefert ist. Die Handschriften sind Eigentum der Herrnhuter Brüder-Unität und befinden sich seit 1945 als Leihgabe in Prag. 2024 erschien der zweite von insgesamt fünf Bänden der Dokumentation.
 

Ein Artikel von Theologische Hochschule Elstal