Foto: David Vogt

Inspiriert leben auf der Bundeskonferenz

Christopher Rinke auf dem Markt der Möglichkeiten

Etwas ist anders an diesem Himmelfahrtswochenende. Zwar ist wie (fast) immer die Bundeskonferenz des BEFG zu Gast in Kassel. Und wie fast immer füllen auch genug notwendige, aber eben auch trockene Themen die Tagesordnung: Datenschutzordnung, die Ordnung für rechtlich selbständige Einrichtungen im Status der Bekenntnisgemeinschaft mit dem BEFG, die Sanierung der Ruhegeldordnung und die lieben Finanzen. Erstaunlich ist aber, dass an diesem Donnerstag fast nichts davon auf dem Programm steht. Stattdessen lese ich „Markt der Möglichkeiten“ und immer wieder „INSPIRIERT LEBEN“.

Es gibt Erzählcafés, Workshops, verschiede Räume der Andacht und Stille, Mitmachaktionen und auch außer Haus sind Straßenexerzitien und Gebetsspaziergänge sowie eine Exkursion zur Kasseler Synagoge geplant. Und das ist schon die erste erlebte Inspiration für mich: Christus kann auf enorm vielfältige Weise für mich Gestalt gewinnen.

Foto: David Vogt

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Dem gehe ich mal genauer nach. Im Kolonadensaal 1 treffe ich Holger Huhn, der in seinem Workshop der Frage nach Musik und Inspiration nachgeht. Er fragt die Runde der Teilnehmenden nach ihren Zugängen zur Musik und erläutert biografisch, wie ihm Musik in herausfordernden Zeiten schon in seiner Kindheit zum Halt und zur Kraftquelle geworden ist. Dass er ursprünglich mal Musik studieren wollte, nach Intervention des Vaters dann aber doch irgendwie Kaufmann wurde. Und in seiner Handelsvertretung nun Klaviere & Flügel verkauft. Nach dem Austausch lädt er die Teilnehmenden ein, verschiedene geistliche Lieder zu hören und darauf zu achten, was sie in ihnen auslösen. Dabei fordert er ausdrücklich dazu auf, nicht mitzusingen, sondern sie auf sich wirken zu lassen. Er selbst berichtet von seinen Erfahrungen, von musikalischen Pausen bei wichtigen Entscheidungen, auch im Kontext der Gemeindeleitungsarbeit. Inspiration braucht offenbar Pausen und Musik kann helfen, Blockaden zu überwinden. 

Ich setze meine Reise fort und finde drei Räume weiter Dr. Stefan Stiegler, der in seinem Erzählcafé über „Spiritual Care- der Glaube als Energiequelle im Beruf“ spricht. Stiegler erläutert dies anhand von Praxisbeispielen aus dem Klinikalltag des Albertinen-Diakoniewerks. Gerade in emotionalen Extremsituationen sei es eine große Hilfe, auf Rituale zurückgreifen zu können, die über die sachliche Reflektion hinausgingen. Dabei gelte es, die individuellen spirituellen Zugänge der Mitarbeitenden aufzunehmen, die keineswegs auf freikirchlich-christliche Spiritualität beschränkt seien. Am Beispiel einer „existentiellen und spirituellen Fallbesprechung„ wird deutlich, dass Überforderung und Nöte auch im Arbeitsalltag einen Raum brauchen, in dem sie ausgesprochen oder ausgedrückt werden können. Dieser Raum kann dann auch zu einem Ort der Inspiration und Kraft werden, ganz so, wie wir es in den Psalmen Davids lesen können.

Lieder sind auch ein Thema im Nachbarsaal, wo Dagmar Lohan im angeregten Gespräch mit ihren Gästen der Frage nachgeht, ob die gelebte Spiritualität eher Brücke oder Graben im Miteinander der Generationen ist. Obwohl die Anwesenden der Meinung sind, dass gerade im Blick auf die spirituellen Ausdrucksformen mitunter unvereinbare Bedürfnisse aufeinanderprallen, finden sie dennoch eine Vielzahl von Möglichkeiten, Brücken zu bauen. Wo unterschiedliche Menschen miteinander im Gespräch sind, weitet sich der Horizont und aus Gegensätzen werden Schätze. Manchmal hilft es dabei, eine Generation zu überspringen. So seien die Glaubenserfahrungen der Großelterngeneration für Teenager und Jugendliche oft wieder wertvoll und inspirierend, während gleichzeitig das Gespräch mit den Eltern eher schwierig anmutet. Überhaupt fällt auf, dass es in den verschiedenen Beiträgen immer wieder um Zeit geht. Wo wir uns keine Zeit nehmen, kann weder Miteinander noch Inspiration wachsen.

Foto: David Vogt

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Ich nehme mir nun die Zeit, Hanna Buiting in Kolonnadensaal 3 zu besuchen. Die Wortkünstlerin, Bloggerin und Journalistin nennt ihren Workshop vielversprechend: „Wohin willst du gehen? - Schreibwerkstatt zu existentiellen Fragen des Lebens.“ Ich finde eine ausgesprochen stille Runde aus sehr konzentrierten Menschen vor. Hier wird geschrieben, geschnippelt und gedruckt. An verschiedenen Tischen finden sich Anleitungen, Beispiele und Materialien dafür wie Gefühle, Gedanken und Erlebnisse Ausdruck und Gestalt finden können. Die Ruhe, die hier herrscht, tut gut. Tatsächlich ist es fast lautlos. Und der Raum dabei voller Energie. Ich begreife, dass existentielle Fragen mitunter einen anderen Weg an die Oberfläche brauchen, als gesagt zu werden. Es beeindruckt mich zutiefst, die Menschen hier bei der Arbeit zu sehen. Ich kenne die existentiellen Themen nicht, die sie hier beschäftigen, aber sie wirken zufrieden, gelöst, inspiriert: ...

... Erfahrungen, die Menschen in Kirchen und Gemeinden allzu oft nicht mehr machen. „Warum ist Spiritualität so in und Kirchen so out, Herr Faix?“ war schon der Titel des Referats im Plenum an diesem Morgen. Im Erzählcafé lädt der Professor für praktische Theologie und Gemeindepädagogik der CVJM-Hochschule zum Erfahrungsaustausch in dieser Frage. So kommt es zu einer regen Diskussion über Wege, wie Kirchen und Gemeinden wieder auf die Spur der Suchenden und Interessierten kommen, wegen derer es sie ja eigentlich gibt. Faix verweist am Beispiel des Fußballfan-Gesprächs darauf, dass es darauf ankommt, sich selbst klar zu sein, was einem wichtig ist. „Wenn der andere merkt, dass wir beide für den Fußball brennen, dann nimmt er mir auch ab, wenn ich auch für den Glauben brenne. Menschen suchen im Gespräch immer den Anknüpfungspunkt, aber wenn dieser gefunden ist, respektieren sie auch Fremdes, wenn es dem Gesprächspartner auf dem Herzen brennt.“ So könne es übrigens extrem lehrreich sein, bei der Vorbereitung von Gottesdiensten und Veranstaltungen tatsächlich mal tatsächlich alle(!) zu beteiligen. Also auch die Eingeladenen. Am Ende komme es darauf an, Gott zuzutrauen, dass er auch durch unser (begrenztes) Ausprobieren hindurch zu den Menschen reden kann.

Foto: David Vogt

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Ausprobieren würde ich gerne noch viel mehr auf diesem Markt der Möglichkeiten. Tatsächlich habe ich nur einen Bruchteil der Angebote aufsuchen können. Es gab noch viel mehr: Vom Alltagsbeter bis zum Taizégebet, vom Praying in Color bis zum Trauerlabyrinth, dem Predigen mit Bildern und den Perlen des Lebens. Um nur einige der von mir ausgelassenen Angebote zu nennen.

Es inspiriert mich, dass es so viele Wege gibt, wie Menschen in ihrem Glauben Inspiration erfahren. Es begeistert mich, dass Christus auf so vielfältige Weise Gestalt gewinnen kann. Denn all diese Vielfalt der Möglichkeiten drückt eines nicht aus: Beliebigkeit. Vielmehr geht es um einen Horizont, der einfach größer ist als meine Erfahrung.

Das Jahresthema „INSPIRIERT LEBEN … dass Christus Gestalt gewinnt“ wird mich herausfordern, neu zu lernen, persönliche und gemeinsame Wege zu finden, um mich von Christus inspirieren zu lassen. Und wertzuschätzen, dass andere ganz andere Wege finden, auf die ich nie gekommen wäre. An diesem Himmelfahrtstag jedenfalls bin ich schon mal beeindruckt, begeistert und beglückt. Mit diesem Vorzeichen werden auch die trockenen notwendigen Themen auf der Tagesordnung ihren Schrecken verlieren. Das könnte ja auch ein Modell für meinen Alltag werden…

Ein Artikel von Christopher Rinke