Licht am Ende des Tunnels

Im Ahrtal macht sich langsam Hoffnung breit

Maternus Gasper und seine Bäcker-Familie sind seit Generationen in Altenburg verwurzelt. Durch die Flut am 14. und 15. Juli 2021 hat er alles verloren und das Elternhaus steht nicht mehr. Klaus Haubold hat ihn nach der Flut und dem Tod seiner Frau im Ahrtal begleitet und macht deutlich, warum es jetzt angemessen ist, die Begleitung zu beenden. Von ihren Eindrücken berichten beide im Interview. Die Fragen stellte Artur Wiebe.

Maternus, die Flut im Ahrtal – kommt sie dir wie gestern vor?

Maternus Gasper: Es ist schon drei Jahre her, aber wenn man Filme sieht oder Bilder, dann kommt das wieder hoch. Bei mir wurde es extrem, als meine Frau sehr krank war. In der Flut ist sie fast ertrunken und dann ein Jahr später gestorben. Da gab es wieder neue Herausforderungen. Wenn man das alles erlebt und durchlitten hat, dann kann man das nicht mehr rausschneiden.

Das heißt, es gibt ein Körperteil an dir, das „Flut im Ahrtal“ heißt?

Maternus Gasper: Ja, schon. Wir sagen im Dorf: Es gibt ein Leben vor der Flut und ein Leben nach der Flut. Wir mussten ganz neu anfangen, weil bei uns alles weg war, das ist auch ein neuer Lebensabschnitt. Bei der Flut waren wir ein bisschen vorgewarnt und haben damit gerechnet, dass es eine Katastrophe geben würde. Aber wir hatten nicht gedacht, dass die so heftig kommen würde!

Ich habe immer erzählt: Wenn die Flut kommt, gehen wir im Haus rauf und sind in Sicherheit. Aber das kam dann so schnell: Ich war noch ein Eis essen mit einer Bekannten – das war die letzte Person, mit der ich in der Eisdiele war – und dann haben wir hier im Hof noch Kaffee getrunken und nicht damit gerechnet, dass zwei Stunden später schon das Wasser da ist. Um halb fünf war das Wasser auf der Straße und um halb sieben lief es schon in das Haus rein.

Ich wollte mit meinem behinderten Bruder nicht noch mal durch das Wasser waten, weil man nicht wusste, was da liegt. Also haben wir uns gesagt: „Wir gehen einfach im Haus eine Etage höher.“ Wir haben uns vorgestellt, dass das nur etwas Wasser ist, weil die Prognose vom Ministerium so war, dass das Wasser bis vier, fünf Meter hoch steigen würde. Aber abends waren es schon sieben Meter. Um halb acht kam von Koblenz ein Rettungshubschrauber. Der hat noch hier gestanden und ich habe ihm gewunken, woraufhin er näher kam. Ich habe ihm ein Zeichen gegeben, dass wir drei Personen wären, aber alle seien in Ordnung, am Leben und er brauche sich keine Sorgen um uns zu machen, sondern sollte nach den anderen schauen. Da wussten wir noch nicht, dass noch mal drei Meter kamen! Wir waren auf dem Dachboden im hinteren Haus und nachts gegen halb zwölf kam das Wasser bis an den Fußboden vom Dachboden. Da haben wir uns echt Sorgen gemacht.

Dort drüben hinter den zwei Fenstern hat der Retter gewohnt. Er kam mit einem Kanu rüber und hat auf einmal gerufen. Der hat dann meine Frau und meinen Bruder mit dem Kanu rausgeholt. Aber weil keine vierte Person hineingepasst hat, habe ich gesagt: „Okay, ich bleibe im Haus, fahr die gerade rüber, dann kommst du mich holen.“ Die waren gerade fünf Meter vom Haus entfernt und sind dann untergegangen, weil zu viel Strömung war und zu viel Treibgut. Mein behinderter Bruder war unruhig, weil ihm alles zu viel wurde. Alle waren lange unter Wasser, bis der Retter sie wieder herausgefischt und dann auf das Dach des Nachbarhauses gebracht hat.

Klaus Haubold und Maternus Gasper

Altenburg

Maternus Gasper

Ihr seid also dem Hochwassertod von der Schippe gesprungen?

Maternus Gasper: Genau, vor dem letzten Abrutschen davongesprungen.

Wir stehen jetzt hier auf der Veranda deines neuen Hauses, das höher am Hang steht. Wo dein Elternhaus stand, ist jetzt ein leerer Platz. Was denkst du, wenn du da jetzt von hier oben hinschaust?

Maternus Gasper: Ich bin davon überzeugt: Gott hat es zugelassen, damit die Leute zum Beten kommen – er hätte es ja verhindern können. Es ist ein großes Opfer, auch jetzt im Nachhinein noch, und bedeutet große Schwierigkeiten. Aber ja, wenn man so verrückt ist wie ich, und wenn man an Gott glaubt, dann kann man das alles in Gottes Hand übergeben.

Maternus, du könntest aber auch sagen: „Wenn Gott das gemacht haben soll, dann kann er mir gestohlen bleiben, dann will ich mit ihm nichts mehr zu tun haben.“ Wieso bist du trotzdem noch an Jesus dran?

Maternus Gasper: Es ist ja nicht seine Schuld, dass die Flut gekommen ist. Er hat es zugelassen, aber es ist der Menschheit zuzurechnen, weil der Glaube immer mehr schwindet. Es ist kaum noch Glaube da und das ist ja nicht die Schuld vom Heiland. Ja, ich bin halt ein bisschen speziell.

Mit bei uns ist Klaus Haubold, Beauftragter für pastorale Seelsorge hier im Ahrtal. Klaus, wie habt ihr euch kennengelernt?

Klaus Haubold: Anfang 2022 bin ich vom Bund FeG und später auch in Kooperation mit dem BEFG als Fluthilfeseelsorger hierhin entsandt worden. Anfangs war es so, dass ich hauptsächlich in den Versorgungsstellen unterwegs gewesen bin, um die Leute hier im Ahrtal kennenzulernen. Ich habe mich dort zu den Betroffenen gesetzt und mit ihnen gegessen oder mich einfach so mit ihnen unterhalten. So war es auch hier in Altenburg, und da haben wir uns bei einem Mittagessen kennengelernt.

Ich habe mich zu euch gesetzt – damals lebte deine Frau noch – und so sind wir in Kontakt gekommen. Und weil ich immer unterwegs war in den unterschiedlichen Ortschaften, haben wir uns häufig wiedergesehen und auch gesprochen. So ist mit der Zeit eine Beziehung entstanden, die jetzt schon über zwei Jahre geht. Wir sind so gemeinsam unterwegs, treffen uns regelmäßig und tauschen uns aus.

Maternus Gasper: Man kann gar nicht dankbar genug für seine und insgesamt die ganze Hilfe sein. Man hat alles verloren bis auf die paar Sachen, die man noch anhatte, stand ganz alleine da und wusste nicht, wie es weitergeht. Aber Klaus und die anderen kamen immer beim Essen und haben sich zu uns gesetzt und erzählt. Da war ich schon froh: meine Frau war dadurch aufgeschlossener und hat mit Klaus gesprochen – oft ziemlich lang. Sie hat so wieder einen Weg gefunden, Hoffnung zu entdecken.

Das hat sehr gutgetan und tut immer noch gut an der Stelle, wo ich leider Gottes immer sagen muss – obwohl ich ja selber katholisch bin –, dass die Kirche versagt hat. Die katholische Kirche hätte mehr daraus machen können, wenn sie mehr für die Leute ansprechbar gewesen wäre. Da kamen schon mal Helfer vom Bistum oder von der Uni, aber die kamen nicht so rüber wie Klaus oder Hoffnungswerk e. V., die einem Halt und Stütze waren.

Wie hat Klaus es geschafft, euch eine Stütze zu sein?

Maternus Gasper: Das ist das Größte und das Wichtigste, einfach nur zu sagen: „Wir sind da und kümmern uns um euch, wir lassen euch nicht im Stich, wenn etwas schwer ist, kommt her. Wir sprechen miteinander, trinken Kaffee. Wir sind ansprechbar.“ Leute, wo man darauf vertrauen kann, dass das nicht im ganzen Dorf die Runde macht, mit denen man ein Vertrauensverhältnis hat. Das war oder ist die größte Hilfe überhaupt für die Flutopfer.

Ich bin jetzt nach zwei Jahren wieder im Ahrtal und höre ganz viele Baumaschinen, Kräne und viele Handwerker auf einem Haufen. Klaus, bricht hier neue Hoffnung auf?

Klaus Haubold: Ja, das spiegeln mir die Leute auch immer. Man freut sich über jeden Bauarbeiter, der da ist, über jede Baumaschine, die hier durch den Ort fährt. Das bedeutet, dass es weitergeht und Fortschritte gibt. Man muss wissen, dass es nach der Flut eine Zeit lang eine überwältigende Atmosphäre herrschte, als die vielen Helferinnen und Helfer aus ganz Deutschland kamen und hier im Tal waren. Die Freiwilligen haben unglaublich viel geholfen und dafür sind alle bis heute sehr dankbar.

Aber als es dann mit der ersten Hilfe, mit dem ersten Ausräumen, irgendwann nicht mehr so viel zu tun gab, begann eine große und lange Zeit des Wartens. Das war für viele sehr herausfordernd, weil man oft nicht wusste: „Wie geht es weiter? Was ist die Perspektive, wird abgerissen oder aufgebaut?“ Es gab viele Enttäuschungen, weil leider auch oft Versprechungen gemacht wurden, die dann nicht eingehalten wurden. Deshalb sagen mir heute noch viele: „Die Flutnacht war schlimm, aber was ich danach erlebt habe, vor allem in dieser Zeit des Wartens und des Nichtwissens, war deutlich belastender.“ Deswegen bedeutet das heute, wo viel passiert, wo man sieht, wie die Häuser in die Höhe wachsen und wo Fortschritt sichtbar wird, absolute Hoffnung für die Menschen.

In diesem Jahr sieht man Licht am Ende des Tunnels. Die Heimat wird aufgebaut und das ist mit enormer Hoffnung verbunden. Das spüre ich schon und das feiern wir auch, wenn ich mit Leuten im Gespräch bin. Es ist wirklich eine Freude, zu sehen, wie die Häuser in die Höhe wachsen, wie sich die Dinge entwickeln – bei allen Rückständen und Problemen, die es trotzdem noch gibt.

Das heißt für dich: Wenn es am schönsten ist, soll man gehen?

Klaus Haubold: Ja, genau! Tatsächlich wurde von Anfang an besprochen, dass im Sommer 2023 evaluiert wird, ob es mit meinem Dienst hier noch mal weitergeht oder nicht. Letztes Jahr 2023 im Sommer hatte ich kein gutes Gefühl bei der Frage: Soll ich aufhören? Ist es jetzt Zeit zu gehen oder nicht? Dieses Jahr ist es tatsächlich ganz anders. Vielleicht sollte man als Hintergrund dazu sagen, dass Katastrophenhilfe bedeutet, sich selbst überflüssig zu machen. Das ist ein ganz wichtiges Prinzip. Wir sind da für eine vorübergehende Zeit, um Menschen zu helfen, zu begleiten, solange es ihrem Bedarf entspricht und solange es hilfreich ist.

Wir erleben aber leider auch, dass manche Helfende hier nicht wegkommen, also den Zeitpunkt nicht erkennen, wann es gut und wichtig ist, zu gehen. Je länger sie bleiben, desto eher kippt dann leider auch die Stimmung. Das war für mich immer ein ganz wichtiges Prinzip, auch in meinem Dienst, zu erkennen: Bis wohin ist das, was ich tue, hilfreich. Und ab wann ist es nicht mehr hilfreich?

Woran erkennt man, dass es Zeit ist, zu gehen?

Klaus Haubold: Zum einen, dass sich die Infrastruktur meiner aufsuchenden Hilfe natürlich verändert. Viele Menschen kehren jetzt zurück in ihre Häuser, haben ihren Alltag, ihren Beruf. Anfangs war es so: Ich bin spontan gekommen, überall waren offene Türen und es war jederzeit möglich, spontan mit Leuten im Gespräch zu sein. Das ist übrigens auch heute noch so, was auch erstaunlich ist, dass es immer noch so funktioniert.

Aber ich merke auch zunehmend, dass die Leute mehr Privatsphäre haben möchten, wieder ein einigermaßen geregeltes, normales Leben wollen. Das ist oft verbunden damit, dass das Haus fertig wird, dass es renoviert ist, dass man wieder einzieht. Für mich ist nun der Zeitpunkt gekommen, an dem ich sage: Ja, in diesem Jahr wird sich hier in Altenburg enorm viel tun. Viele Leute werden fertig, viele werden wieder einziehen.

Ich habe den Eindruck, dass ich in dieser ganzen Zeit tragen und unterstützen durfte – gerade in der schwierigen Wartephase, wo oft nicht klar war: Wie geht es eigentlich weiter? Was passiert hier eigentlich? Aber mit dieser Klarheit, die jetzt mehr und mehr da ist, kehrt auch eine gewisse Lebensfreude wieder ein – oder auch eine gewisse Normalität. Spätestens da ist es Zeit, dass ich mich verabschiede.

Ich wohne nicht weit weg von hier und habe sozusagen auch einen Teil meines Herzens hier im Ahrtal verschenkt, daher wird man mich wahrscheinlich immer wieder im Ahrtal sehen. Ich habe hier viele Leute, die ich kennenlernen und lieben lernen durfte, ich werde Maternus sicherlich auch immer wieder treffen.

Insofern fühlt sich das rund an – bis dahin, dass die Betroffenen, die immer noch massiv unter den Flutfolgen leiden, mehr als nur Seelsorge brauchen. Die brauchen eine professionelle Therapie. Meine Ermutigung und mein Ansatz bei diesen Personen ist, darauf noch mal hinzuweisen und zu sagen: „Lass das mal bitte abklären. Sprich doch mal mit einem Psychologen darüber.“

Mir als Seelsorger war immer klar, dass ich eine Begleitinstanz bin. Das habe ich sehr gerne gemacht, aber ich arbeite nicht therapeutisch. Wer so unter Flutfolgen leidet – vor allem, wenn wir von Traumatisierungen sprechen – der braucht etwas ganz anderes.

Maternus, dass Klaus hier ist, wurde ermöglicht durch den Bund EFG, Bund FeG und Menschen darüber hinaus, die das unterstützt haben. Mal angenommen, du würdest auf diese Leute treffen: Was würdest du ihnen gerne sagen?

Maternus Gasper: Ich würde mich bedanken! Einfach dankbar sein, denn wie gesagt, ich bin zwar in der katholischen Kirche, aber was Sie für uns geleistet haben, dafür kann man gar nicht dankbar genug sein. Deshalb: Wenn das Haus im Sommer fertig sein sollte, steht für jeden die Tür offen: dann kann jeder bei mir vorbeischauen und einen Kaffee trinken kommen.

Vielen Dank für eure Antworten!

Ein Artikel von Artur Wiebe