Neue Rechtsverhältnisse im Bund

Ein Blick aus juristischer Perspektive

Der Bund ist eine staatlich anerkannte Religionsgesellschaft durch die Verleihung der Körperschaftsrechte. Diese Rechte geben ihm einen öffentlich-rechtlichen Charakter, d.h. der Bund kann eigene Gesetze schaffen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernahm die Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung /WRV) in ihrem Artikel 140: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.“ (Art. 137 Abs. (3) WRV).

Wir nennen solche Kirchengesetze „Ordnungen“. Sie regeln innerkirchliche Angelegenheiten, z. B. die Geschäftsordnung für den Bundesrat, die Treuhandverwaltung von Grundstücken, die Ausbildung und den Status der Ordinierten Mitarbeiter, das Dienstrecht und auch den Umgang mit Streitigkeiten. Diese eigenen Ordnungen des Bundes gelten dann anstelle von staatlichen Gesetzen: Verwaltungs- oder Arbeitsgerichte sind im Falle von Streitigkeiten innerhalb des Bundes nicht zuständig. Dies bedeutet aber zugleich, dass der Bund viel mehr regeln muss, als er bisher bedacht hat.

Drei Ordnungen standen auf der Tagesordnung des Bundesrats 2011:

-    Die „Ordnung zum Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden ...“,
-    die „Ordnung zur Gerichtsbarkeit des Bundes“ und
-    die „Ordnung zum Dienstrecht des Bundes“.

Die ersten beiden Ordnungen wurden eineinhalb Tage lang mit großer Geduld und viel Engagement beraten und mit eindeutiger Zweidrittelmehrheit beschlossen.

Über die „Ordnung zum Dienstrecht des Bundes“ entscheidet ein Sonderbundesrat am 5. November 2011 in Kassel.

Diese Ordnungen haben verbindlichen Charakter wie ein Kirchengesetz.  

Der Bund Ev.-Freikirchlicher Gemeinden ist ohne Zweifel vorrangig eine Bekenntnisgemeinschaft von Gemeinden; d. h. jene Gemeinden, die eine Übereinstimmung bestimmter Bekenntnisaussagen (z. B. zur Taufe) haben, bilden aufgrund eigener Entscheidung einen Bund. Das hat bei unserem Bund 1849 begonnen und setzt sich bis heute fort, wenn Gemeinden ihre Aufnahme in den Bund beantragen und der Bundesrat entsprechend beschließt. Der Bund ist ein Organ der Gemeinden: Er unterstützt sie in ihrem Dienst; er nimmt Aufgaben wahr, die die Gesamtheit der Gemeinden betreffen (z. B. Ausbildung von Ordinierten Mitarbeitern, Vertretung in überregionalen Gremien); er tritt als Vermögenstreuhänder auf, er berät und bietet Vermittlerdienste an (Artikel 5 der Verfassung des Bundes).

Dies ist grundsätzlich in der Verfassung des Bundes geregelt, z. B. dass die Gemeinden selbstständig über Mitgliedschaften entscheiden und einen eigenen Haushalt führen dürfen. Die Gemeinden sind rechtlich ein Teil des Bundes und insofern sie keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen (z. B. als eingetragener Verein oder durch eigene Körperschaftsrechte), haben sie Anteil an den Körperschaftsrechten des Bundes. D. h. sie können den Bund und seine Regelungen für sich in Anspruch nehmen. Sie haben sich bisher weitgehend als autonome Gemeinschaften verstanden. Dies trifft rechtlich leider nur begrenzt zu. (Fast) alle Gemeinden haben bisher so gehandelt, als seien sie selbstständig und würden alle ihre Angelegenheiten durch Beschlüsse ihrer eigenen Organe wie Gemeindeleitung oder Mitgliederversammlung regeln können. Dies ist allerdings ein Irrtum: Rechtlich ist für sie in nahezu allen Angelegenheiten der Bund zuständig. Das bedeutet: Eine Gemeinde kann über ihre eigenen Mitgliedschaftsfragen entscheiden und auch einen eigenen Haushalt aufstellen, aber sie kann Rechtsgeschäfte nach Außen wie z. B. ein Grundstück kaufen, eigene Räume anmieten, einen Mitarbeiter anstellen, nur in Vertretung des Bundes tätigen.

Wie das geschehen soll, und welche Rechte der Bund ihnen unter welchen Bedingungen zugestehen kann, das regelt nun die „Ordnung zum Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden“:

Innerkirchlich, d. h. untereinander gelten Gemeinden als selbstständig; in der Außenbeziehung handeln sie „in Vertretung des Bundes“ und bedürfen dafür jeweils einer Bevollmächtigung durch den Bund (§ 5 der Ordnung). Der Bund bietet also die rechtliche Grundlage für die meisten Gemeinden. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass der Bund als Eigentümer der Gemeindegrundstücke im Grundbuch eingetragen wird oder als Kontoinhaber des Gemeindekontos firmiert (und dem Kassenverwalter der Gemeinde entsprechende Vollmachten zur Verfügungsgewalt ausstellt), oder dass die Ordinierten Mitarbeiter (Pastoren, Diakone, Pastoralreferenten) in einem besonderen dienst-rechtlichen Verhältnis zum Bund stehen. Seit den Anfängen des deutschen Baptismus arbeiten die Gemeinden auf dieser Grundlage zusammen. Jetzt war es notwendig, die rechtlichen Strukturen verbindlich zu regeln. Es bleibt dabei: Oberstes Ziel ist die Eigenverantwortlichkeit der Ortsgemeinde. Aber es war dringend notwendig, für die Rechtsverhältnisse zwischen Bund und Gemeinden eine solide rechtliche Grundlage zu schaffen.

Wenn solche Regelungen getroffen werden, muss der Bund Vorsorge treffen, dass diese Regeln eingehalten werden. Wer entscheidet, ob eine Gemeinde die Vollmacht für einen Grundstückserwerb erhält oder ihr die Genehmigung zur Anstellung eines Pastors versagt wird? Und vor allem: War die Entscheidung ordnungsgemäß?

Dies wird nun einem Kirchengericht (genauer: dem „Verwaltungs- und Verfassungsgericht des Bundes Evangelisch-freikirchlicher Gemeinden in Deutschland K.d.ö.R.“) übertragen. Dazu dient die „Ordnung für die Gerichtsbarkeit des Bundes“. Das Kirchengericht besteht aus drei Kammern (für Dienstrecht, für andere Fragen außer der Verfassung und eine Große, d. h. gemeinsame Kammer für verfassungsrechtliche Fragen) und wird mit jeweils drei Richtern besetzt, von denen mindestens einer die öffentliche Befähigung zum Richteramt besitzen muss. In einem kleineren Maße hatten wir bereits eine Art Gerichtsbarkeit, d. h. Schiedsausschüsse für die dienstrechtlichen Fragen. Die Ordnung zur Gerichtsbarkeit regelt nun, wie es zur Lösung von Konflikten kommen kann. Das schließt Prozesse vor staatlichen Gerichten aus. Außerdem wird durch diese Ordnung geregelt, wie Gemeinden und der Bund bei Verfassungs- und anderen Ordnungsdifferenzen miteinander zu Klärungen durch eigene, unabhängige Rechtsprechung kommen.

Der Bundesrat hat auch der strittigen Frage zugestimmt, ob einzelne Mitglieder einer Gemeinde das Kirchengericht anrufen dürfen, wenn sie die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Gemeindeleitung oder einer Mitgliederversammlung anzweifeln. Das darf unter bestimmten Bedingungen geschehen, um einem Missbrauch vorzubeugen.

Die Mühe auf dem Bundesrat hat sich gelohnt: Wir sind als Bundesgemeinschaft einen wichtigen Schritt vorangekommen, Rechtssicherheit für das Handeln von Bund, Gemeinden, Landesverbänden, der Arbeitsgemeinschaft der Brüdergemeinden und Bundeseinrichtungen herzustellen. Die Ordnung zum Selbstbestimmungsrecht stellt fest: „Rechte und Pflichten werden in einer gelebten Verbundenheit gemeinsamer Aufgaben und in gegenseitigem Vertrauen wahrgenommen.“(§ 1 Abs.(4). Wenn die Anwendung der neuen Rechtsordnungen auf diese Weise gelingt, wird dies auch ein Zeugnis sein, dass die Gemeinde Jesu sich vom Geist der Kraft, der Liebe und der Ordnung (Luthertext: der Zucht) leiten lässt (2 Tim 1,7).

Das gilt natürlich auch für die noch zu beratende „Ordnung zum Dienstrecht des Bundes“, nachdem jetzt einige rechtliche Voraussetzungen vorliegen. Denn die Grundsatzfrage, wie z. B. Gemeinden ohne eigene Rechtspersönlichkeit Dienstverhältnisse eingehen können, ist geklärt. Die neue Ordnung hält – wie die bisherige Pastorenordnung – daran fest, dass z. B. Pastoren ordinierte Mitarbeiter des Bundes sind und in einem Treueverhältnis zum Bund stehen. Neu ist daran nur die rechtliche Festschreibung, dass mit der Ordination durch den Bund ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis begründet wird. Damit unterliegen die Dienstverhältnisse mit Ordinierten Mitarbeitern fast ausschließlich den bundeseigenen Bestimmungen, aber nicht der staatlichen Arbeits- oder Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ausnahmen davon ergeben sich nur, wenn der Bund „in begründeten Fällen“ (§ 20 Abs.(1)) oder Gemeinden mit eigener Rechtspersönlichkeit privat-rechtliche Dienstverhältnisse eingehen; dann ruht das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis mit dem Bund (§ 10 Abs. (1) Buchst. b). Dieses „öffentlich-rechtlich“ bezeichnete Dienstverhältnis bedeutet, der Bund selbst kann die Berufungsvoraussetzungen und -bedingungen für einen solchen Dienst bestimmen. Er „verleiht (seine) Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.“ (Art 137 Abs.(3) WRV – s.o.). Es bleibt selbstverständlich dabei, dass Gemeinden ihre Mitarbeiter selbst berufen und sie besolden sowie Einzelheiten des Arbeitsbereiches mit ihnen durch „stellenbezogene individuelle Regelungen“ (§ 9 Abs. (2) festlegen. Auch die Dienstaufsicht bleibt bei den Gemeinden. Der Unterschied zur bisherigen Praxis liegt darin, dass sie dies jetzt rechtlich „in Vertretung des Bundes“ vollziehen; deshalb werden z. B. Gemeinden ohne eigene Rechtspersönlichkeit „Dienststellen“ genannt; juristisch sind sie eben keine Dienstgeber. Das klingt formal und ist es auch. Diesen Weg, „in Vertretung des Bundes“ Mitarbeiter zu berufen, können auch Gemeinden mit eigenen Körperschaftsrechten wählen, wenn sie kein eigenes Recht setzen und auf eine privatrechtliche Regelung verzichten wollen.

Weite Teile der neuen Ordnung sind aus den bisherigen Ordnungen für Ordinierte Mitarbeiter (z. B. Pastorenordnung) übernommen worden: Vermittlung, Ruhestand, Pflichten des Bundes, der Dienststelle und des Mitarbeiters, der Schutz der Aussageverweigerung oder die Gültigkeit bestimmter staatlicher Gesetze wie Mutterschutz. Da weiterhin eine Sozialversicherungspflicht (Kranken-, Arbeitlosen- und Rentenversicherung) besteht, bleiben die ent-sprechenden Institutionen zuständig bei Eintritt solcher Fälle, d. h. im Fall der Arbeitslosigkeit zahlt die Arbeitsagentur. An die Stelle der bisherigen Schiedsausschüsse tritt das Kirchengericht, für das als oberster Grundsatz gilt: „Das Kirchengericht hat in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung hinzuwirken.“ (§ 3 Abs.(1) der „Ordnung zur Gerichtsbarkeit des Bundes“).

Es sieht so aus, als beträfe dies nur die Ordinierten Mitarbeiter. Die Ordnung zum Dienstrecht gilt für alle Mitarbeiter in den Gemeinden, Landesverbänden usw. Der Geltungsbereich erfasst lt. § 1 Abs. (2) auch jede andere Art der Beschäftigung von Mitarbeitern, mit Ausnahme der Ehrenamtlichen. Dabei handelt es sich allerdings um Bestimmungen für privatrechtliche Dienstverhältnisse, die in § 20 Abs. (2) genannt sind. Besondere Regelungen müssen hierfür nicht getroffen werden, weil privatrechtliche Dienstverhältnisse den staatlichen Regelungen unterstehen.  

Die Beschlussvorlage „Ordnung zum Dienstrecht des Bundes“ ist einzusehen im Forum Rechtsordnungen auf der Webseite des Bundes:
http://www.baptisten.de/glauben-erleben/interaktiv/forum-rechtsordnungen/
   
Weltersbach, den 4. Oktober 2011                              
Heinz Szobries

Ein Artikel von Heinz Szobries