Reformation > Education > Transformation

Zweite internationale Konsultation in Halle

Vom 18. bis 22. Mai kam in Halle eine Gruppe von ca. 120 Personen für den zweiten Teil der Konsultation „Reformation > Education > Transformation“ zusammen. Viele der Teilnehmer aus allen Kontinenten waren auch beim ersten Teil der Konferenz in Sao Leopoldo im November dabei gewesen. Gastgeber waren die Franckeschen Stiftungen – eine beeindruckende Einrichtung, die ein beredtes Zeugnis davon gibt, wie August Hermann Francke und der Hallesche Pietismus die Gesellschaft in ihrem Umfeld durch Bildungs- und Sozialeinrichtungen nachhaltig verändert haben.

Über dem ehemaligen Waisenhaus, in dem die Gruppe sich täglich versammelte, prangt ein Wort aus dem Propheten Jesaja: „Die aber, die auf den HERRN hoffen, empfangen neue Kraft, wie Adlern wachsen ihnen Schwingen.“ Das war Franckes Vision, die ihn beseelte, die das Leben unzähliger Menschen veränderte und der Kirche ein reiches Erbe hinterlassen hat. Von diesem Ausschnitt der Geschichte zu lernen, war Teil der Konferenz.

Im Mittelpunkt stand diesmal die besondere kirchliche Situation in Mitteldeutschland: Mit z.B. zwölf Prozent Kirchenmitgliedern in der Stadt Halle ist das ehemalige Kernland der Reformation zu einem Zentrum der Nicht-Konfessionellen, Religionslosen und Atheisten geworden. Eine Erkenntnis, die bei den internationalen Gästen für große Verwunderung sorgte und für die Kirche eine große Herausforderung bedeutet. Referate der Kultursoziologin Professor Dr. Monika Wohlrab-Sahr und des in Halle ansässigen interkulturellen Theologen Professor Dr. Daniel Cyranka vertieften das Verständnis der besonderen mitteldeutschen Situation.

Ein Workshop führte in ein aktuelles Segensangebot für nichtkonfessionelle Jugendliche ein, das als Alternative zur sich großer Resonanz erfreuenden Jugendweihe angeboten wird und ebenfalls großen Zuspruch findet. Projekte wie diese suchen den Kontakt zu Menschen und loten den schmalen Grad aus, auf dem die Kirche in einem nur bedingt explizit kirchlichen Angebot Menschen erreichen, sie begleiten, aber auch das Evangelium vermitteln kann.

In vielen Vorträgen und Workshops machte die Tagung deutlich: Reformatorische Theologie des 21. Jahrhunderts muss kontextuelle Theologie sein. Das heißt, ihre die konkreten Lebenskontexte der Menschen prägen die Inhalte der Theologie mit. Sie darf sich nicht auf vorgestanzte Formulierungen des 16. Jahrhunderts zurückziehen. Theologie muss die Menschen aus beiden Hemisphären und ihre kulturellen Erfahrungen einbeziehen und darf nicht die Domäne weißer mitteleuropäischer Theologen sein. So resümiert der abschließende Bericht: „Wenn Kirchen Protagonisten der Transformation sein wollen, ist Offenheit und Toleranz erforderlich. Wir müssen Beauftragte der Versöhnung sein, ein prophetisches Zeugnis anbieten, die Menschenwürde verkörpern und gerechte und inklusive Gemeinschaften fördern.“ Die angesprochene Transformation hat nicht nur soziale, sie hat auch ökologische und ökonomische Dimensionen. Aspekte, die eine gegenwärtige reformatorische Theologie thematisieren muss – nicht nur in Gemeindehäusern, sondern in Gestalt einer Öffentlichen Theologie, deren Vertreter sich als ein Akteure der Zivilgesellschaft verstehen und entsprechend äußern.

Was bleibt? Der Prozess war von unschätzbarem Wert. Die Begegnungen, das Aufeinander hören, die Diskussionen und natürlich auch Impulse und Workshops ermöglichten einen Lernerfahrung, die Bücher und das „Darüber-Reden“ nicht hergeben. Die Vielfalt an inhaltlichen Impulsen war überwältigend. So viele bedrängende Themen, die danach rufen, dass die Kirche aufsteht, um ihre Berufung zu leben. Immer geht es um die leicht zu benennende, aber doch mühsam einzulösende Aufgabe: Das Evangelium muss stets neu für gegenwärtige Situationen wiederentdeckt werden!

Persönlich geht mir immer noch die Andacht einer Nigerianerin nach, die kein Visum erhalten hatte und deshalb nicht vor Ort sein konnte. Ihre Gedanken wurden vorgelesen. Sie gehört zu den Opfern des Terrors von Boko Haram und hat Fürchterliches erlebt. Angesichts dieser Erfahrung hat sie über den Frieden Gottes gearbeitet und schreibt: „Auch wenn ich ein Opfer bin, denke ich nicht so von mir und sehe mich nicht in diesem Licht. Ich nutze die Vergebung, um Kontrolle über mein Leben zu bekommen. Den Leuten Boko Haram zu vergeben, macht sie nicht richtig, aber es befreit mich.“

Ein Artikel von Oliver Pilnei, Leiter der Evangelisch-Freikirchlichen Akademie Elstal