Schöpfung
Gott, Mensch und Natur
Die „Rechenschaft vom Glauben“ entspricht in diesem Artikel bestimmten theologischen Erkenntnissen ihrer Zeit. Die zeitgenössischen Fragestellungen haben sich allerdings in Gesellschaft und Gemeinde inzwischen zu Recht geändert.
Der Abschnitt „Gottes Schöpfung“ folgt im Prinzip einem sehr präzisen und einleuchtenden Strukturschema, das insbesondere die altprotestantischen Dogmatiken, aber auch spätere Glaubenslehren verwandt haben.
1. Gott hat die Welt aus dem Nichts erschaffen (Creatio mundi ex nihilo).
Gemeint ist: Gott hat nicht irgendetwas benutzt, um die Schöpfung zu schaffen – z.B. irgendeine Form vorhandener Ur-Materie oder Energie –, sondern seine Schöpfung ist voraussetzungslos. Das, was „vorhanden“ ist, ist ausschließlich Gott selbst mit seiner Liebe und Güte. Diese Liebe drängt ihn dazu, sich mit der Schöpfung und dem Menschen ein Gegenüber zu schaffen, mit dem er Gemeinschaft und ein „Liebesverhältnis“ haben kann.
Aufmerksame Leser und Leserinnen werden möglicherweise über die Formulierung „im Glauben an Jesus Christus erkennen wir“ stolpern. Zu Recht: Denn Gott offenbart sich nach biblischem Zeugnis auch in der Herrlichkeit und Abgründigkeit seiner Schöpfung. „Gott offenbart sich überall, im Sonnenschein und Regen“ haben wir in der Jugendarbeit der 80er Jahre gesungen. Und zeitgenössische Zugänge zu „Gott“ sind durchaus oft über die Natur und über das Staunen angesichts der Schönheiten der Schöpfung und der Unfassbarkeit des Universums vermittelt. Die Formulierung hat aber ihren tiefen Sinn: Nur durch die Christusoffenbarung ist das Wesen der Schöpfung, nämlich ihre Erlösungsbedürftigkeit und das Ziel ihrer Vollendung in der neuen Schöpfung am Ende aller Zeiten verstehbar und erkennbar.
Was ich an dieser Stelle der RvG vermisse: Es gibt keinerlei Hinweis auf die Verhältnisbestimmung zwischen Schöpfungsglaube und Naturwissenschaften bzw. eine Lösungsperspektive dieser Spannung aus Glauben heraus. Genau diese Fragen aber bewegen nicht nur Jugendliche, die in der Schule einigermaßen sichere wissenschaftliche Erkenntnisse lernen und in der Gemeinde dann in einer Art Parallelwelt an einen Schöpfer glauben sollen; diese Fragen bewegen genauso Erwachsene – Christen und Nicht-Christen –, die naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Schöpfungsglauben nicht „zusammenkriegen“.
2. Die kontinuierliche Schöpfungstätigkeit Gottes (Creatio continua)
Gleich im zweiten Satz berichtet die RvG von der sich fortsetzenden, kontinuierlichen Schöpfermacht Gottes. Diese bleibende Schöpfertätigkeit wehrt die auch heute oft grassierende Gedankenwelt des sogenannten „Deismus“ ab, der behauptet: Gott hat die Welt zwar geschaffen, dann aber sich selbst und ihrer internen Entwicklung überlassen. Die RvG macht diese kontinuierliche Schöpfermacht an der Schöpfung eines jeden Menschen fest, unterlässt aber jeglichen Hinweis darauf, dass sich auch in Entwicklungsprozessen der Natur und unserer Kultur Gottes fortgesetzte Schöpfertätigkeit zeigen könnte. Die Frage ist eben, ob es sich dabei um interne, rein zweckmäßige Entwicklungsprozesse handelt, wie sie die an sich durchaus plausiblen evolutionstheoretischen Konzepte behaupten, oder ob es sich um die sinngebende und zielgerichtete fortgesetzte Schöpfungstätigkeit Gottes handelt (die sich ja durchaus auch evolutiv zeigen kann): Gottes Ziel ist seine Herrschaft in einer erneuerten und verwandelten Schöpfung.
3. Gott erhält die Welt (conservatio mundi)
Gott bewahrt und erhält die Welt – fraglos hat er dies jedenfalls bis heute getan: Die Schöpfung existiert ja noch. Und dies trotz der Sünde der Menschen und obwohl die ganze Schöpfung seit dem „Sündenfall“ unter dem Bann des Todes, unter dem Gesetz des „Fressens und Gefressenwerdens“ und unter der Bedrohung der Selbstvernichtung steht. Vielleicht haben wir es inzwischen für allzu selbstverständlich genommen: „Gott wird die Welt schon erhalten und bewahren, egal was wir tun.“ Ich selbst kann diesen Satz nicht mehr so vollmundig sagen, sondern nur mit Zittern und Zagen als einen Satz der Hoffnung; denn die Bedrohungsfaktoren für das Überleben der gesamten Schöpfung scheinen aktuell deutlich zuzunehmen.
Die RvG unterlässt es, an dieser Stelle auf die unabdingliche Mitarbeit (Cooperatio) des Menschen bei diesem Unterfangen der Bewahrung der Schöpfung hinzuweisen: Gott möchte die Menschen als Mitarbeiter/-innen bei seinem Projekt „Bewahrung der gesamten Schöpfung und Welt“. Das ist nicht billig zu haben. Und die Verantwortung ist nicht einfach auf Gott abzuschieben. Manchmal frage ich mich, ob Gott nicht irgendwann die Geduld verliert. Ich hoffe es nicht.
4. Gott ist Herr der Geschichte (gubernatio dei)
Gott ist der Herr der Geschichte und aller Völker – auch dieser Satz gehört zum Grundbestand unseres Glaubens an den Gott der Bibel. Aber er wird immer wieder (und im Moment ganz aktuell) fragwürdig. Eine ehrliche Rechenschaft über unseren Glauben müsste diese Fragwürdigkeit zumindest ansprechen und nach dem Realitätsgehalt dieses Satzes fragen. Der hier positiv angeführte „Kulturbefehl“ für die Menschen („Macht Euch die Erde untertan und herrschet über sie“) konterkariert gegenwärtig eigentlich eher die Herrschaft Gottes: Die Menschheit hat sich zum Herren über die Schöpfung, die Geschichte, die Völker aufgeschwungen und Gottes Herrschaft scheint demgegenüber zu verblassen.
5. Dem Bösen Grenzen setzen (Determinatio)
Immerhin – nach biblischer und theologischer Tradition setzt Gott dem Bösen Grenzen, auch wenn der „Sturz der geheimen Götter“ in der Realität noch nicht so recht sichtbar scheint; denn das oder der „Böse“ wirken offenbar häufig ziemlich kräftig. Es bleibt die Hoffnung, dass das Böse durch Gott auch gegenwärtig begrenzt bleibt.
6. Das Ziel der Schöpfung
Das Ziel der Schöpfung ist die Herrschaft Gottes und die „vollkommene Erlösung“, nach der sich alle Kreatur sehnt. Die Konturen dieser „Neuen Welt“ beschreibt die RvG später an entsprechender Stelle. In unserem „Schöpfungstext“ vermisse ich alle Überlegungen dazu, wie sehr Gott auch diese „alte Schöpfung“ liebt, wie sehr sie ein Spiegel seiner Herrlichkeit sein kann und wie sehr sie uns auch jetzt schon zum Staunen, zur Ehrfurcht, zur Anbetung und zum Loben Gottes führen soll. Und dass wir als seine „Mitarbeiter/-innen“ die Verantwortung tragen, ihm seine Schöpfung in möglichst gutem Zustand zurückzugeben, zu seiner Ehre und zu unserem Wohl – bevor er alles neu und vollkommen machen wird.
Einladung zum Weiterdenken:
1. Wie können wir naturwissenschaftliche Erkenntnisse und unseren Glauben vereinbaren?
2. Wie zeigt sich, dass Gott der Herr der Geschichte ist und das Böse begrenzt?
3. Was ist mein Beitrag als Mitarbeiter/-in Gottes in dieser Schöpfung?
Erschienen in: Die Gemeinde 08/2022, S. 14-15.
Ein Artikel von Michael Freitag, Pastor i.R. und bis 2019 Leiter des Referats für Theologie und Jugendforschung bei der Evangelischen Jugend in Deutschland
Kommentare (2)
Reinhard Henkel
am 10.10.2022Volker Warmbt
am 06.05.2022