Vom Glauben erzählen

Mit der „Rechenschaft vom Glauben“ nachdenken, lernen, fragen, streiten, bekennen …

Was ist die „Rechenschaft vom Glauben“ denn eigentlich? Eine Bekenntnisschrift, die hübsch dekoriert im Büro des Generalsekretärs steht, aber sonst keine Relevanz hat? Oder gar eine Lehre, auf die alle verpflichtet werden können? Was steht da überhaupt drin? Und bedeutet das etwas für Glauben und Gemeinde? Wenn ja: Was? Und wie können wir das entdecken?

Mit Bekenntnisschriften tun sich Freikirchler ja irgendwie schwer: Schließlich sind wir frei und da lassen wir uns nicht vorschreiben, was wir denken und glauben sollen. Manche Gemeinden im Bund haben denn auch ihr ganz eigenes Bekenntnis auf ihre Homepage gestellt. Was ist die „Rechenschaft vom Glauben“ eigentlich? Sie ist kein verpflichtendes Bekenntnis, aber doch „Ausdruck und Zeugnis der Übereinstimmung der Gemeinden im Glauben“ (RvG). Sie ist keine verpflichtende Lehre, „kann also nicht selbst Gegenstand des Glaubens oder bindendes Glaubensgesetz sein“ (RvG), aber ist doch eine Zusammenfassung dessen, worauf sie sich verständigt haben. Glaubensgrundlage bleibt die Bibel. Die ‚Rechenschaft vom Glauben‘ wird durch diese „begründet und begrenzt“ und sie bleibt somit „offen für die künftige Bekundung der Wahrheit“ (RvG).

Die „Rechenschaft vom Glauben“ wurde in den Jahren 1974-1977 von einer internationalen Kommission verfasst, an der der Bund der Baptistengemeinden in der Schweiz, der Bund der Baptistengemeinden in Österreich, und die Bünde der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden in der DDR und der BRD beteiligt waren. Alle vier Bünde haben den Entwurf als Bekenntnisschrift, so wie er verfasst worden ist, angenommen. – Lediglich in der DDR wurde der Abschnitt über die Taufe verändert. Der Name ‚Rechenschaft vom Glauben‘ geht auf 1.Petrus 3,15 zurück. Dort heißt es: „Seid jederzeit bereit zur Verantwortung gegen jeden, der Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.“ Und das macht deutlich, wozu das Glaubensbekenntnis formuliert worden ist: Um gemeinsam anderen Menschen ihrer Zeit gegenüber Rechenschaft von ihrem Glaubensverständnis zu geben. In unserem Bund waren Bekenntnisschriften immer situations- und kontextbezogen. Sie waren nie einfache Lehrstücke. So entstand das erste Glaubensbekenntnis, als Julius Köbner nach der ersten Taufe 1837 in der Elbe verhört wurde. Er bekam die Auflage, den Behörden ein Bekenntnis vorzulegen. 1847 sollte eine Basis geschaffen werden, um trotz unterschiedlicher Erkenntnisse gemeinsam unterwegs zu sein. 1944 dann wurde ein verbindendes Bekenntnis von Baptisten, Brüdern und Elim-Gemeinden formuliert. Bekenntnisse in unserem Gemeindekontext hatten also nicht die Intention grundlegende Lehraussagen festzuschreiben, sondern sie wollten den Glauben nach Außen bezeugen, sie wollten im säkularen und im zwischenkirchlichen Kontext erklären, wer wir sind und sie wollten den Zusammenhalt stärken und die Identität fördern. Das ist auch die Grundlage, die zur Entstehung der RvG führte. Als grundlegendes Bekenntnis steht ihr das Apostolische Glaubensbekenntnis voran. Glaubensfundament ist die Bibel. In der ‚Rechenschaft vom Glauben‘ wird nun erläutert und „erzählt“, was das bedeutet. Die RvG unterscheidet sich darum der Form nach deutlich von anderen Glaubensbekenntnissen. Man findet nicht, wie sonst üblich, die typischen Lehrabschnitte „Von Gott“, „Von der Schöpfung“, „Von der Taufe“… Die Themen kommen zwar vor, aber sie werden um einen Hauptbegriff, um ein Leitmotiv versammelt, von dem alles ausgeht: Zentraler Oberbegriff ist die „Herrschaft Gottes“. Von da ausgehend wird alles andere entfaltet, was unseren Glauben ausmacht. Warum ist das so? Adolf Pohl hatte in seiner Rede zur RvG auf dem Bundesrat in Berlin-Weißensee (1978) erklärt, dass in einer Zeit, in der Glaube den Menschen nicht mehr vertraut sei, dieser nicht in einzelnen Artikeln, sondern zusammenhängend, „mit einer Zusammenordnung aller Einzelheiten“ erklärt werden müsse.

Die „Rechenschaft vom Glauben“ ist also nicht ein Bekenntnistext, der irgendwo im Regal steht, sondern sie ist ein Glaubensbekenntnis, mit dem gelernt, nachgedacht und gestritten werden soll. Eigentlich bietet sich der Text an, die Grundlage eines Glaubens-Vertiefungs-Kurses zu sein, anhand dessen die Gemeinden ihren Glauben verstehen und begründen lernen, um darin zu leben. Arbeit mit der RvG verhilft dazu, den eigenen Glauben theologisch fundiert zu diskutieren und zu verkünden. „Als Rechenschaft vom Glauben soll dieses Bekenntnis der gemeindlichen Unterweisung, der theologischen Besinnung und der Verantwortung des Glaubens nach außen dienen“ (Präambel).

Wenn die RvG jetzt wieder neu gedruckt wird, dann eben nicht, um in den Gemeinderegalen zu verschwinden, sondern um in den Gemeinden, Hauskreisen, Bibelstunden, ... damit zu arbeiten. Predigtreihen und Diskussionsforen können gestaltet werden. Dabei werden die Aussagen in der RvG gründlich durchbuchstabiert werden müssen. Dadurch wird der Glaube sprachfähig innerhalb der Gemeinde und auch den Nachbarn und Freunden gegenüber. Manche Aussagen werden Widerspruch hervorrufen. Auch das ist gut, denn die RvG ist keine festlegende Bekenntnisschrift, sondern sie „bleibt offen für künftige Wahrheit“ (Präambel). Und gerade in der Auseinandersetzung wächst Identität und reift der Glaube. „Die ‚Rechenschaft vom Glauben’ kann uns heute den Dienst tun, dass sie uns mit dem Nacherzählen der biblischen Aussagen vom Heilshandeln Gottes – unter dem Leitwort der Gottesherrschaft – aus theologischer und geistlicher Anspruchslosigkeit herausruft. … (dass wir) neu das Leben unter der Gottesherrschaft in seiner Fülle wie in seiner Eindeutigkeit wagen … (und) glaubwürdig zu leben und bekennen lernen“ (Edwin Brandt 1984).

Wenn die „Rechenschaft vom Glauben“ nun als Printversion neu erscheint, dann lohnt  es sich, in den Gemeinden damit zu arbeiten, vielleicht jedem Mitarbeitenden eine Ausgabe zu schenken und sie zur Grundlage für eine Mitarbeiterschulung zu machen. Auch im ökumenischen Gespräch ist die RvG eine hilfreiche Basis, um zu erklären: Das ist es, was Baptisten- und Brüdergemeinden glauben. Im ökumenischen Dialog wird dabei besonders wahrgenommen, dass wir mit unserer Bekenntnisschrift im Dialog stehen (Erich Geldbach). Denn die RvG ist kein fertiges Produkt für den Bücherschrank, sondern sie ist ein Auftakt: Sie erzählt vom Glauben und der Herrschaft Gottes, damit Gemeinden über die Bibel ins Gespräch kommen. Gemeinden sollen mit der RvG nachdenken, lernen, fragen, streiten, ihren Glauben bekennen, … Und wenn wir das im Bund gemeinsam tun, verbindet uns die Auseinandersetzung mit der „Rechenschaft vom Glauben“.

Bereits vor einiger Zeit in Die Gemeinde erschienen.

Ein Artikel von Andrea Kallweit-Bensel, BEFG-Präsidiumsmitglied, Pastorin, Dozentin an der BTA Wiedenest