Ein unkonventioneller Blick auf die Reformation: Professor Dr. Andrea Strübind und Carsten Hokema vor der Ausstellung

„Reformation - #dagehtwas!“

Interview mit Prof. Dr. Andrea Strübind zur Ausstellung

Es wird 2017 Ausstellungen zur Reformation wie Kieselsteine am Meer geben. Warum sollte man sich „Reformation - #dagehtwas!“ anschauen?
A. Strübind: Diese Ausstellung riskiert einen unkonventionellen Blick auf die Reformationsgeschichte. Sie konzentriert sich nicht nur auf Luther, wie das so häufig in den Veröffentlichungen und Veranstaltungen zum Reformationsjubiläum gerade in Deutschland geschieht.  Sie legt den Fokus darauf, dass die Reformation von Beginn an vielfältig war. Daher werden nach einer kurzen Einführung die drei Hauptströme der Reformation präsentiert, zu denen auch das oft vernachlässigte Täufertum gehört. Reformation ist auch viel mehr als die Gedankenwelt oder die Theologie der großen Reformatoren. Sie hat eine Botschaft gehabt, die erstaunlicherweise von allen Schichten der damaligen Bevölkerung aufgenommen wurde: Ob Adliger, Bürgerin oder Bauer, Gelehrte oder Ungebildete, Arme oder Reiche, Männer oder Frauen. Diese Dynamik greift unsere Ausstellung auf, indem sie weit über eine geschichtliche Darstellung hinausgeht und danach fragt, wie aktuell die reformatorischen Prinzipien heute sind.

Was war für Sie das Herausfordernste bei der Konzeption der Ausstellung?
A. Strübind: Für mich war das Schwierigste, die theologischen Grundprinzipien, wie z.B. das Prinzip ‚sola gratia’, allein aus Gnade, in eine verständliche Sprache zu fassen und sie mit der heutigen Lebenswirklichkeit zu verbinden. Die Menschen in der frühen Neuzeit haben anders geglaubt und gedacht als wir das heute tun. Sie hatten eine völlig andere Vorstellung von der Welt, von Gott und von ihrer Zukunft. Es herrschte ein anderes Lebensgefühl. Als Ausstellungsmacher fragten wir uns: Wie kann man das Freiheitspotential der reformatorischen Theologie heutigen Menschen verständlich machen? Das war ...anstrengend.

Die Menschen suchen heute keinen gnädigen Gott mehr, sie fragen schon danach, was sie im Leben hält und auf was sie hoffen dürfen, aber die Verhältnisbestimmung zwischen dem richtenden Gott und dem sündigen Menschen, das sind Vorstellungen, die heute nur noch schwer vermittelbar sind.

Wie vermittelt die Ausstellung den „gnädigen Gott“?
A. Strübind: Sie versucht es auf verschiedenen Ebenen. Auf der einen Seite lässt sie die Reformatoren durch ausgewählte Zitate selbst zu Wort kommen, auf der anderen Seite erläutert sie die gemeinreformatorischen Prinzipien wie die Schriftautorität, das allgemeine Priestertum, die Alleinwirksamkeit der Gnade aus der Sicht der reformatorischen Theologie und übersetzt diese Inhalte in heutige Sprache und Denkwelten.

Die letzte Ebene ist dann eine Einladung, von der Beschäftigung mit der Theologie zur persönlichen Erfahrung überzugehen. Es werden aktuelle Glaubenszeugnisse von Christenmenschen präsentiert und zu einigen Themen auch Beteiligungsmöglichkeiten zum Mitmachen angeboten.

Ich glaube dass diese Mischung von verschiedenen Zugängen den besonderen Reiz dieser Ausstellung ausmacht.

Auf den Roll-Ups sind geschichtliche und theologische Texte zu finden, die durch Bilder illustriert werden. Das lädt den Besucher ein, sich Zeit zu nehmen und selbst auszuwählen, wo er verweilen und nachlesen möchte. Das Ganze ist aber nicht im Schnelldurchgang zu schaffen, sondern braucht Zeit.

Wenn Sie auf das Jubiläumsjahr 2017 schauen, dann...
A. Strübind: ...dann habe ich den Eindruck, dass gerade in Deutschland die große Chance bisher verpasst wurde, das Reformationsjubiläum zu einem ökumenischen Ereignis zu machen. Die Besinnung auf die Vielfalt und Dynamik der Reformation hätte meines Erachtens eine andere Feierchoreographie und Gedenkkultur verdient. Ich bin heute noch, obwohl ich schon seit vielen Jahre Reformationsgeschichte an der Uni lehre, fasziniert und begeistert von einem Zeitalter, in dem Glaubensfragen auf dem Marktplatz diskutiert wurden und Menschen aufgrund dieser kirchlichen Erneuerungsbewegung ihr Leben völlig neu ausgerichtet haben.

Die Ausstellung hat als durchgängiges Gestaltungsmotiv einen Bau- oder Bretterzaun, wie er in vielen Städten auch heute zu sehen ist. Das ist das Symbol für die öffentliche Wirkung der Reformation damals und heute. Wir hoffen, dass das Reformationsjubiläum auch zu einer solchen öffentlich diskutierten Sache wird.

Ich glaube, dass diese Ausstellung etwas von der aufregenden Botschaft der Reformation vermitteln kann, zum Nachdenken einlädt und Orientierung bietet in schwierigen Zeiten.

Danke für das Interview.

Andrea Strübind ist Professorin für Kirchengeschichte und Historische Theologie am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik an der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg.
Die Fragen stellte Carsten Hokema, Referent für Norddeutschland im Dienstbereich Mission des BEFG.