Vorwort Bund aktuell Nr. 1 | 7. Januar 2021

Liebe Leserin, lieber Leser,

wir sind am Anfang eines neuen Jahres. Wie es wohl werden mag? Wer hätte im Januar vor einem Jahr gedacht, dass das nun vergangene Jahr so werden würde, wie es dann geworden ist? Hoffentlich können wir auf die vergangene Zeit auch mit Dankbarkeit blicken und nicht nur Defizite benennen und Einschränkungen und Herausforderungen beschreiben, die uns durch ein Virus widerfahren sind. Dankbarkeit ist eine Haltung, die die Seele atmen lässt, die frischen Wind in das Leben bringt, die die Dinge ins richtige Verhältnis setzt.

Mit Dankbarkeit auf das Vergangene blicken, lässt manches leichter ertragen und macht gleichzeitig den Blick nach vorne frei. Und da schleicht sich ein neuer Begriff in die Wahrnehmung. Es ist das Wort Barmherzigkeit, das uns mit der neuen Jahreslosung nahegebracht wird: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lukas 6,36).

Eigentlich nutzen wir das Wort Barmherzigkeit umgangssprachlich eher selten. Andere Begriffe haben dieses alte Wort abgelöst. Mitleid, Fürsorge, Empathie, Einfühlungsvermögen, Solidarität, Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe werden als Synonyme benutzt. Ich finde noch andere Wesensmerkmale, die sich um dieses Wort Barmherzigkeit ranken. Großzügig sein, freundlich und nachgiebig, immer versehen mit Hoffnung und der Erwartung von Veränderung. Wer barmherzig ist fühlt sich ein, denkt mit und handelt entsprechend.

Jesus hat das Wort von der Barmherzigkeit gesagt. Es ist eine Aufforderung so zu handeln, gegen eine Ellenbogenmentalität, gegen das Durchsetzen von Eigeninteressen, gegen Ausgrenzung und Stigmatisierung von Menschen. Das sage ich auch mit Blick auf die Ereignisse, die gestern in Washington passiert sind. Als Christinnen und Christen sind wir zur Versöhnung aufgerufen und nicht zur Spaltung. Wir sind gehalten, das Beste für die Stadt und das Land zu suchen und nicht den jeweils eigenen Vorteil. Wir sind barmherzig in aller Unbarmherzigkeit, die es nicht nur in den USA, sondern überall auf der Welt gibt. Auch bei uns. Fast übermenschlich, könnte man denken, wenn da nicht der zweite Satzteil wäre. Die Aufforderung, die an uns geht, ist keine schnöde Pflicht oder schwere Last, es ist eben auch ein Zeichen von Dankbarkeit an Gott, der sich uns Menschen gegenüber barmherzig gezeigt hat.

Wenn ich auch dies dankbar in mein Leben aufnehmen kann, dann werde ich mein eigenes Handeln an Menschen, vom Handeln Gottes mir gegenüber ableiten können. Dann eröffnet sich eine Perspektive in ein neues Jahr, von dem wir nicht wissen, wie es werden wird. Corona wird uns jedenfalls noch eine Weile begleiten, aber wir, die wir Gottes Leute sind, sind in erster Linie zur Verkündigung und zum Vorleben des Evangeliums berufen.

Das tun wir, im Vertrauen auf Gott, mit Achtung vor denen, die Entscheidungen treffen, mit tiefem Respekt vor Menschen, die unmittelbar helfen und mit Dankbarkeit dafür, dass Gott uns in seiner Barmherzigkeit Jesus Christus geschenkt hat und damit ein Leben mit Perspektive. Mit dieser Zuversicht gehen wir in das neue Jahr.

Michael Noss
Präsident