Vorwort Bund aktuell Nr. 2 | 2. Februar 2023
Liebe Leserin, lieber Leser,
Christoph Stiba: In diesem Monat am 24. Februar jährt sich der Tag des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine. Millionen Menschen sind seitdem aus der Ukraine geflohen und haben in anderen Ländern Zuflucht gefunden. Auch hier in Deutschland, auch bei Gemeinden und Familien aus unserer Bundesgemeinschaft. Zwei Familien haben Wohnungen bei uns auf dem Campus in Elstal bezogen. Mit einer der Familien habe ich mich getroffen und sie haben erzählt wie sie den 24. Februar 2022 erlebt haben.
Liudmyla: Am 24. Februar wachte ich um 5 Uhr morgens als erste unserer Familie von den Explosionen auf. Ich weckte meine Tochter, meinen Mann. Ich sagte: „Steht auf! Ich glaube, der Krieg hat angefangen." Wir haben innerhalb von 10 Minuten unsere Koffer und Sachen gepackt und nach 15 Minuten waren wir bereits im Auto und verließen Kiew. Dafür haben wir 8 Stunden gebraucht, denn ganz Kyjiv stand im Stau, es sah aus wie Armageddon.
Anna: Vor meinem Umzug vor Kriegsbeginn habe ich in Odessa gelebt und an der Kyjiver Nationaluniversität studiert. Ich habe gearbeitet, ich hatte viele Freunde, ich habe am Meer gelebt... Es war ein sehr gutes Leben. Ich war selbstständig, bin bereits von meinen Eltern weggezogen. Aber das währte nicht lange. Zwei Jahre und dann begann der Krieg. Am 24. Februar rief mich meine Mutter um 6 Uhr morgens aus Kyjiv an. Sie sagte: „Anja, pack deine Sachen, wir fahren nach Lwiw.“
Liudmyla: Damals war ich bereits im vierten Schwangerschaftsmonat. Ich glaube, diese Schwangerschaft hat mir geholfen, stark zu bleiben. Ich fühlte mich verantwortlich für meine Kinder. Deshalb haben wir schnell die Sachen gepackt und uns auf den Weg gemacht.
Christoph Stiba: Auch ich habe die Bilder und Berichte aus jenen Tagen noch lebhaft vor Augen – Sie und Ihr vielleicht auch. Die Fassungslosigkeit, dass ein solcher Krieg im 21. Jahrhundert in Europa möglich ist. Der Schrecken, dass dieser Krieg direkt vor unserer Haustür geschieht und die Hilflosigkeit, diesem Wahnsinn scheinbar tatenlos zusehen zu müssen. Genauso lebhaft habe ich aber auch noch vor Augen, wie schnell sich in dieser Zeit eine unglaubliche Welle der Hilfsbereitschaft entwickelt hat. Viele Menschen hießen die Geflüchteten an den Bahnhöfen willkommen, nahmen fremde Leute bei sich auf, unterstützten sie mit Essen, Kleidung und Wohnraum.
Vasyl: Da ich zu Sowjetzeiten aufgewachsen bin, habe ich solchen Umgang mit uns seitens der Deutschen nicht erwartet. Ich glaube, dass dies Gottes Werk ist – Menschen zu verändern und ihnen ein gutes Herz zu schenken, dass sie geben und helfen können.
Hanna: Wir fühlten Fürsorge und Liebe und die Hand Gottes von allen Seiten: von Kindern, von Enkelkindern und von den Menschen, die hier leben.
Vasyl:Ich hatte sofort das Gefühl, dass die christliche Liebe, die wir zu Hause in der Ukraine weitergaben, hier auf eine ähnliche Weise zu uns zurückkehrte. Wir fühlten, dass wir hier nicht fremd sind, dass wir unter unseren Nächsten sind.
Christoph Stiba: Nun ist ein Jahr um, aber ein Ende des Krieges scheint noch lange nicht in Sicht. Die Diskussionen um Waffenlieferungen in die Ukraine gehen weiter, unsere Hilfstransporte von German Baptist Aid fahren regelmäßig, um neue Lebensmittel, warme Kleidung, und Generatoren zu liefern. Gerade jetzt, während ich dieses Vorwort für Bund aktuell einspreche, wird wieder ein LKW beladen. Und den Geflüchteten – wie geht es ihnen nach einem Jahr hier in Deutschland?
Liudmyla: Unterwegs dachten wir, wir würden maximal für einen Monat wegfahren. Und in einem Monat würden wir in die Ukraine zurückkehren und alles wäre gut. Aber es vergingen Monat für Monat, Tag für Tag, und jetzt ist das Ganze fast ein Jahr her.
Amaliia: Miriam und ich gehen in die erste Klasse. Im Hort gehe ich mit Miriam zum Spielplatz und wir schaukeln zusammen oder mit anderen Mädchen.
Miriam:Aurora kommt aus Russland und Rimma aus der Ukraine. Und es gibt noch ein Mädchen aus Polen.
Anna: Wir sind hier in Sicherheit, die ganze Familie ist zusammen. Ich denke nicht, dass wir hier sterben werden. Um weiterzuleben, um mit Menschen kommunizieren zu können, habe ich Deutschkurse belegt. Wir haben hier auch eine Kirche gefunden, die wir mit der ganzen Familie besuchen. Ich betreue dort die Kinder in der Sonntagsschule. Ich habe hier in Deutschland online mein Studium abgeschlossen, habe jetzt einen Bachelorabschluss und habe vor, hier noch einen Masterabschluss zu machen, um mein Leben neu aufzubauen.
Liudmyla: Ukrainische Familien wurden getrennt: Die Männer blieben in der Ukraine, während Frauen und Kinder auswanderten. Das wäre nicht schlimm, wenn es für einen oder zwei Monate wäre, aber wir sind jetzt seit fast einem Jahr von unseren Familien getrennt. Das ist natürlich wohl das Schwerste für uns, was passieren kann. Deshalb beten wir dafür und träumen davon, dass der Krieg bald endet. So werden Familien wieder zusammenkommen, ukrainische Gebiete wiedervereinigt und wir werden unser Land, unsere Häuser und unsere Familien wiederaufbauen.
Hanna: Ich persönlich möchte zuallererst Gott danken und ihm Ehre geben. Und zweitens möchte ich in diesem Land nützlich sein. Wir wissen noch nicht wie, aber als Christen wollen wir nicht nur für unsere Familie, sondern auch für andere Menschen da sein. Ich bitte alle darum, für die Ukraine zu beten. Der Glaube ohne die Werke ist tot.Wir erfahren hier sowohl Glauben als auch Werke.
Christoph Stiba: Das wollen wir tun: Beten. Für die Menschen in der Ukraine, die unter dem Angriffskrieg leiden. Für Eltern und Ehepartner und Kinder auf beiden Seiten, die ihre Söhne und Töchter, ihre Ehepartner und Mütter und Väter durch völlig sinnlose Gewalt verlieren. Für die Opfer und für die Menschen, die Menschen so etwas antun. Dabei geht es mir so, dass bei all den politischen Überlegungen zu Waffenlieferungen derzeit ein Wort erschreckend selten zu hören ist: Frieden. Es ist daher gut, dass in diesen Tagen der Ökumenische Rat der Kirchen dazu aufgerufen hat, für Frieden zu beten und sich aktiv dafür einzusetzen. Zum Beispiel indem es weiterhin Gespräche mit der russischen Staatskirche gibt und Christen in Russland unterstützt werden, sich gegen den Krieg zu stellen.
Deshalb lade ich alle Gemeinden ein, am 26. Februar in ihren Gottesdiensten für den Frieden zu beten. Für die Menschen in der Ukraine und für die aus der Ukraine geflüchteten Menschen. Und auch für Menschen in Russland, die um ihre Angehörige trauern müssen. Und für die Christen in beiden Ländern und weltweit, dass sie sich für Frieden einsetzen. Für den Gottesdienst werden wir am 9. Februar mit Bund kompakt einen Vorschlag für ein Gebet verschicken sowie ein Video zur Ukraine-Hilfe mit weiteren Informationen auch über Spendenmöglichkeiten.
Und auch am 24. Februar, am Jahrestag des Angriffs auf die Ukraine, soll in einem breiten Netzwerk u.a. von ACK und Evangelischer Allianz in unseren Städten vor den Kirchen und Rathäusern und auch gemeinsam online gebetet werden. Mehr Informationen dazu findet Ihr unter www.deutschlandbetet.de.
Miriam: Ich habe am Samstag Geburtstag.
Liudmyla: Was ist dein Geburtstagswunsch?
Miriam: Dass der Krieg zu Ende ist. Das ist alles, worum ich Gott bitte.
Liudmyla: Und warum?
Miriam: Weil ihr (Erwachsene) das nicht machen könnt...