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Anderen christlichen Traditionen auf der Spur

INSPIRIERT LEBEN in der Ökumene

Sich von anderen christlichen Traditionen und Ausdrucksformen inspirieren lassen, das ist die dritte Säule des Jahresthemas „INSPIRIERT LEBEN … dass Christus Gestalt gewinnt“. BEFG-Pastor Dr. Thomas Illg berichtet von seiner Auseinandersetzung mit anderen Konfessionen.

Im jungen Hamburger Stadtteil Hafencity gestalten Menschen aus 21 Kirchen das Ökumenische Forum. „2 aus 21“ ist eine Veranstaltungsreihe, die zwei Mitgliedskirchen ins Gespräch bringt. Nach einer gemeinsam gestalteten Andacht soll im Gespräch der Kirchenvertreterinnen und -vertreter die Verschiedenheit in der Einheit der Kirchen sichtbar werden und sicher auch die Einheit in der Verschiedenheit. An den Abenden bisher trafen Anglikaner auf Altkatholiken, römisch-katholische Geschwister auf Herrnhuter, die Evangelisch-lutherische auf die Methodistische Kirche. Die letzte Kirchenpaarung bildeten die Serbisch-orthodoxe Kirche und die Reformierte Kirche in Hamburg, um über theologische Kernthemen und charakteristische kirchliche Traditionen ins Gespräch zu kommen. Ein wichtiges Thema war die unterschiedliche Bedeutung von Bildern in beiden Kirchen. Während Ikonen im Bereich orthodoxer Spiritualität große Bedeutung haben, sieht die reformierte Tradition aus theologischen Gründen keine Bilder in Kirchen vor. Bilderfülle trifft auf gestalterische Schlichtheit. Beide Zugänge sind theologisch begründet. Das bietet die Chance, dem geistlichen Gehalt der fremden Tradition auf die Spur zu kommen. Der Reiz des Fremden kann neugierig machen. Es kann im Glauben der anderen aber auch eine Verheißung aufleuchten, die einer Sehnsucht im eigenen Glaubensleben die Hand reicht. Menschen beobachten, dass die offene Begegnung mit anderen christlichen Traditionen zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der eigenen Spiritualität führt. Im Gespräch mit anderen wird das eigene Profil klarer. Diese vergleichende Sicht führt nicht allein zu einer Bewertung der anderen Tradition, sondern auch der eigenen; und die muss nicht zwangsläufig positiv ausfallen.

Nicht erst heute suchen Menschen in den vielfältigen kirchlichen Landschaften nach Formen und Ausdrucksmöglichkeiten geistlichen Lebens. Die Meditation in ihrer geschichtlichen Vielfalt haben viele Christinnen und Christen als geistliche Übung für sich entdeckt. Sie haben für sich einen Schatz gehoben, der lange verdeckt war, aber immer schon zur Kirche gehörte. So unterschiedlich Formen und konfessionelle Hintergründe meditativer Übungen sein mögen, es geht im Kern um das Warten auf Gott und darum, in Gottes Gegenwart gegenwärtig zu sein. Aus baptistischen und anderen freikirchlichen Kontexten stammende Menschen finden Gefallen an Traditionen, die Wurzeln im klösterlichen Leben haben. Sie nehmen eine geistliche Begleitung in Anspruch, lassen sich ausbilden als geistliche Begleiterinnen und Begleiter. Sie setzen sich nicht nur intensiv mit den alten Schätzen geistlicher Übungen auseinander, sondern mit ihrem eigenen geistlichen Leben. Andere entdecken die schlichte Form des Jesus-Gebets. Mit dem Ein- und Ausatmen beten sie: Jesus Christus. So gelingt es ihnen besser, in den multiplen Anforderungen des Alltags im Gebet und geistlich konzentriert zu sein.

Welche Elemente einer freikirchlichen oder baptistischen Spiritualität nennen wir im Gespräch mit anderen Kirchen? Die besondere Bedeutung des Priestertums aller Glaubenden, Gebetsgemeinschaften, die persönliche Stille Zeit oder unsere freiheitliche Weise, Gottesdienste zu gestalten? Vielleicht bringt uns das Fehlen liturgischer Agenden gerade dazu, die liturgischen Bücher der anderen aufzuschlagen, um nach Gebeten und Texten mit Tiefgang zu suchen. Viele Aspekte freikirchlicher Spiritualität scheinen sich um das Bekennen des Glaubens zu drehen. Wir legen Wert auf die Bekehrungsgeschichte eines Menschen. Die Hinwendung zu Christus wird öffentlich vor der Gemeinde bezeugt, und im Verständnis von Taufe und Abendmahl ist uns der Bekenntnisaspekt wichtig. Diese Einschätzung teilen wir übrigens mit der reformierten Theologie. Mir ist die Beschäftigung mit meditativen Texten und geistlicher Lyrik aus dem Luthertum des 17. Jahrhunderts wichtig geworden. Das Gesangbuch hält einige Texte aus dieser Zeit bereit. Autoren und auch Autorinnen halten in ihren Gebeten, Liedern, Predigten und Andachten engen Kontakt zu biblischen Texten, und sie begreifen sich, konfessionelle Grenzen überwindend, als Teil einer größeren Lesegemeinschaft. Sie schöpfen aus Werken der spätmittelalterlichen Mystik oder aus antiken christlichen Quellen. Das Ergebnis zeugt nicht von Verwirrung oder Wahllosigkeit, eher wird die ganze Breite menschlicher Erfahrungen in das geistliche Leben einbezogen und mit biblischen Worten in Kontakt gebracht. Glauben meint hier Zutrauen zu Gott und Vertrauen auf die Verheißungen Gottes.

Darin finde ich das schöpferische, helfende und heilende Handeln Gottes, das Ursprung des Bekennens ist. Hier steht nicht der Glaube oder die Bekehrung an erster Stelle, sondern Gottes Handeln, das Glauben weckt. Nicht das Bekennen der feiernden Gemeinde steht im Vordergrund, sondern Gottes Wort an seine Menschen. Gottes Handeln ist immer der Anfang christlicher Spiritualität, das wird mir in der Beschäftigung mit dieser Glaubenstradition deutlich. Und das kann entkrampfend wirken: Wenn Gott sich zu seinen Kindern bekennt, dann muss der Glaube nicht durch das eigene Bekennen hervorgebracht werden. Ist das Baptisten gänzlich fremd? Bestimmt nicht. Vielmehr bringt auch hier eine andere christliche Tradition mit ihren Worten zum Ausdruck, was mir wichtig geworden ist. Sie erweist sich als Korrektiv und macht auch kritikfähig im Umgang mit der eigenen Glaubenskultur. Das finde ich inspirierend.

Im Herbst könnte wieder „2 aus 21“ stattfinden, dann mit baptistischer Beteiligung. Welche der anderen Kirchen dann wohl mit am Tisch sitzt?

Ein Artikel von Dr. Thomas Illg