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Das „Jüngste Gericht“ muss sein!

Ist der Glaube ans Gericht in der Krise?

Der Christus zur Rechten Gottes wird kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Das bekennt die Christenheit. Dass es ein Gericht geben muss und geben wird, entspricht dem Glauben an den einen, gerechten Gott. Und wie geht das aus?

An das Thema „Gericht“ gehen wir nicht unbefangen. Bekenntnisse, Vorstellungen und Bilder aus der Kirchengeschichte stecken in uns. Man kann sich darüber streiten. Weil die „letzten Dinge“ nicht in unserer Hand sind, bringt das nicht viel. Aber irgendwie muss ja zum Ausdruck gebracht werden, was man aufgrund des biblischen Zeugnisses glaubt.

Schon die frühe Kirche diskutierte, was zu glauben sei: der Glaube an das ewige Heil für die einen und die ewige Gottesferne für die anderen. Oder der Glaube, dass letztlich alle Welt im Frieden Gottes ankommt. Im Jahr 553 hat das Konzil von Konstantinopel festgelegt, dass die Lehre der „Allversöhnung“ (in der Ewigkeit wird alles für alle gut) als Ketzerei zu verwerfen ist. Der Glaube an ein Fegefeuer, das auch die Bösen für den Himmel reinigt, bot ein Schlupfloch. Man mochte es dann doch irgendwie nicht glauben, dass Fehlverhalten und das fehlende irdische Bekenntnis zu Christus auf ewig Gottesferne verursachen.

Wer das Neue Testament zum Thema „Gericht“ befragt, trifft auf Vielfalt: Es ist dem Menschen gesetzt zu sterben, danach kommt das Gericht. Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi. Wer den Sohn hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht. Gott wird sich aller Menschen erbarmen und ihnen das Heil schenken. Was also soll die christliche Gemeinde bekennen? Am Ende der Zeiten sind die einen im Himmel und die anderen in der Finsternis? Oder zum Schluss gibt es Heil und Frieden auf der ganzen Linie?

Das Gericht muss es geben um Gottes willen. Es geht auf dieser Welt nicht gerecht zu. Das Problem löst sich auf Erden und zu Lebzeiten nicht. Wir sterben über den Zuständen und Umständen dahin. Wenn Gott in dieser Zeit keine Gerechtigkeit schafft, muss es im Jenseits geschehen.

Gericht muss es aber auch um des einzelnen Menschen willen geben. Herr, schaffe mir Recht, ist biblisches Gebet. Da geht es nicht um abstrakte Fragen zum Gericht Gottes. Wir sehen, dass Menschen ihrer Würde beraubt wurden. Menschen ertrinken, verhungern, sterben in Kriegen, Katastrophen und bei Unglücken. Muss Gott nicht dafür sorgen, dass es eine ausgleichende Gerechtigkeit gibt? Gericht muss es geben, damit der leidende Teil der Menschheit, ob in der Vergangenheit oder in der Gegenwart, zu seinem Recht kommt. Unser Glaube an einen gerechten Gott führt zwangsläufig zur Frage nach einem letzten Gericht. Dass es ein Gericht geben wird und geben muss, darauf kann man sich aufgrund der biblischen Texte einigen.

Aber wie geht es aus? Mit dem Augenblick des Todes ist ein Leben „un-widerruflich“ (Otto Weber). Man kann nichts mehr dazu tun, nichts mehr weg tun, nichts mehr in Ordnung bringen. Es steht dann abschließend fest mit allem, was gut war, und mit allem, was böse war. All das kommt einst zur Sprache. Dass es im Gericht ein Urteil geben wird, ist auch klar. Was wird dabei herauskommen? Schuldig! Wir wissen, dass wir schuldig geworden sind und dass wir schuldig geblieben sind. Neben den vielen individuellen Zusammenhängen leben wir in ungerechten Strukturen dieser Welt. Wir werden gegen unseren Willen mitschuldig. Auf der anderen Seite war in einem Leben auch nicht alles schlecht und böse. Auf manches könnte man auch stolz sein. Aber das soll man ja nicht.

Also schuldig sind wir. Spannend wird ja dann die Frage nach dem Strafmaß. Oder nach den mildernden Umständen. Oder nach einer Auf- und Verrechnung der Ereignisse eines Lebens. Mit solchen Überlegungen sind wir in Teufels Küche gelandet. Wir können das ja nicht voraussehen, was und wie der Richter der Völker klären wird. Wir sind keine Sachverständigen oder Gutachter, keine Staatsanwälte, keine Ankläger und keine Verteidiger. Wir können uns Gottes richtendes Handeln nur so vorstellen, wie wir altes orientalisches oder abendländisches oder neuzeitliches Gerichtswesen kennen. Aber ist es angemessen, Gottes Richten mit irdischen Prozessordnungen zu vergleichen?

Die „Rechenschaft vom Glauben“ bringt die neutestamentliche Ambivalenz zum Ausdruck: „Wer Gottes Liebe verwirft, den wird Gott verwerfen.“ Und: „Wir preisen die Liebe Gottes, dessen Wille das Heil der Welt ist.“ Wir können es nicht wissen, wie Gott letztendlich entscheidet. Wenn er es wirklich tut, dass Menschen ewig verdammt sind – können wir ihn hindern? Und wenn er es wirklich tut, dass jedes Leben in ihm heil wird – wäre das nicht ein Grund zur Freude? Die Rechenschaft bekennt sich zu beiden Möglichkeiten, ohne die Spannung ausdrücklich zu benennen. Und sie vermeidet es, es besser zu wissen als die Vielstimmigkeit der Heiligen Schrift. Die alten Lager von „Allversöhnung“ und „ewiger Verdammnis“ stehen sich weiter gegenüber. Wobei im evangelischen Mainstream inzwischen der Glaube an eine Hölle verketzert wird.

Christen vertrauen, dass sie aus der Gemeinschaft mit Gott nichts reißen kann. Das ist unwiderruflich. Aber wird auch eine bewusste oder unbewusste Ablehnung Gottes mit dem Tod unwiderruflich? Soll der Zeitpunkt des Todes oder gar der Tod selbst das Recht haben, das letzte Wort über unsere Ewigkeit zu sprechen?

Wie man in Sachen Ausgang des Gerichts glaubt, hat natürlich Auswirkungen auf die Verkündigung. Wer an ewige Verdammnis glaubt, wird retten wollen, was sich retten lässt. Wer an Gottes ewige Liebe glaubt, wird Menschen genau dahin einladen. Ich glaube, dass Menschen ihre Gemeinschaft mit Gott, die ihnen durch Jesus Christus geschenkt wurde, in die Ewigkeit mitnehmen. Wer an Jesus glaubt, der ist gerettet. Dieser Glaube trägt im Leben und im Sterben. Und was ist nun mit denen, die einen solchen Glauben nicht fanden? Das Urteil über die Ewigkeit anderer Leute sollten wir dem überlassen, dem wir für unser Diesseits verantwortlich sind.

Einladung zum Weiterdenken

  • Die Rede von Gott als dem Richter scheint aus der Mode gekommen zu sein. Warum eigentlich? Und wie kann man heute angemessen vom richtenden Handeln Gottes sprechen?

  • Wie kann man Menschen begleiten, die einen geliebten – aber ungläubigen – Mitmenschen oder Angehörigen verloren haben?

  • Warum interessiert es überhaupt, wie das Gericht für andere ausgeht?

  • Welche Bedeutung hat der Gedanke an eine letzte Verantwortung vor Gott in der praktischen Gestaltung meines Glaubens und des Lebensstils?

Erschienen in: Die Gemeinde 25/2022, S.12-13.

Ein Artikel von Uwe Dammann, Pastor der EFG Berlin-Köpenick