Gino Emnes als Martin Luther King bei der Aufführung des Chormusicals 2019 in Dortmund

Foto: Stiftung Creative Kirche

Du bist ein Gott, der mich sieht

Erinnerung an Martin Luther King jr.

Am 15. Januar wäre Martin Luther King 94 Jahre alt geworden. Für die Bürgerrechtsbewegung in den 1950er und 1960er Jahren war er eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigste Persönlichkeit überhaupt. Er gilt als Wegbereiter für den Civil Rights Act zur Aufhebung der Rassentrennung und den Voting Rights Act, ein Gesetz, durch das die Benachteiligung von Minderheiten bei der Teilnahme an den US-Wahlen aufgehoben werden sollte. Der Baptistenpastor stand und steht für das Prinzip der Gewaltlosigkeit. Er wurde 1968 im Alter von nur 39 Jahren ermordet. Auch 55 Jahre nach seinem Tod lohnt es sich, sich an ihn zu erinnern.

„Du bist ein Gott, der mich sieht“ lautet die Jahreslosung für dieses Jahr. Hagar, der Magd Abrahams und Sarahs, werden diese Worte zugeschrieben, als sie – erst gebraucht und dann verstoßen –  schwanger und allein in der Wüste saß. Sie war eine Sklavin, rechtlos, mittellos und Abraham und Sarah willkürlich ausgeliefert. Martin Luther King jr. war keine Magd, auch kein Fremdling oder Flüchtling – so die Bedeutung des semitische Namen Namens Hagars. Sein Urgroßvater war zwar noch als Sklave nach Amerika gekommen, aber Martin Luther King hatte seinen Beruf frei wählen dürfen, war gut ausgebildet und finanziell abgesichert. Und trotzdem hatte er nicht dieselben Rechte wie andere – weiße – US-amerikanische Bürger und wurde nicht gleich behandelt. Mit seinem besten Freund aus Kindertagen durfte er nicht mehr spielen, nachdem der weiße Junge eine andere weiterführende Schule besuchte als er selbst. Öffentliche Einrichtungen verfügten über getrennte Eingänge für „white people“ und „coloured people“, es gab getrennte Sitzplätze im Nah- und Fernverkehr, getrennte Parkbänke und unterschiedliche Behandlung der Menschen vor Gericht – je nachdem welche Hautfarbe sie hatten.

Kings Glaube an Gott und die Botschaft der Bibel waren Ursprung und Grundlage für seinen lebenslangen Kampf gegen diese Ungerechtigkeiten. Bei Gott „finden sich Gefühl und Wille sowie Antworten auf die tiefsten Sehnsüchte des menschlichen Herzens. Dieser Gott hört und erhört unser Gebet“, schrieb er einmal. „Du bist ein Gott, der mich sieht“ war für Martin Luther King aber nicht nur die individuelle Zusage an einen einzelnen Menschen, sondern an die Gesellschaft und schließlich an die Menschheit weltweit. Deshalb beschränkte er sich nicht auf den Kampf gegen die Rassentrennung, sondern sprach sich auch gegen den Krieg in Vietnam aus, wollte den Armen eine Stimme geben und die soziale Ungerechtigkeit bekämpfen. Und deshalb bezog er die Aufforderung aus dem Matthäusevangelium „Liebet Eure Feinde“ sowohl auf zwischenmenschliche als auch auf politische Beziehungen.

Kings Berufsleben begann mit einer Pastorenstelle in der Dexter Avenue Baptist Church in Montgomery. Bereits während dieses Gemeindedienstes machte er deutlich, dass Evangelium für ihn nicht nur bedeutete, sich um geistliche Belange zu kümmern, sondern auch zu politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen Stellung zu beziehen.

Wie es dann weiterging ist bekannt: Ausgelöst durch die Verweigerung der schwarzen Näherin Rosa Parks, vom für Weiße bestimmten Platz im Bus aufzustehen, startete ein Busboykott in Montgomery. King wurde erst zum Leiter der Kampagne um diesen Boykott und dann zur Führungs- und Symbolfigur der Bürgerrechtsbewegung, was weltweite Bekanntheit mit sich brachte.

King stand im Licht der Öffentlichkeit. Für Hagar bedeutete „Du bist ein Gott, der mich sieht“ auch Trost, weil sie von ihren Mitmenschen nicht gesehen, nicht wahrgenommen wurde. Martin Luther King wurde wahrgenommen. Seine Berühmtheit half ihm bei seinem Engagement, brachte ihn aber auch in Gefahr. Er und seine Familie waren massiven Drohungen, Beleidigungen und gezielten Attentaten ausgesetzt. Nicht nur einmal überlegte King aufzuhören: „Ich wollte den Kampf aufgeben. [Ich] grübelte darüber nach, wie ich von der Bildfläche verschwinden könnte, ohne als Feigling zu erscheinen. In diesem Zustand äußerster Mutlosigkeit legte ich Gott meine Not hin. In diesem Augenblick erlebte ich die Gegenwart Gottes wie nie zuvor. Mir war, als hörte ich eine innere Stimme, die mir Mut zusprach: ‚Stehe auf für die Gerechtigkeit! Stehe auf für die Wahrheit! Und Gott wird immer an deiner Seite sein!‘ Ich war bereit, allem ins Auge zu sehen.“ – Gott sah Martin Luther King in seiner Not und in seinem Zweifel. Das half King, seine Mission weiterzuführen.

„Du bist ein Gott, der mich sieht“ – das gilt für Hagar, für King, für jeden und jede. Und es hilft dabei, sich angesichts persönlicher Not und der Not anderer Menschen nicht unwichtig und hilflos zu fühlen.
Der Rassismus ist noch nicht überwunden, die Polarisierung der Gesellschaft verschärft sich und die Schere zwischen Arm und Reich wird stetig größer. Die Werte Kings sind ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod genauso wichtig wie zu seinen Lebzeiten. Deshalb gilt es auch heute, nicht zu schweigen oder wegzusehen, sondern gegen Hass und Ungerechtigkeit einzutreten – auch wenn es unbequem ist.

Das Chormusical Martin Luther King, das Kings Engagement für Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit zum Thema hat, geht 2023 wieder auf Tournee. Unser Bund ist bei dieser Mitmachveranstaltung – wie auch beim letzten Mal – Kooperationspartner. Ein Besuch der Aufführung lohnt sich und für einige Veranstaltungsorte werden auch noch Sängerinnen und Sänger für den großen Laienchor gesucht, der das Musical mitgestaltet.

Auf der Beerdigung Kings im April 1968 wurde ein Ausschnitt aus einer Predigt vorgespielt, die er noch im Februar des gleichen Jahres gehalten hatte. Darin beschreibt er, wie er den Menschen nach seinem Tod in Erinnerung bleiben möchte. Es gehe ihm nicht um seine Auszeichnungen und Errungenschaften, sondern um seine Versuche „die Hungrigen zu speisen“, „die Nackten zu kleiden“ und „die Gefangenen zu besuchen“: „Ich möchte, dass ihr sagt, dass ich versucht habe, die Menschheit zu lieben und ihr zu dienen.“

Ein Artikel von Julia Grundmann