Foto: Corinna Keiser / GGE im BEFG

In der Hektik auf Gott hören

Wege zur Stille im Alltag

„Hören auf Gottes lebendige Stimme“, das ist die erste Säule und damit ein zentrales Anliegen des BEFG-Jahresthemas „INSPIRIERT LEBEN … dass Christus Gestalt gewinnt“. Pastorin Claudia Sokolis-Bochmann beschreibt, wie ihr dieses Hören in der Hektik des Alltags gelingt.

Während ich mit diesem Artikel beginne, wird im Raum neben mir geschraubt, werden meine Regal abgebaut. Ich bin mitten im Umzug, habe seit über einem Jahr eine Fernbeziehung und kenne die Autobahn und Bahnhöfe zwischen Hamburg und meinem neuen Wohnort recht gut. Hektik, sprich Betriebsamkeit, und To-do-Listen sind gerade Teil meines Alltags. Was für ein Jahr: Hochzeit und Familienbesuche, Weiterbildung und Dienstwechsel, Autokauf und Umzug. Ein Leben auf der Autobahn des Lebens – das klingt allzu vertraut. Das Jahr verging wie auf einer ICE-Strecke: ziemlich schnell. Und neben all den Terminen und Aufgaben habe ich neue Leute kennengelernt, viel Schönes erlebt, neue Gebiete erkundet, Informationen und Eindrücke gesammelt.... Stille im Alltag sieht von außen betrachtet sicher anders aus. Und ja, ich freue mich auch schon, wenn mein Sessel wieder aus dem Umzugswagen geladen wird und er seinen Platz gefunden hat.

Das ist nämlich mein „guter Ort“ – eigentlich egal wo er steht. Vor dem Start in den Tag hier nochmal sitzen, bewusst ein- und ausatmen, Tagebuch schreiben, Bibel lesen; abends den Tag Revue passieren lassen und abschließen, das tut mir gut. Ich liebe den Rhythmus meines Lebens, liebe Rituale, die meinen Tag begleiten, meinem Leben Ruhe geben. Dabei sind das gar nicht die großen Dinge, die viel Aufwand brauchen, sondern eher – ganz im Kleinen – das bewusste Hinhören und Achtgeben. Es sind die kleinen Gesten und Bewegungen, die mir helfen zur Ruhe zu kommen und bei mir zu sein. Ich höre mir zu, wenn ich über die Straße gehe, höre die Schritte auf dem Asphalt, lausche dem Wasser, wenn ich meinen Tee aufgieße, blicke die Kassiererin im Laden bewusst an, wenn ich bezahle und ihr einen schönen Tag wünsche. Ich freu mich, wenn sie meinen Blick wahrnimmt und den Gruß erwidert.

Zwei Themen haben mich in den letzten Jahren intensiv begleitet: das Hören und das Üben. Das Thema „Hörendes Gebet“ begleitet mich schon lange, doch in der Zusatzausbildung zur Musik- und Bewegungspädagogin (ARS) bekam das Thema Hören nochmal eine ganz andere Qualität. In den Seminaren, die ich mit einem Pastoren-Kollegen zum Thema anbiete, war und ist es uns immer wichtig, dass das Hören auf Gottes Stimme stets im Alltag verankert ist, auch dann, wenn keine Zeit für lange Einkehrzeiten bleibt. Auf Gottes Stimme zu hören ist nicht nur die Fähigkeit einzelner begabter oder kontemplativer Leute. Gott redet nicht nur in unsere Freiräume und Stille Zeiten hinein. Doch, und davon bin ich überzeugt: Hören braucht Übung. Sich selber empfangsbereit machen, die Sinne wecken, aufmerksam werden und wahrnehmen, was ist, das kann überall geschehen. Als Jugendliche hat mich der Satz geprägt: „Was nicht regelmäßig geschieht, geschieht in der Regel mäßig“, und in verschiedensten Bereichen merke ich, wie Fähigkeiten leiden, wenn ich sie nicht praktiziere – denke ich da nur an Fremdsprachenkenntnisse, die lange nicht zum Einsatz kamen.

Mit meinen Instrumenten habe ich gelernt, dass Üben nicht heißt, ein Stück immer und immer wieder zu spielen, um vielleicht festzustellen, dass man es immer noch nicht kann. Üben heißt, da vielleicht nur eine Tonverbindung herauszunehmen und zu trainieren, Läufe mal anders zu rhythmisieren, vorwärts und rückwärts zu spielen, das Tempo zu variieren. Mit den Jahren habe ich gelernt, auch ohne Instrument zu üben – mental. Und ja, ich habe gelernt, dass ganz andere Komponenten mein Spiel auf der Flöte verbessern können. So hat es Auswirkungen, wenn ich viel mit dem Körper arbeite und dadurch eine bessere Körperpräsenz sowie Atmung habe. Es hat Auswirkungen, zu welcher Tageszeit ich spiele, in welcher Umgebung ich bin, wer mir zuhört. Und auch, wenn ich dann mal ein paar Tage und Wochen die Flöte nicht zur Hand nehmen und vielleicht nur singen oder summen kann, habe ich Melodien und Töne im Ohr, kann sie spielen und wieder aufnehmen, was ich gelernt habe. Das geht, wenn ich dranbleibe: auf welche Art und Weise auch immer.

Stille im Alltag klingt nach Sehnsuchtsort, klingt nach großen Freiräumen und Ruhe. Bei all dem, was am Tag ansteht und auf uns einströmt an Inhalten und Aufgaben, fällt das Innehalten schwer – wie fast alles, das ich nicht geübt, mir nicht im Kleinen angeeignet habe. Vor gut zwei Jahren sprach mich der Text aus 1. Chronik 22,9 an. Dort heißt es, dass Salomo „ein Mann der Ruhe“ sein wird. Neben all dem Erleben und Sehnen, Gottes Stimme zu hören, in seiner Gegenwart zu sein, wuchs in mir der Wunsch, eine „Frau der Ruhe“ zu werden. Wie ein ruhiger See zu sein, auf dem die Sonne sich spiegeln kann. Empfangsbereit zu sein, für Worte, die in mir und durch mich zum Klingen kommen können, mitten im Alltag einfach mal stehen zu bleiben.

So liebe ich nicht nur den Klang meiner Schritte, sondern auch das Stehen an roten Ampeln. Ich lasse mich von Gott beschenken durch die Menschen, die ich sehe, freu mich an der Farbenpracht der Schöpfung. Ich lausche den Worten, die in mir nachklingen – weil ich ein Wort gelesen oder gelernt habe, es mit Tinte auf Papier brachte oder ich es lesen konnte: in der U-Bahn, auf dem Smartphone, auf einer Werbefläche, an einer Hauswand.... Und halt: Da klingt doch tatsächlich beim Einkauf eine Zeile durch den Lautsprecher, die mich berührt. Ist vielleicht nicht meine Welle und Musik – aber vielleicht doch gerade das Reden Gottes zu mir. Mitten in der der Betriebsamkeit kann ich hinhören und mich unterbrechen lassen. Kann selber das Tempo reduzieren und stehen bleiben. Wie gut, dass Gott mehr Möglichkeiten hat und nicht an meinen Sessel gebunden ist, der mittlerweile auch wieder seinen Platz gefunden hat und in dem ich wieder üben kann, in der Stille zu hören, damit es in der Betriebsamkeit des Alltags gelingt.

Ein Artikel von Claudia Sokolis-Bochmann