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Leitsätze zur Gemeindearbeit mit älteren Erwachsenen

Situation

In Gesellschaft und Gemeinde hat sich durch den demografischen Wandel die Altersstruktur sichtbar verändert. Die statistische Erhebung zur Altersstruktur unserer Gemeinden zeigt folgendes Bild: 25% aller Gemeinden, die erfasst wurden, liegen im Altersdurchschnitt der Mitglieder unter 50 Jahren, 55% liegen zwischen 50 und 60 Jahren und 20% liegen über 60 Jahre.
Das bedeutet zum einen: Der Anteil Älterer in unseren Gemeinden ist hoch – und zum anderen: Es sind vier bis fünf Generationen zu berücksichtigen. Ein großer Teil sind Gemeinden „im Schnitt 55+“, andere Gemeinden sind auf Jugendliche und junge Familien ausgerichtet und in etlichen Gemeinden wird die Generationenvielfalt er- und gelebt.

Leitsätze und Ziele

Wir regen wir an, in der veränderten Altersstruktur Chancen für das Leben als Einzelne und in der Gemeinde zu entdecken und zu nutzen.

Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft

ALLE Altersgruppen sind die gelebte und gestaltete GEGENWART und Zukunft jeder Gemeinde. So wenig „die Jugend“ die ZUKUNFT der Gemeinde“ ist, so wenig stellen „die Alten“ die VERGANGENHEIT einer Gemeinde dar.

Diese Perspektive berücksichtigt folgende Ziele:

1. Differenzierte Altersbilder

Verallgemeinernd von „den Senioren“ zu sprechen, entspricht nicht der Lebenswirklichkeit. Unterschiedliche geschichtliche und kulturelle Voraussetzungen prägen die älteren Menschen in unseren Gemeinden. Die Hochbetagten wurden in Kindheit und Jugend durch die Weimarer Republik und das Nazi-Regime geprägt. Andere haben ihre Kindheit im Krieg und auf der Flucht erlebt, und etliche, die im jungen geteilten Nachkriegsdeutschland aufgewachsen sind, stehen am Anfang ihrer nachberuflichen Phase. Daneben sind auch Herkunft und unterschiedliche Traditionen zu berücksichtigen.

Ziel: Differenzierte Altersbilder werden wahrgenommen, die Unterschiede in  Lebensphase und Lebenslage respektiert und die Vielfalt des Älterwerdens individuell und sozial als Reichtum erlebt.

2. Potenziale

Die durch Lebenserfahrung, Beruf und Bildung erworbenen Kompetenzen älterer Menschen sind „Schätze“. Durch die längere Lebenszeit steigt Erfahrungskompetenz und auch die unterschiedlichen fachlichen Kompetenzen gehen nicht so leicht verloren. Sie bergen reichhaltige und wertvolle Möglichkeiten für die individuelle Lebensgestaltung und für das Gemeindeleben.   

Ziel:
Die Potenziale werden als Ressourcen wahrgenommen. Die Erfahrungen und Kompetenzen der älteren Gemeindeglieder werden gewürdigt und geschätzt. Aus ihnen wird Energie, Entlastung und Halt gewonnen zum Aufbau der ganzen Gemeinde.  

3. Wertschätzung

Auf der Grundlage gegenseitiger Wertschätzung kann ein neues partnerschaftliches Denken und Handeln und auch Anteilnehmen und –geben  wachsen und für alle fruchtbar erlebt werden.

Ziel:
Eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung in den Gemeinden wird gepflegt. Sie drückt  sich darin aus, dass wir uns füreinander interessieren, Unterschiede akzeptieren und einander in Wort und Tat zugewandt sind und dass niemand wegen seines Alters gering geschätzt wird.

4. Generationenvielfalt

Für das weite Feld der Generationen von Kleinkindern bis Hochbetagten ist kennzeichnend: Nicht allein das Alter ist ausschlaggebend für Gemeinschaft, sondern die Orientierung an Gaben, Neigungen, Interessen. Viele Angebote des Gemeindelebens richten sich an klar begrenzte Altersgruppen, was gut und sinnvoll ist,  aber nicht zur Aufspaltung in kleine Gruppen führen darf. Gemeinsame Ziele fordern und fördern das Gemeindeleben und wirken einladend.

Ziel: Zwischen den Generationen werden Brücken gebaut, das Miteinander geschieht  „auf Augenhöhe“, in generationsübergreifenden Projekten und durch gemeinschaftliche Erfahrungen wird gelernt, konstruktiv mit Unterschieden umzugehen.

5. Realistischer Blick auf die Altersstruktur der Gemeinde

In jeder Gemeinde leben Gottes Gaben, und Reich Gottes zu bauen ist nicht abhängig vom Alter oder der Gemeindegröße. Die Einschätzung der eigenen aktuellen Gemeindesituation hilft, Perspektiven und vorhandene Möglichkeiten in Einklang zu bringen. Für Gemeinden „im Schnitt 55+“  bieten sich Chancen für neue Aufgabenfelder und Berufungen. 

Ziel: Gemeinden stellen sich den tatsächlich vorhandenen Gegebenheiten. Sie suchen nach entsprechenden Formen des Gemeindelebens, um der Situation angemessene Angebote zu machen und so „der Stadt Bestes zu suchen“.

6. Neue Freiheit mit Offenheit für Veränderungen

Das spätere Erwachsenenalter eröffnet den meisten Menschen neue Freiheiten zur Lebensgestaltung und zur Entdeckung und Nutzung vorhandener Ressourcen, die bisher evtl. nicht gelebt werden konnten. Das neu Ge- und Erlebte fordert zu Offenheit und Veränderungsbereitschaft heraus.

Ziel: Gelegenheiten werden geboten, Zurückliegendes zu reflektieren, (verborgene) Gaben und Fähigkeiten zu entfalten und den neuen Lebensabschnitt nicht als Stagnation und Last, sondern als Neuorientierung zu nutzen.

7. Teilhabe und Fürsorge / Grenzen bejahen

Zum Älterwerden gehört auch das individuelle Erleben von körperlichen oder gesundheitlichen Einschränkungen mit zunehmendem Angewiesensein. Dabei in die Gemeinschaft und das Gemeindeleben einbezogen zu sein, fördert Beziehungen und unterstützt eine selbstbestimmte Teilhabe unabhängig von Einschränkungen unterschiedlicher Art. Beistand und Betreuung können zur Hilfe werden und Mündigkeit erhalten bleiben. 

Ziel: Die persönlichen neuen Grenzen werden bejaht, das Angewiesen-Sein auf Unterstützung wird eingeübt. Die Gemeinde ermöglicht allen die Teilhabe am Gemeindeleben. Innerhalb der Gemeinde wird der Zusammenhalt durch Teilhabe und Fürsorge gestärkt.

8. Neu-Werden und Widerstandskraft als Lebensgefühl stärken

War das Alter(n) lange als defizitär und von seiner größeren Nähe zum Tod her beschrieben (Mortalitätsorientierung), so zeigen die Erfahrungen des immer längeren Lebens, dass auch im Alter noch lange Aktivität und Lebensfreude möglich sind. Durch innere Widerstandfähigkeit (Resilienz) können Krisen gemeistert und als Anlass für neue Entwicklungen genutzt werden.

Ziel: Eine hoffnungsvolle Zukunftsperspektive gilt auch mit zunehmendem Alter  (Natalitätsorientierung). Die eigene innere Widerstandskraft wird entwickelt und so beispielhaft ermutigend für andere wirksam.

9. Die Liebe in die Zukunft tragen

Die besondere Lebensaufgabe im späteren Erwachsenenalter ist es, für andere „brauchbar“ zu sein, ohne sich selbst dabei zu vernachlässigen oder zu überschätzen (Generativität). Das schließt die Fähigkeit zu verantwortlichem Denken und Handeln für das eigene Leben und für das Leben nachfolgender Generationen ein.

Ziel: Die doppelte Aufgabe, für sich selbst und für andere zu sorgen, wird immer wieder neu ausbalanciert und als gewonnene Reife in die Gemeinschaft eingebracht.

10. Lebensende

Auch wenn der Gedanke an das Lebensende ältere Menschen wegen der immer kürzer werdenden Lebenszeit mehr beschäftigt als jüngere, so erleben doch alle das Sterben als Teil des Lebens. Als Christen leben wir selbst in Anbetracht des näher rückenden Lebensendes nicht auf das Ende, sondern auf das Neue hin. Die Bereitschaft, sich dem eigenen Lebensende zu stellen, wächst aber nicht zwangsläufig mit dem Alter.
 
Ziel: Das Thema Tod und Sterben wird offen in den Gemeinden angesprochen.  Dabei wird das Lebensende mit dankbarer Rückschau und christlicher Auferstehungshoffnung verbunden. Ängste werden ernst genommen und Sterbende achtsam begleitet.

* Die Leitsätze wurden 2013 vom Leitungskreis des damaligen Gemeindeseniorenwerkes des BEFG konzipiert und 2016 im Forum Älterwerden innerhalb des Fachbereiches Familie und Generationen angepasst.

** Die statistische Erhebung zur Altersstruktur der Gemeinden im BEFG wurde 2012 von Dr. Ralf Dziewas (Institut für Diakoniewissenschaft und Sozialtheologie) gemeinsam mit dem Gemeindeseniorenwerk durchgeführt.

Zu den Leitsätzen ist 2015 das Buch „altwerden? Anders!“ in der Edition BEFG erschienen, hier kann es erworben werden.