Beim Hingehen erlebt

Helle Momente im trüben November

Es war einer dieser trüben Novembertage. Vormittags hatte ich am Schreibtisch gearbeitet und gegen Mittag machte ich mich bei Nieselregen und dunklem Himmel treu dem Motto unseres Dienstbereichs „Wir gehen hin.“  auf den Weg zu einer kleinen Gemeinden, nur etwa 100 Kilometer von meinem Wohnort entfernt.

Für Regionalreferenten des Dienstbereichs sollte das Motto eigentlich in „Wir fahren hin.“ geändert werden, dachte ich, als ich etwas lustlos ins Auto stieg.

Der Empfang, den die Gemeindeleitung der kleinen Gemeinde mir gut eine Stunde später bot, hellte meine Stimmung deutlich auf: Eine Gemeindeleitungssitzung mitten am Nachmittag und dazu noch in ostfriesischem Ambiente mit Tee, Kluntje und Sahne. Erfreulicherweise kannte ich auch schon alle Anwesenden. Gemeinsam haben wir schon so manches Projekt miteinander geplant und durchgeführt. Vor kurzem war ich zu einer Evangelisation  in der Gemeinde. Danach war der Entschluss gereift, dass ich die Gemeinde nun etwas länger begleite solle, um die „missionarische Temperatur“ anzuheben. Wir nennen das in unserem Dienstbereich „Missionale Gemeindeberatung“ oder auch „ Missionarisch orientierte Langzeitberatung“. Nun saß ich also mit den Geschwistern in ihrer schönen neuen Kirche und sprach mit ihnen über grundlegende Themen der „Missionalen Theologie“. U.a. waren wir einige Zeit bei dem Punkt hängengeblieben, dass missionale Gemeinden nicht mehr programm- und institutionsorientiert, sondern menschenorientiert und flexibel handeln möchten.

Wir waren schon  fast mit unserer Besprechung fertig und hatten nur noch 10 Minuten gemeinsame Terminsuche für die nächsten zwei Jahre vor uns, als die Tür zum Foyer der Kirche aufging und ein offensichtlich problembeladener junger Mann die Kirche betrat. Ein Ältester stand auf und begab sich längere Zeit zu dem Besucher. Wir Anderen saßen wartend im großen Kirchenraum. „Carsten, wäre es nicht im Sinne von „missional“, wenn wir den jungen Mann jetzt einfach zu uns einladen würden?“

Ein Grinsen ging über mein Gesicht. „Na klar, wir können ja mal probieren, wie das so ist, wenn wir uns in unserer „Institution“ stören lassen!“ Immerhin handelte es sich hier um eine Gemeindeleitungssitzung! Gesagt, getan. Der junge Mann wurde an den Teetisch eingeladen, wir sagten ihm, dass wir noch eben Termine machen müssten, er hörte zu, trank Tee und wir machten einfach weiter. Offensichtlich fühlte er sich wohl. Zum Abschluss beteten wir noch. Natürlich wurde auch gleich „vorbeugend“ für den jungen Mann gebetet. Nachdem das Amen gesprochen war, kamen wir mit dem jungen Mann ins Gespräch. Er war offensichtlich glücklich, dass wir uns ein wenig Zeit für ihn nahmen.

Einige Zeit später saß er bei mir im Auto. Ich brachte ihn zu der Pension, in der er untergebracht war. Wir bezahlten zwei weitere Nächte für ihn. Wir sind dadurch nicht arm geworden. Aber um eine Erfahrung reicher.

Was aus dem jungen Mann geworden ist, das wissen wir leider nicht.  
Die Wirtin der Pension war dermaßen überrascht, dass sie sagte, sie wolle die Baptistengemeinde jetzt wirklich mal besuchen. Sie hätte schon so viel Gutes von denen gehört. Abends rief ich die Gemeindeleiterin noch einmal an. Ich bat sie, nach einer Woche Kontakt mit der Wirtin aufzunehmen. Manchmal vergessen Menschen ja ihre guten Vorsätze...

Carsten Hokema
01.12.2015