Als Luther an der Kirchentür bloggte

Perspektiven für eine vernetzte Welt

Ist Facebook gut oder schlecht? Helfen uns die neuen Medien, oder stellen sie eine Bedrohung für unser Privat- und Gemeindeleben dar? Die Frage ist völlig falsch gestellt, meint Philipp S. Müller, der am ersten Abend der Bundesratstagung des BEFG einen Vortrag hielt, um die Teilnehmer auf das Thema „Christsein in einer vernetzten Welt“ einzustimmen.  

Moderiert wurde der Abend von Kerstin Mühlmann, Mitarbeiterin bei Radio M in Stuttgart. Sie befragte zunächst Dr. Michael Rohde, Professor für Altes Testament am Theologischen Seminar Elstal, zu seinen Facebookgewohnheiten und stellte Andi Balsam vor, der im Gemeindewerk Nordrhein-Westfalen Gemeinde vernetzt. Auf diese Weise entstand zum Beispiel ein Forum für kleine Gemeinden. Dr. Philipp Müller, Unternehmensberater und Academic Dean der Business School der Universität Salzburg, legte in seinem Vortrag die theoretische Grundlage. Ihm zufolge geht die Frage nach grundsätzlichem Sinn oder Unsinn von sozialen Netzwerken ins Leere, wenn man nicht weiß, was man damit überhaupt anstellen möchte. Vielmehr müssen wir uns mit der Frage befassen: Wie können wir Technologien nutzen, um die Dinge zu erreichen, die wir erreichen wollen? Und diese neuen sozialen Netzwerke ermöglichen auf einfache Weise etwas, das vorher nur schwer oder gar nicht möglich war. Denn jeder, der sich daran beteiligt, erhält nicht nur Informationen, sondern kann auch schnell darauf reagieren, so dass ein Netzwerk entsteht, in dem jeder mit jedem kommuniziert. Ansätze dazu sind natürlich schon in früherer Zeit erkennbar. Als Luther seine Thesen in Umlauf brachte – oder modern gesprochen, als er an am Portal der Schlosskirche zu Wittenberg bloggte – setzte er damit einen Diskussionsprozess in Gang, der durch die Erfindung der Druckerpresse und damit der Möglichkeit, Schriften massenhaft in Umlauf zu bringen, möglich geworden war. Organisationen und Firmen nutzen diese Offenheit ganz bewusst. Sie schauen auf die bestehenden Strukturen und entwickeln daraufhin eine Strategie. Für ein soziales Netzwerk wie Facebook bedeutet das zum Beispiel, dass Millionen von Nutzern freiwillig und unentgeltlich ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, um inhaltliche Beiträge zu liefern, die wiederum die Existenz von Facebook erst ermöglichen. Wenn sich ein Unternehmen oder eine Organisation auf diese Weise öffnet  und damit Möglichkeiten der Teilnahme schafft, bedeutet das nun allerdings nicht Anarchie. Ganz im Gegenteil. Immer gibt es Kontrollinstanzen, damit die Sache nicht aus dem Ruder läuft. Ein gutes Beispiel dafür ist das Internetlexikon Wikipedia, in dem jeder Beiträge verfassen darf und sich gleichzeitig auch verbessern lassen muss. So konnte man 2003 unter dem Stichwort Baptisten lediglich nachlesen, dass es sich bei dieser Gruppierung um eine evangelische Sekte handelt, die Erwachsene tauft und deren Mitglieder sich in Deutschland im Wesentlichen aus Russlanddeutschen rekrutieren. Nach zehn Jahren gibt es nun – nicht zuletzt dank der tatkräftigen Mithilfe des Baptistenpastors Gregor Helms – sachlich einwandfreie und in die Tiefe gehende Informationen zu lesen.

Philipp Müllers Beobachtungen gelten für alle Arten von Organisationen, die an einer bestimmten Stelle Offenheit schaffen, um Mitgliedern das Mitmachen zu ermöglichen. Die Gemeinden müssen nun für sich eine Art Übersetzungsarbeit leisten: Was bedeutet das für uns? An welcher Stelle können wir uns öffnen? Und welche Ziele können wir viel besser erreichen, wenn wir die neuen Möglichkeiten der sozialen Netzwerke dafür nutzen?

Ein Artikel von Wolfgang Günter (DIE GEMEINDE)