Christen sollen Einfluss nehmen

Staat und Kirche aus baptistischer Sicht

„Staat und Kirche aus baptistischer Sicht: Wie viel Einfluss wollen wir als Kirche haben?“ Unter dieser Fragestellung versammelten sich 60 Teilnehmer und Teilnehmerinnen Mitte Januar zur ersten offiziellen Tagung der neu gegründeten Evangelisch-Freikirchlichen Akademie in Elstal.

Dass es wichtig sei, als Christen Einfluss auf den Staat zu nehmen und positive Impulse in die Gesellschaft zu geben – darin waren sich die meisten der Anwesenden einig. Wie die genaue Ausgestaltung dieser Einflussnahme aussehen könnte, wurde anhand verschiedener Vorträge und Gespräche näher diskutiert.

Prof. Dr. Christoph Seibert von der Universität Hamburg sprach in seinem Eingangsreferat der Religion eine staatstragende Rolle zu. „Staatstragend“ sei nach Seibert aber nicht im Sinne einer Legitimation, sondern einer Stabilisierung zu verstehen. Weil Religion immer eine orientierungsstiftende Lebensform sei, biete sie, so Seibert, „Orientierung für die zivilgesellschaftlichen Akteure bei der Bewältigung fundamentaler Lebensfragen.“

Prof. Dr. Erich Geldbach, baptistischer Theologe und emeritierter Professor für Ökumene und Konfessionskunde, übte in seinem Vortrag Kritik an den Privilegien, die sowohl die evangelischen Landeskirchen als auch die römisch-katholische Kirche in Deutschland genössen. So sei beispielsweise der Einzug der Kirchensteuer durch staatliche Finanzämter verfassungsrechtlich nicht abgesichert. Diese Verfahrensweise sei noch ein Rest aus „vordemokratischer Zeit“, so Geldbach. Gleichzeitig sprach er sich gegen Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen aus, die nach Artikel 138, Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung schon seit fast 90 Jahren abgelöst werden sollten. Diese finanziellen Leistungen wurden den beiden großen Kirchen in Deutschland im Zuge der Säkularisation mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 als Entschädigungszahlung für die Abgabe von Ländereien gewährt.

Die Kritik teilte auch der Leiter des Hamburger Diakoniewerks „Tabea“, Emanuel Brandt. Der Jurist plädierte dafür, dass die beiden großen Kirchen von sich aus aktiv werden sollten, um die Ungleichbehandlung der Religionsgemeinschaften in Deutschland zu beseitigen. Die Vorteilsannahme der beiden großen Kirchen schade ihrer Glaubwürdigkeit. Für alle Religionsgemeinschaften, auch für die Freikirchen, sehe er es nicht als zwingend notwendig an, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu haben.

Pastor Peter Jörgensen, der auch als Beauftragter der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) am Sitz der Bundesregierung arbeitet, sprach sich dafür aus, sich als Freikirchen in Deutschland nicht mit den großen Kirchen zu messen, sondern „Brücken zu bauen“. Er warnte davor, über Macht und Geld gestalten zu wollen: „Wenn wir als Christen Einfluss nehmen wollen, müssen wir das auf andere Art und Weise tun“, sagte Jörgensen, „denn wir sind nicht in eigenem Namen und eigenem Interesse unterwegs.“ Die Aufgabe der Christen insgesamt sei es, neue Mehrheiten zu generieren: „Der Weg dahin ist mühsam. Der Schlüssel sind Begegnungen und das persönliche Gespräch.“ Aber, so Peter Jörgensen, „wenn wir überzeugt sind, haben wir genauso Einflussmöglichkeiten wie alle anderen auch.“

Trotzdem solle man, so äußerten viele Teilnehmer, den „engagierten Ärger“ nutzen, um die Ungleichbehandlung zwischen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland abzuschaffen.

Dr. Christian Polke vom Institut für Systematische Theologie der Universität Hamburg betonte, dass gerade die Körperschaftsrechte einer „gleichberechtigen, öffentlichen Handhabung und Wahrnehmung von religiösen Aufgaben für prinzipiell alle Religionsgemeinschaften“ dienten. Ziel sei es ursprünglich gewesen, die christlichen Kirchen und das Judentum nach dem Zweiten Weltkrieg nicht um ihre Prägungskraft zu bringen. „Neben den alteingesessenen Religionskörperschaften gilt es nunmehr, den anderen gleiche Rechte und Ansprüche zu ermöglichen“, so Polke.

Einen Einblick in das amerikanische Modell der Trennung von Staat und Kirche bot Jenny Jörgensen. Die Theologin und Amerikanistin hatte ihre Promotionsarbeit über den Einfluss der Evangelikalen in den USA geschrieben. Trotz offizieller Trennung von Staat und Kirche gebe es, so Jörgensen, eine Verquickung von Religion mit Politik, Wirtschaft und Rechtsprechung. Dies hänge unter anderem damit zusammen, dass die große Mehrheit der Amerikaner sich als Christen verstünden, davon ungefähr 25 Prozent als Evangelikale. Bei ihnen wichtigen Themen schließen diese oftmals Bündnisse mit anderen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften, um ihren Einfluss zu verstärken. „Das System in den USA ist dereguliert, aber nach dem Gesetz des Marktes dominieren die starken Player und beeinflussen das System“, so Jörgensen. Der Unterschied zu Deutschland bestehe darin, dass es sich um eine individuelle und keine institutionelle Verquickung handele, sagte Jenny Jörgensen.

Der Leiter der Evangelisch-Freikirchlichen Akademie Elstal, Dr. Oliver Pilnei, resümierte abschließend: „Als Baptisten können wir mit unseren Kernwerten ‚Glaubens- und Gewissensfreiheit‘ und ‚Trennung von Staat und Kirche‘ einen gewichtigen Beitrag zu dem mulitreligiösen Miteinander in unserem Land geben. Den wollen wir als kleine Kirche an geeigneter Stelle einbringen.“

Die Tagung wurde gemeinsam mit dem Arbeitskreis „Evangelium und gesellschaftliche Verantwortung“ initiiert. Dessen Organisator, Friedrich Schneider sagte: „Die Diskussion um eine angemessene Beziehung zwischen Staat und Kirche in einer multireligiösen Gesellschaft wird in Parteien und öffentlichen Foren, aber sicher auch im BEFG weiter geführt werden müssen.“

Ein Artikel von Julia Grundmann