Vorwort Bund aktuell Nr. 9 | 7. September 2023

Liebe Leserin, lieber Leser,

im Monatsspruch für September stellt Jesus seinen Jüngern eine Frage: „Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“ (Matthäus 16,15). Eine interessante Frage. Dass es hier nun um Fremd- und Selbstwahrnehmung geht, glaube ich eher nicht. Ich glaube auch nicht, dass Jesus in einer Identitätskrise war. Es geht um seine Sendung, seinen Auftrag, seine Mission. Er will Gott den Menschen nahebringen, ihnen zeigen und sagen, dass Gott sie unendlich liebt, dass diese Liebe keine Grenzen kennt und er auf der Seite der Menschen ist, bedingungslos.

Jesus war mit dieser Botschaft unterwegs. Sie war Inhalt seiner Predigt, seiner Geschichten, die er erzählte und der Wunder, die er tat. Es war das Evangelium, die gute Botschaft, die gerade an die gerichtet war, die schwer am Leben zu tragen hatten, sich am Rande der Gesellschaft sahen und die wenig Hoffnung in sich trugen.

Dass solch ein Mensch wie Jesus in seinem Reden und Handeln missverstanden wurde, lag in der Natur seiner Botschaft, denn sie war anders, neu, befreiend und hinterfragte manches von dem, was gerade das fromme Establishment für unverrückbar und gegeben hielt.

Bevor Jesus seinen Jüngern diese Frage gestellt hat, wollte er von ihnen wissen, was denn die Leute so sagen, wer er sei. Was die Jünger Jesus berichten, ist so typisch für uns Menschen. Hier passiert etwas Neues und wir suchen den Ankerpunkt dazu in der Vergangenheit: Johannes der Täufer, Elia, Jeremia oder irgendein Prophet, war ihre Antwort. Aber die hatten ihre Zeit gehabt, konnten die große Hoffnung auf Erlösung nicht stillen. Sie waren wichtige Persönlichkeiten der Geschichte Gottes mit seinem Volk, aber die Sehnsucht nach dem großen Erlöser blieb.

Wir Menschen neigen dazu, dass wir uns in unseren Gewohnheiten und im Bekannten einrichten. Da fühlen wir uns sicher, da sind wir geborgen. Und wenn schon etwas passiert, dass scheinbar unbekannt ist, dann muss es den Vergleich mit dem Gewohnten oder Gestrigen standhalten und verliert nicht selten gegen das, was schon immer so war.

Der Aufbruch in eine neue Wirklichkeit beinhaltet, dass wir das, was gestern gut war und getragen hat, heute gegebenenfalls aufgeben und loslassen müssen. Wer immer im Vergangenen bleiben will, weil es sich bewährt hat, hat keine Zukunft. Es gehört für uns Menschen dazu, dass wir nur dann Veränderung und Zukunft haben, wenn wir das Risiko eingehen und uns aufmachen. Wer schon einmal von einer Stadt in eine andere gezogen ist, weiß bestimmt, was ich meine. Es geht eben nur so, dass man vom alten Ort irgendwann Abschied nimmt und in eine hoffentlich gute, aber unbekannte Zukunft zieht. Was bleibt sind die Erinnerungen an den alten Ort, die Menschen dort und die Geschichte. Es mag Dankbarkeit in der Seele sein und vielleicht auch Trauer über das, was nun aufgegeben wird. Aber die neue Stadt, der neue Ort, die neuen Menschen schenken auch neue Möglichkeiten und Entwicklungen.

Die Traditionen unseres Lebens sind wichtig, aber sie dürfen nicht auf Dauer unsere Gegenwart bestimmen. Das Leben, was sich entwickeln und entfalten will, würde sonst im Keim erstickt. Nicht zuletzt deshalb warnt Jesus seine Jünger, ein paar Verse vor dem Monatsspruch, vor der Lehre der Sadduzäer und Pharisäer, denn die hatten alles festgelegt. Die meinten zu wissen, wer Gott ist und wie die Menschen zu sein haben. Sie waren die Rot-Strich-Zieher, die in ihren Augen unüberwindliche Grenzen aufzeigen mussten. Sie waren die Eingrenzer und Ausgrenzer, die Denkverbote erteilten und immer den Anspruch hatten, das Leben beurteilen und nicht selten verurteilen zu können. Sie wollten keine Veränderung, denn in ihren Augen war alles geordnet und festgelegt. Wenn nur alle so wären wie sie, dann wäre alles in Ordnung. „Haltet euch von denen fern“, sagte Jesus. Die reden zwar von Gott und meinen es auch ernst, aber sie wehren sich vehement gegen alle Entwicklung, Befreiung und jegliche Dynamik und damit gegen das Evangelium.

Wir müssen aufbrechen. Da führt kein Weg dran vorbei, denn das Leben geht weiter. Aus christlicher Sicht wird diese Veränderung gestaltet durch die verändernde Kraft des Evangeliums. So, wie Jesus Menschen befreit hat und ihnen eine Perspektive gab, gilt das auch heute noch. Traditionen haben ihre Zeit gehabt. Da sind sie entstanden und dürfen auch immer wieder gepflegt werden, aber sie dürfen dem Leben nicht im Wege stehen.

Petrus antwortet auf die Frage Jesu: „Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“ „Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ Das ist die Antwort auch heute. Jesus attestiert Petrus, dass diese Erkenntnis ein Geschenk Gottes an ihn ist. So ist es immer ein Geschenk, wenn Menschen im Namen Jesu auch heute noch aufbrechen.

Das Evangelium von Jesus Christus ist immer noch die Botschaft zur Erlösung der Welt. Es ist der Anspruch daran, dass Gott bei seinen Menschen bleibt und auch in herausfordernden Zeiten nicht von ihrer Seite weicht. Es ist der Mut, auch unbekanntes Terrain betreten zu dürfen und die Erfahrung zu machen, dass die Botschaft, die sich in Wort und Tat, im Reden und Handeln, im Verhalten und Gestalten ausdrückt, die Botschaft des Friedens und der Freiheit ist. Deshalb warnt Jesus vor denen, die Menschen und Leben nach ihrem Muster hin festlegen wollen. Deshalb ermutigt Jesus alle, die mit ihm Gestaltungs- und Lebensräume eröffnen wollen.

„Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“ – Diese Frage ist gestellt und wir dürfen sie beantworten. Jede und jeder von uns, ganz persönlich, ganz individuell. Der Geist Gottes möge es uns schenken, dass wir mit Petrus sagen können: „Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“

Michael Noss
Präsident