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Vorwort Bund aktuell Nr. 7 | 7. Juli 2022

Liebe Leserin, lieber Leser,

wie wäre es wohl geworden, man hätte früher, in der einen oder anderen Situation, eine andere Entscheidung getroffen? Wäre das Leben anders verlaufen? Wäre es vielleicht besser geworden? Hätte man Fehlentwicklungen vermeiden können? „Hinterher ist man immer schlauer“, sagt eine Redensart. Ja, wenn man damals gewusst hätte, was man heute weiß, dann wäre wohl alles anders gekommen.

Es fällt schon auf, dass diese Denkweise in letzter Zeit sehr häufig in Talkshows und bei Interviews mit Verantwortungsträgerinnen und -trägern auftaucht. Hätte man das mit dem russischen Öl nicht wissen können? Waren Frau X oder Herr Y zu fahrlässig? Hätte man auf Putin früher reagieren müssen? Wäre die Corona-Pandemie nicht anders verlaufen, wenn man dieses oder jenes beachtet hätte? Warum hat man nicht frühzeitig erkannt, wie man die heutige Situation hätte vermeiden können?

Ich muss sagen, mir geht dieses nahezu arrogante Gefrage ordentlich auf den Geist und ich bewundere die Befragten, dass sie immer noch und immer wieder diese geradezu sinnlosen Fragen beantworten. Was wäre denn, wenn wir gewusst hätten? Wir wussten es aber nicht. Die Vergangenheit kennen wir, die Zukunft ist uns verschlossen und darin liegt das Dilemma.

Ich muss, wie sicher die meisten Menschen, immer wieder Entscheidungen treffen, die in meine Aufgaben und Kompetenzen fallen und ich treffe sie nach bestem Wissen und Gewissen, möglichst umsichtig, nicht selten abwägend, aber dann muss eben eine Entscheidung her, damit es weitergeht. Damit verbindet sich immer auch die Hoffnung, dass diese Entscheidung relevant und für die Zukunft die richtige ist. Aber wie es werden wird, weiß ich nicht. Zögerer und Zauderer haben nie die Zukunft mitgestaltet.

Für mich zählen da zwei Begriffe: Mut und Zuversicht. Die richten sich in erster Linie nach vorne: mutig sein und Entscheidungen treffen und zuversichtlich sein, dass sie in die Zukunft tragen und sich als richtig erweisen. Beide Begriffe haben aber auch etwas mit dem Blick zurück in die Vergangenheit zu tun. Der alte Josua, der sein Volk in Sichem versammelt hat, blickt tief in die Geschichte des Volkes zurück und beschreibt, was das Volk auf dem langen Weg mit Gott erlebt hat und dann trifft er eine zukunftsrelevante Entscheidung: „Entscheidet heute, wem ihr dienen wollt, den alten Göttern oder dem einen Gott ... Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen“ (Josua 24,15).

Um Mut und Zuversicht zu gewinnen, kommt es nicht so sehr darauf an, ob in der Vergangenheit alles gelungen ist oder man es hätte besser wissen können. Entscheidend ist, dass im Blick zurück deutlich wird, dass es da einen gab, der in allen Phasen des Lebens zu mir gestanden hat, der auch mein Scheitern kennt und mein Ringen nach den richtigen Entscheidungen, der bei mir bleibt und mir um seinetwillen Zukunft und Hoffnung verspricht: „Denn ich weiß wohl was für Gedanken ich über euch habe, spricht der Herr, Gedanken des Friedens und nicht des Leidens, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung“ (Jeremia 29,11). So hört es das alte Volk Israel in der babylonischen Gefangenschaft. Die hatten genügend Grund, über ihre Vergangenheit verzweifelt zu sein und hätten sich und andere mit den Fragen quälen können, mit denen heute Politikerinnen und Politiker gequält werden. Vielleicht haben sie es auch getan, aber dann kommt eben dieser zukunftsweisende Satz, der alles verändert und das vielleicht heute noch kann. Das Volk jedenfalls gewinnt, mitten in der Krise, Mut und Zuversicht und wird so die Krise gestalten.

Und heute? Heute blicken wir zurück und bezichtigen andere ihres Versagens, weil es so geworden ist, wie es gerade ist und uns das nicht gefällt. Gründe dafür mag es genügend geben. Aber sie alle zu kennen, hilft das? Bewahrt es uns in der Zukunft vor falschen Entscheidungen? Gibt es uns Mut und Zuversicht?

Ich erlaube mir den Blick zurück und blicke auf den, der mich mein ganzes Leben lang begleitet hat, der meine Siege kennt und meine Niederlagen, der mir Perspektive schafft und sich bei meinem Scheitern nicht abwendet sondern umfänglich zu mir steht, der als „Gott mit uns“ in diese Welt gekommen ist und der Welt eine neue Hoffnung gegeben hat, der eine gute Botschaft verkündet hat und selbst den Tod und damit alles Lebenswiderwärtige besiegte. Weil der zu mir gehört und ich zu ihm, gewinne ich auch in den Krisenzeiten immer wieder Mut und Zuversicht, blicke auf die mir verschlossene Zukunft und vertraue darauf, dass er schon da ist.

Wir Christinnen und Christen, die wir uns auf Christus berufen, sollten diesen Mut und diese Zuversicht der Welt zeigen, indem wir uns nicht fangen lassen vom menetekelhaften Beschwören der Vergangenheit, sondern uns dem Heil zuwenden, das durch Christus geworden ist, mitten in der Krise oder gerade dann.

Michael Noss
Präsident