Vorwort Bund aktuell Nr. 7 | 4. Juli 2024

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Monatsspruch für Juli 2024 steht im 2. Mose 23,2: „Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.“ Mehrheiten spielen für die Demokratie eine wichtige und entscheidende Rolle. Mehrheiten entscheiden, wo es lang geht. Mehrheiten sind im Recht und Mehrheiten haben recht. So glaubt das zumindest die Mehrheit, weil es ja schließlich die Mehrheit auch so will.

Aber offensichtlich besteht zwischen Mehrheit und Recht bzw. Gerechtigkeit doch ein Unterschied. Mehrheiten können in die Irre gehen und sich täuschen. Mehrheiten können auch täuschen und Menschen verführen. Mehrheiten können auch entstehen, weil sie von anderen verführt und getäuscht werden. Dazu gibt es in der Geschichte genügend Beispiele.

Niemand soll sich deshalb hinter einer Mehrheit verstecken können, sondern jede und jeder ist aufgefordert, auch die Mehrheit zu überprüfen und zu hinterfragen. Und wenn von ihr Unrecht ausgeht, dann soll man sich der Mehrheit eben nicht anschließen, sondern sich entsprechend gegen die Mehrheit positionieren und deutlich widersprechen.

Sieht man in den weiteren Kontext des Monatsspruches aus 2. Mose 23 gibt es noch mehr Interessantes zu entdecken. Da ist davon die Rede, dass man keine leeren Gerüchte verbreiten oder kein Unrecht tun soll, indem man als falscher Zeuge auftritt, man soll das Recht nicht beugen und niemanden übervorteilen. Und als letztes in dieser Folge soll man auch die Fremden im eigenen Land gut behandeln und ihnen kein Leid antun.

Wenn man das alles so liest, mag man kaum glauben, dass dies ein tausende von Jahren alter Text ist, sondern man könnte vermuten, dass er sehr moderne Zeiten betrifft. Fakenews (falsche Nachrichten) und Shitstorm (wüste Beschimpfungen), Bashing (herabsetzende Kritik) und Mobbing (gezieltes Niedermachen), Ausgrenzung, Abgrenzung und Fremdenfeindlichkeit sind an der Tagesordnung. Dieses Wort aus 2. Mose könnte eine sehr aktuelle Aussage einer Ethikkommission sein, die sich um den Verfall der Gesellschaft große Sorgen macht.

Genau darum geht es ja auch, um das Zusammenleben und das Zusammenwirken der Menschen, dass alle zu ihrem Recht kommen und niemand willkürlichen Schaden erleiden soll. Es geht um eine Gesellschaft, in der eben nicht nur das Recht des Stärkeren gilt oder die Mehrheit jede Minderheit unterbuttert. Es geht darum, dass dem Leben und Menschen gedient wird und nicht der Willkür Tür und Tor geöffnet werden. Es gibt Mehrheiten, die sich bilden, um Gutes durchzusetzen, um den Staat zu regieren und um Möglichkeiten für alle zu schaffen und es gibt Minderheiten, die darauf aufmerksam machen, dass unter Umständen Entscheidendes übersehen wird und sie machen Defizite deutlich. Und natürlich gibt es das auch, dass die Mehrheit und die Minderheit versagen und das Recht beugen.

Die Frage ist, woran orientiert sich nun der einzelne Mensch? Auch wenn es textlich nicht in einem unbedingten Zusammenhang steht, finde ich die beiden Worte der Tageslosung vom 1. Juli 2024 sehr hilfreich.

„Danket dem Herrn; denn er ist sehr freundlich, und seine Güte währet ewiglich.“ Dieses kurze Zitat aus Psalm 106 lädt dazu ein, eine bestimmte Haltung einzunehmen. Es ist der Dank, der gegenüber Gott entsteht, wenn wir mit dem Psalmisten in unser Leben sehen und erkennen, wofür wir alles dankbar sein können. Das geschieht in dem Wissen, dass alles in unserem Leben letztlich aus Gott hervorgeht. Er ist uns Menschen grundsätzlich freundlich gesonnen, vermittelt Güte und Freundlichkeit und schafft dadurch, auch in unwirtlichen Zeiten, eine Perspektive. Der Psalm lenkt den Blick auf das Wesentliche und macht Menschen und Menschengruppen frei davon, immer nur die Defizite zur Maxime des eigenen Handelns und Denkens zu machen. Der Dank gegenüber Gott hebt den Blick über den Horizont hinaus und bringt uns in die Wirklichkeit Gottes und in seine Gerechtigkeit, ohne die Gegenwart zu leugnen.

Das zweite Wort der Tageslosung macht es noch stärker: „Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.“ Es ist eine aktive Grundhaltung, die den Kolossern ins Stammbuch geschrieben worden ist. In dieser Grundhaltung gibt es die Antwort auf die Defizite, die der Mosetext vom Anfang aufwirft. „Was würde Jesus dazu sagen?“ Das war die Lebensfrage, die Martin Niemöller begleitet hat. In allen Begegnungen, bei allen Entscheidungen hatte er stets diese Frage im Hinterkopf: „Was würde Jesus dazu sagen?“ Wie würde er sich entscheiden? Was würde er tun? Die Frage war für Martin Niemöller Korrektiv und Leitlinie, alles Gegebene noch einmal aus einem anderen, menschlicheren Blickwinkel zu betrachten. Und genau das ist die Haltung, die es in jeder und auch in unserer Zeit so deutlich braucht.

Mit diesem Blick auf den Gekreuzigten und Auferstandenen bleiben die Dinge herausfordernd und schwierig, aber sie sind nicht die letzte, sondern bestenfalls die vorletzte Situation. Hinter allen Dingen dieser Zeit tut sich die Wirklichkeit Gottes auf, der in Jesus Christus die Welt erlöst hat, ihr den Weg zur Freiheit gebahnt hat und dem Leben eine ewige Zukunft gibt. Wer so leben und fragen kann, wer sich am Dank gegenüber Gott aufrichtet und sein Handeln im Lichte Jesu sieht, wird letztlich Schritte zum Frieden und zur Freiheit gehen.

Als Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu weichen wir den Dingen dieser Welt nicht aus, aber wir zeigen dem Unrecht, dem Beugen von Recht und Wahrheit, allem Menschenverachtenden und Niederdrückenden beherzt die Stirn und schöpfen aus Dankbarkeit gegenüber Gott und dem Beispiel Jesus täglich neue Kraft.

Michael Noss
Präsident