Vorwort Bund aktuell Nr. 5 | 8. Mai 2025

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Dein Reich komme! gerecht anders leben“ heißt das Motto unserer diesjährigen Bundesratstagung, die vom 28. bis 31. Mai in Kassel stattfinden wird.

„Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“
(Matthäus 6,10) lautet der vollständige Satz, der aus dem Vaterunser entnommen ist. Wer das Vaterunser betet, spricht nicht nur Worte – er stellt sein ganzes Leben unter eine neue Ordnung. Mit der Bitte „Dein Reich komme“ bekennen wir, dass die Welt, wie sie ist, nicht so bleiben soll. Wir sehnen uns nach dem Reich Gottes, nach einer Welt, in der Gerechtigkeit, Frieden und Liebe regieren – und wir geben zugleich unsere eigene Kontrolle ab, nicht blind und leichtgläubig, sondern mutig und im Glauben an den Schöpfer und Erhalter des Lebens.

Das Vaterunser ist kein Rückzug in die Innerlichkeit, sondern es öffnet Sinn und Verstand, macht aufmerksam für die kleine Welt im eigenen Umfeld und ebenso für die große weite Welt insgesamt. Es leitet einen Ruf nach Veränderung ein. Es ist politisch, prophetisch und persönlich zugleich. Es stellt unser Denken, unser Handeln, ja unsere gesamte Existenz unter das Zeichen des kommenden Reiches Gottes. Und darum geht es ja, dass alles, was wir tun, unter dem Vorbehalt steht, dass Gottes Reich kommen soll, sichtbar wird und Gottes Idee für diese Welt zur Wirklichkeit wird.

Wer auf das Reich Gottes hofft, hofft auf Gerechtigkeit. Das steht im Zentrum des Verständnisses vom Reich Gottes. Gerechtigkeit ist das, was die biblische Botschaft von der Liebe Gottes allen Menschen verheißt. Jesus hat es gezeigt und vorgelebt. Er hat durch das Evangelium eine Bewegung ins Leben gerufen, die Gottes Maßstäbe in dieser Welt sichtbar machen soll. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“ (Matthäus 6,33), heißt es in der Bergpredigt.

Die Gerechtigkeit, die durch Gott kommt, ist umfassend. Sie meint nicht nur juristische Ausgewogenheit, sondern sie ist Ausdruck des Friedens, der uns zugesprochen ist. Es ist das heile Miteinander von Mensch und Gott, von Mensch und Mensch, von Mensch und Schöpfung. In ihr kommt Gottes Wille zur Entfaltung. Dort, wo das geschieht, wird Gottes Reich erfahrbar – mitten unter uns.

Nun stellt sich die Frage, was das konkret heißt, „gerecht anders leben“. Wie leben Menschen „gerecht anders“, die im Geist des Reiches Gottes stehen, die dem Evangelium glauben, die Jesus nachfolgen, als Einzelne und im Kontext von Familie und Gemeinde?

Wer gerecht anders leben will, wirtschaftet anders. Nicht nach dem Motto: „Was bringt es mir?“, sondern: „Was dient dem Leben?“ Reich-Gottes-Menschen stellen Besitz in den Dienst des Gemeinwohls, setzen sich ein für faire Handelsbeziehungen, ökologische Nachhaltigkeit und soziale Teilhabe.

Wer gerecht anders lebt, schafft Begegnungen, grenzt nicht ab und aus, sondern breitet die Arme aus und sagt: Herzlich willkommen, in meinem Leben, im Leben der Gemeinde. In einer Gesellschaft der Spaltungen sind wir gerufen, Brücken zu bauen: zwischen Alt und Jung, Arm und Reich, Einheimischen und Geflüchteten. Es schließt Menschen unterschiedlicher Kulturen und Lebensweisen ein, öffnet sich dem anderen Menschen, ohne Eigenes aufgeben zu müssen. Gerechtigkeit ist immer auch Beziehungsgerechtigkeit – getragen vom Geist der Versöhnung.

Wer gerecht anders lebt, glaubt auch anders. Der Glaube ist kein Dogma zur Abgrenzung. Er will nicht die Distanzierung und Spaltung, sondern ist eine Kraftquelle zur Öffnung, zur Weite. Denn „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2. Korinther 3,17). Der Glaube an Jesus Christus verändert unser Herz – und das verändert die Welt. Wer aus der Gnade Gottes lebt, hat keinen Grund zur Überheblichkeit, aber allen Grund zur Hoffnung.

Das Reich Gottes kommt nicht erst am Ende aller Zeiten. Es bricht schon heute an – dort, wo Menschen anfangen, gerecht anders zu leben. Nicht spektakulär, aber beständig. Nicht aus eigener Kraft, sondern aus der Kraft des Geistes.

Dann öffnet eine Gemeinde ihre Türen für Menschen in Not, richtet eine Sozialstation ein, eröffnet im Winter eine Suppenküche für Arme und ein Café im Sommer, führt Winterspielplätze für Kinder durch und macht im Sonner eine Freizeit für Eltern und Kinder. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Es ist alles sehr wertvoll.

Es gibt noch viel mehr. Zum Beispiel eine Familie, die sich für Pflegekinder entscheidet, oder Jugendliche, die ihre Stimme gegen Rassismus erheben. Menschen, die sich auf dem Hintergrund ihres Glaubens in der Kommunalpolitik engagieren und andere, die sich durch ihr Leben und handeln gegen alles Menschenwidrige stellen. Hier wächst Gottes Reich – unscheinbar wie ein Senfkorn, aber voller Verheißung.

„Dein Reich komme“ – das ist nicht nur eine Bitte, sondern auch ein Auftrag. Es heißt: Bleib nicht stehen. Lebe anders. Liebe weiter. Vertraue tiefer. Halte aus. Und wisse: Du bist nicht allein. Wo zwei oder drei in seinem Namen zusammenkommen, sich engagieren, Zeichen der Hoffnung setzen, da ist Christus mitten unter ihnen – und sein Reich mit ihm.

In einer Welt, die oft von Angst, Hass und Unsicherheit geprägt ist, braucht es Menschen, die sich leiten lassen von einer anderen Kraft. Vom Geist Gottes, der befreit – denn noch einmal: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2. Korinther 3,17).

Wer das Vaterunser betet, spricht ein Gebet gegen die Gleichgültigkeit. Wer „Dein Reich komme“ sagt, entscheidet sich gegen das bloße Weitermachen wie bisher. Es ist ein Gebet aus der Hoffnung heraus – und zugleich eine Lebenshaltung: gerecht. Anders eben, mutig, zukunftsgewandt, hoffnungsstark, mit erhobenem Blick auf den auferstandenen Herrn Jesus Christus.

Möge dieses Gebet uns weiter verwandeln. Möge es unsere Gemeinden verändern. Und möge durch uns etwas sichtbar werden von dem, was wir erwarten: Gottes Reich. Mitten in dieser Welt.

Nach zehn Jahren als Präsident unseres Bundes verabschiede mich an dieser Stelle. Lasst uns fröhlich unterwegs bleiben. Gottes Reich wächst oft im Verborgenen. Aber es wächst. Immer dort, wo Menschen gerecht, anders und aus Liebe leben.

Michael Noss
Präsident