Vorwort Bund aktuell Nr. 9 | 1. September 2022
Liebe Leserin, lieber Leser,
„Wie soll es weitergehen?“ „Wie wird es wohl werden?“ „Was kommt auf uns zu und fordert uns noch weiter heraus?“ – Das sind Fragen, die heute viele Menschen stellen. Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten. Corona ist noch da und wir reden über den zu erwartenden Corona-Herbst. Der Krieg in der Ukraine lässt niemanden kalt und dessen Auswirkungen auf Deutschland, Europa, die Welt, können wir nicht abschätzen. Die Preise steigen. Gas, Strom, Benzin und Diesel sind so teuer wie noch nie. Auch die Lebensmittelpreise klettern kontinuierlich. Und dann ist da noch dieser Dürresommer mit erschreckenden Auswirkungen auf die Ökologie und die Ökonomie. Die Welt verändert sich in rasantem Tempo und wir erleben alles erschrocken, betroffen, ohnmächtig.
Natürlich suchen wir Menschen dann auch gerne nach Schuldigen. Corona und Putin, Politikerinnen und Politiker, das scheinbare oder tatsächliche Versagen von Menschen mit Entscheidungskompetenz bieten sich an. Und das aus heutiger Sicht falsche Handeln früherer Verantwortungsträgerinnen und -träger gibt Möglichkeit für eine kurzfristige Entlastung von der eigenen Betroffenheit. Aber irgendwie passt das nicht, denn wir merken, es ist komplexer, vielschichtiger, unüberschaubar. Es gibt keine einfachen Antworten oder schnell zu identifizierenden Schuldigen.
Es wird nicht mehr so weitergehen wie bisher und es wird auch nicht mehr so werden, wie es war. Wir werden uns alle verändern müssen. Die alten Zeiten sind vorbei und es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als uns auf Neues einzustellen oder auch aktiv Neues zu wagen. Dabei kann uns die Vergangenheit und das Erlebte helfen. Wie viele Veränderungen haben wir schon erlebt? Wir nannten es Fortschritt und haben uns auf technologische, kommunikative und globale Veränderungen eingelassen. Wir haben Krisen bewältigt und nach Lösungen gesucht, wir haben auch gelernt, mit Versagen und Scheitern umzugehen und nicht aufgegeben. Uns sind Kräfte zugewachsen wo es nötig war und Perspektiven entstanden, wo wir sie nicht vermutet hätten. Wir haben neu angefangen.
„Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit.“, lautet der Monatsspruch für September 2022. Er steht im Buch Sirach. – Weisheit? Ja, Weisheit! Das wünschen wir uns angesichts der uns umgebenen Krise: weise Menschen, weise Gedanken, weise Worte, weises Handeln. Weisheit ist die Erkenntnis der Zusammenhänge des Lebens.
Diese Erkenntnis richtet den Blick auf Gott, denn er hält die Welt in seinen Händen. „Er ist das Zentrum der Geschichte, der Anker in der Zeit, der Ursprung allen Lebens und unser Ziel in Ewigkeit.“ Und das gilt besonders in diesen bewegten Zeiten. Ist das nicht eine schöne und beruhigende Erkenntnis? Die Weisheit lehrt uns diesen Blick. Sie ist nicht hässlich und fordernd, sie ist nicht machtbezogen und selbstsüchtig, sie ist das Allerschönste, weil sie auf den Grundsatz allen Lebens, nämlich auf Gott selbst weist.
Mit diesem Hinweis auf Gott sind wir Christinnen und Christen gefragt. Wir sind von allem betroffen und herausgefordert, was Menschen zurzeit beschäftigt. Wir kennen aber in unserer Liebe zu Gott den festen Ort, der alles hält und in dem wir alle gehalten sind. Deshalb verbindet sich mit aller Betroffenheit auch der Auftrag, dem Evangelium von Jesus Christus gerade jetzt Gestalt zu geben. Kreativität und Ideen sind gefragt, denn wir erleben, dass in dieser Phase nach oder mit Corona das Gemeindeleben nur schwer wieder in Gang kommt. Manche haben den Eindruck, dass es gar nicht mehr geht. Frühere Ideale von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit scheinen nicht mehr zu tragen. Auch die Rückbesinnung auf alte Werte führt nicht zu mehr Klarheit und Sicherheit. Im Gegenteil, wir verstehen uns oft nicht mehr, verlieren uns aus den Augen und werden einander fremd.
Die Liebe zu Gott verbindet sich mit der Liebe zu Menschen und diese Liebe sucht immer wieder nach neuen Wegen, sie schenkt uns Mut und lässt die Hoffnung lebendig sein, sie schenkt uns gute Gedanken und eröffnet Möglichkeiten, die wir heute vielleicht noch gar nicht sehen. Ja, wir wissen nicht, wie es weitergeht in der Welt und in unseren Gemeinden, aber wir sind nicht ohne den, auf den die „allerschönste Weisheit“ unseren Blick lenkt. Deshalb dürfen wir auf manches in der Vergangenheit dankbar zurückblicken und voller Zuversicht in die Zukunft gehen.
Michael Noss
Präsident