
29 Jahre in Menschen investiert
Interview mit Olaf Kormannshaus
Zuletzt hat er 18 Jahre lang das Institut für Seelsorge und Psychologie geleitet und an der Theologischen Hochschule Elstal gelehrt. Nun ist Olaf Kormannshaus nach 29 Jahren in Bundesdiensten in den Ruhestand gegangen. Im Interview mit Dr. Michael Gruber berichtet er über Veränderungen im Umgang mit der Psychologie in den Gemeinden, die Bedeutung der Selbsterfahrung des Seelsorgers und den „höchsten Lohn“ seiner intensiven Arbeit mit Menschen.
baptisten.de: Olaf, du hast Theologie und Psychologie studiert. Warum diese Kombination?
Kormannshaus: Begonnen habe ich mit dem Psychologiestudium
und bald Theologie hinzugenommen, denn mir war wichtig, Menschen in einer umfassenderen Perspektive zu begegnen und sie nicht aus nur einer Blickrichtung anzusehen. Nach dem Theologiestudium habe ich parallel zu meinen Gemeindedienst in Buchholz in der Nordheide das Psychologiestudium abgeschlossen.
baptisten.de: Zu deinen Studienzeiten in den 70er-Jahren wurde Psychologie unter Pastoren und auch in Gemeinden oft kritisch gesehen. Wie hast du das damals erlebt, und was hat sich seitdem verändert?
Kormannshaus: Mir begegnete manches an Vorbehalten. In einer Gemeinde sagte mir mal jemand: „Psychologie ist eine gute Gabe Gottes … für alle Menschen, die nicht voll vom Heiligen Geist ergriffen sind.“ Andere haben es allgemeiner formuliert, ob denn mein Zutrauen in Gott so klein wäre, dass ich die Psychologie brauche.
Heute beobachte ich kaum noch theologische Vorbehalte. Stattdessen – und das ist auch kritisch zu sehen – bedienen sich Seelsorger mitunter recht beliebig aus dem psychologischen Supermarkt. Man nimmt sich, was in die eigenen Vorstellungen passt und lässt im Regal stehen, was die eigenen Vorlieben oder auch persönliche Frömmigkeitspraxis kritisch hinterfragen könnte. An Grundsatzfragen ist kaum noch jemand interessiert. Konjunktur hat alles, was sich unmittelbar umsetzen lässt.
baptisten.de: Von 1986 bis 1997 warst du Studienleiter des Jugendseminars in Hamburg. Was waren dort deine Arbeitsschwerpunkte?
Kormannshaus: Vor allem habe ich junge Leute langfristig begleitet, Jugendmitarbeitende, Zivildienstleistende oder Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr. Es war sehr befriedigend, weil wir im Laufe eines Jahres sehen konnten, wie Teilnehmer die Impulse aus dem „Einführungskurs in das Zeit-für-Gott-Programm“ aufgenommen haben. Und wir konnten sehen, wie sie sich danach entwickelt haben. In dem allerersten Kurs sagte eine Teilnehmerin: „Das ist ja wie ein Grundkurs des Lebens.“ Also nicht auf einer akademischen, sondern auf einer lebensgemäßen Ebene konnte ich Theologie und Psychologie gut zusammenbringen.
Unter den Teilnehmern der Zivi-Kurse waren auch viele, die nicht Christen waren. Auch sie ließen sich gewinnen für das, was die Bibel zu einem gelingenden Leben sagt. Denn sie merkten, dass die Kurse eine breite Perspektive berücksichtigten und ganz viel mit ihren Fragen zu tun hatten.
baptisten.de: 1992 wurden die Delegierten des Bundesrats gefragt, wo sie Ausbildungsbedarf in ihren Gemeinden sehen. An erster Stelle wurde die Seelsorge genannt. Daraufhin wurde 1997 das Institut für Seelsorge und Psychologie gegründet, dessen Leiter du wurdest. Das zentrale Angebot war der zweijährige Kurs „Seelsorge und Beratung“. Was war neu an diesen Kursen, die ja von Anfang an bis heute immer voll ausgebucht waren?
Kormannshaus: Es war eine auf die Mitarbeitenden in unseren Gemeinden zugeschnittene Ausbildung für Seelsorge. Wir wollten ihnen helfen, das, was sie ohnehin tun, kompetenter und reflektierter zu tun. Nach zwei Jahren habe ich Pastor Günter Hallstein vom Bund Freier evangelischer Gemeinden kennengelernt, der ein ähnliches Projekt für seinen Gemeindebund gründen wollte. Wir entschieden, es künftig zusammen zu machen.
Das Konzept wurde in all den Jahren immer mal verändert und angepasst. Als dritte Person hatten wir wechselnd stets eine Frau im Team, die jeweils die Körpererfahrung im Blick hatte. Entgegen meiner Befürchtung, durch die Bewegungsarbeit Zeit für andere Themen zu verlieren, konnten wir dadurch sogar konzentrierter arbeiten. Denn Gefühle sind ja nichts anderes als im Körper gespeicherte Erfahrungen. Und über die Körperwahrnehmungsübung am Vormittag sind wir an Gefühle herangekommen, die Leute oft noch gar nicht so benennen konnten.
baptisten.de: Die Selbsterfahrung hat im Kurs „Seelsorge und Beratung“ ja überhaupt eine wichtige Rolle gespielt. Warum muss der, der anderen helfen will, bei sich selbst anfangen?
Kormannshaus: Der Seelsorger selbst ist mit dem, was er hört und antwortet, sein wichtigstes Instrumentarium. Deshalb ist die Arbeit an der Wahrnehmung des Seelsorgers ganz entscheidend. Hierfür muss er seine eigenen blinden Flecken kennen. Sonst gibt er dem Ratsuchenden vielleicht Antworten, die er eigentlich sich selbst geben müsste, weil er seine eigenen Themen mit denen des Ratsuchenden vermischt.
baptisten.de: Worin besteht die theologische Dimension in der Selbsterfahrung des Seelsorgers?
Kormannshaus: Ein Ziel aller Selbsterfahrungsgruppen ist es, gnädiger mit sich selbst umzugehen. Der Seelsorger soll seine Schattenseiten oder, wie die Bibel sagen würde: sein Sündersein anerkennen und erfahren, dass Gott ihn in Jesus als gerechtfertigten Sünder anredet. Dann wird er auch mit anderen in dieser Haltung umgehen, sie nicht verurteilen, sondern ihnen wertschätzend begegnen. Auf diese Weise kann der Seelsorger verdeutlichen, dass der Mensch bedingungslos von Gott angenommen ist.
baptisten.de: Mit deiner anderen halben Stelle hast du seit 1997 an der heutigen Theologischen Hochschule Elstal Psychologie und Seelsorge gelehrt. Wie wurden diese Themen dadurch gestärkt?
Kormannshaus: Psychologie war zuvor eine zweistündige
Lehrveranstaltung im gesamten Studium. Dieses Angebot wurde ausgeweitet. Zusätzlich habe ich die Verantwortung für die Seelsorgeausbildung übernommen. Ein Schwerpunkt wurde die Seelsorge bei psychischen Erkrankungen. Soziale Kompetenz und Kybernetik kamen als Übungen hinzu. Dabei war mir wichtig: Wenn ich Psychologie unterrichte, unterrichte ich Psychologie. Wenn ich Seelsorge unterrichte, unterrichte ich Seelsorge. Das beides kommt natürlich zusammen. So, wie wenn man einen Torbogen baut, zwei Pfeiler mauert und dann erst oben den Bogen schließt.
baptisten.de: Neben deiner Tätigkeit an der Hochschule und der Leitung des Instituts hast du auch oft Seminare in Gemeinden gehalten, hattest also ein sehr großes Arbeitspensum. Was ist dein persönliches Fazit nach 29 Jahren beim Bund, und welche Pläne hast du für Deinen Ruhestand?
Kormannshaus: Es war für mich sehr befriedigend, in Menschen zu investieren, und das ist der höchste Lohn! Ich habe es als große Freude erlebt zu sehen, wie Menschen Impulse aufgenommen, sich entwickelt und später oft verantwortliche Aufgaben übernommen haben. Im Ruhestand werde ich nicht von 150 auf Null herunterfahren. Ich habe bereits eine ganze Reihe von Terminen, etwa in Gemeinden, sodass mir garantiert nicht langweilig wird.
baptisten.de: Welche Entwicklung wünschst du dir für den Bund bei dem Thema, für das du stehst?
Kormannshaus: Ich bin sehr dankbar, dass unser Präsidium wieder einen Referenten für Seelsorge und Psychologie berufen hat: Jens Mankel vom Bund Freier evangelischer Gemeinden. Er hat auch ein neues Team für den Kurs „Seelsorge und Beratung“ gefunden. Friederike Heinze wird auch wieder dabei sein. Sie werden manches anders machen, aber ich bin überzeugt, sie werden es sehr gut machen. Ich wünsche dem Team, dass sie ähnlich gute Erfahrungen machen wie ich. Und dass das, was hier geschieht, den Menschen im Alltag und in Krisensituationen zum Guten gereicht.
Auf der Internetseite der Theologischen Hochschule Elstal können Sie einen Bericht über die Abschiedsfeier für Olaf Kormannshaus lesen.
Beim Oncken Verlag können Sie die Festschrift mit dem Titel „Nah bei den Menschen“ bestellen, die die Theologische Hochschule ihrem ehemaligen Mitarbeiter Olaf Kormannshaus gewidmet hat.
Ein Artikel von Dr. Michael Gruber