Vorwort Bund aktuell Nr. 1 | 12. Januar 2023
Liebe Leserin, lieber Leser,
sehen und gesehen werden sind elementare Bedürfnisse jedes Menschen.
„Du bist ein Gott, der mich sieht“ heißt die Jahreslosung 2023 aus 1. Mose 16,13. Was für eine Verheißung über dem neuen Jahr! Viele von Euch werden sie schon in den ersten Gottesdiensten des Jahres gehört haben. Diese Worte stammen aus der alttestamentlichen Geschichte von Abraham, Sarah und Hagar. Die Magd Hagar spricht diese Worte und es geht ums Sehen und Gesehen werden.
Die Geschichte, wie es zu dieser Gottesbegegnung kommt, ist geradezu haarsträubend. Weil seine Ehefrau Sarah nicht schwanger wird, zeugt Abraham ein Kind mit der ägyptischen Magd Hagar. Als Leihmutter quasi. Es kommt dann zum Konflikt zwischen den beiden Frauen, weswegen Hagar in die Wüste flieht. Und dort findet sie der Engel des Herrn und fordert sie auf in die schwierige Dreiecksbeziehung zurückzugehen. Dafür spricht er ihr Mut zu mit den Worten (1. Mose 16,11): „Der Herr hat dein Elend erhört.“ Das ist die Zusage des Engels, Gott hat ihr und ihrer Situation seine direkte und ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt. Gott hat sie gesehen. Mehr nicht, aber auch nicht weniger! Damit sind nicht alle Probleme von einer Sekunde auf die andere aus der Welt geschafft. Aber Hagar findet in dem Vertrauen darauf, dass Gott sie sieht und sich um sie kümmert, neue Kraft und Orientierung für ihr Leben. Und daraufhin gibt Hagar Gott einen einmaligen Namen. An keiner anderen Stelle in der Bibel kommt dieser Gottesname El Roi noch einmal vor: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Keine allgemeine Weisheit ist das, sondern das persönliche Bekenntnis einer Frau, die in der Zuversicht, nicht auf sich alleine gestellt zu sein, aufatmen kann. Gott kümmert sich um mich!
Diese Zusage Gottes in der Jahreslosung trifft uns ganz persönlich. Gott sieht ja auch uns in schwierigen Lebenssituationen, die wir erleben. Und er sorgt sich um uns. Nicht nur Hagar wusste das, auch Jesus hat davon in seiner Bergpredigt gesprochen, und der Apostel Petrus hat es an die ersten Gemeinden geschrieben: Gott sieht uns. Er sorgt sich um uns.
Bei der Jahreslosung muss ich besonders auch an die schlimme Menschenrechtssituation im Iran denken. Das Unrecht betrifft auch Geschwister in unseren Gemeinden, die aus dem Land geflohen sind. Wir haben Iranerinnen gefragt: Was bedeutet es Euch im Hinblick auf die Situation im Iran, von Gott angesehen und wahrgenommen zu werden?
„Gott ist sich unserer Situation bewusst. Er weiß um unsere Nöte und unser Leid. Er sieht, dass die Menschen im Iran von einem diktatorischen und despotischen Regime gepeinigt und unterjocht werden. Aber so, wie er Hagar in der Wüste mit ihren Problemen und Nöten und in ihrer Einsamkeit unter schwierigsten Bedingungen nicht allein gelassen hat, sieht er heute die Menschen im Iran in der Wüste ihres Leids und ihrer Unterdrückung und lässt sie nicht allein. Er ist der treue und verheißende Gott, von dem wir Hilfe und Unterstützung erhalten.“
„Dass die Protestierenden auf den Straßen und in den Gefängnissen, dass zum Tode verurteilte Menschen von Gott gesehen werden, gibt uns ein Gefühl von Frieden und neue Kraft, die unseren Glauben stärkt. Unser Gott ist lebendig und leidet mit uns. Er ist allgegenwärtig und ein Gott, der seine Augen nicht verschließt. Über all dies hinaus haben wir die Zuversicht, dass Gott inmitten all diesem Trubel und chaotischen Bedingungen im Iran immer noch einen besonderen Plan für die Menschen dieses Landes hat. Unsere Hoffnung ist in dieser Wüste der Not lebendig. Wir wollen Zeugen der Erfüllung seiner Verheißung und der Befreiung des Irans zum richtigen Zeitpunkt sein.“
Gott sieht jede und jeden. Und ich denke, dass es vielleicht gar nicht immer ein Engel des Herrn ist, der das lösende und erlösende Wort sagt: „Der Herr hat dein Elend erhört.“ Vielleicht sind es auch wir, die einander sehen, miteinander beten, sich politisch einsetzen, Geld spenden und Hilfe leisten. Die Erfahrung „Du bist ein Gott, der mich sieht“ machen Menschen doch auch dort, wo andere sich für sie in ihrer Not einsetzen mit Kopf, Herz und Hand. Ich finde, das passt sehr gut zu unserem Jahresthema: Dich schickt der Himmel!
„Seid weiter wie bisher die Stimme der unterdrückten Iranerinnen und Iraner und unterstützt die Menschen im Iran, prangert das Unrecht an und verteidigt das iranische Volk, vor allem in einer Zeit, wo massenhaft und willkürlich ungerechte Urteile vollstreckt und Demonstrierende hingerichtet werden, um die Proteste niederzuschlagen. Die Menschen im Iran sind auf die Hilfe aus Deutschland angewiesen, um das Leben der Protestierenden zu retten.“
„Diese Proteste beziehen sich nicht nur auf wirtschaftliche und existenzielle Ängste, sondern es geht um alle Lebensbereiche wie Kleidungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit, Freiheit der religiösen Minderheiten, psychischer und seelischer Druck auf junge Menschen und Heranwachsende, fehlende Freude und fehlender Respekt vor Menschen. Und in all diesen Bereichen werden insbesondere die Frauen unterdrückt, die den größten Preis für die Erlangung einfacher Menschenrechte zahlen müssen.“
„Wir dürfen nicht die ungerechten Gefängnis- und Todesurteile gegen Menschen vergessen, die ihre Bürgerrechte einfordern und auf friedliche Weise gegen die herrschenden Zustände in der Gesellschaft protestieren. Diese Menschen kommen aus allen Gesellschaftsschichten, darunter normale Bürgerinnen, Künstler, Sportlerinnen, Studierende, Schülerinnen, Politiker, Medizinerinnen, Journalisten und viele mehr.“
Gott sieht sie alle. Und uns. Und die vielen Namenlosen auf der ganzen Welt, die wir gar nicht kennen. Sie alle hat Gott gesehen und sieht Gott. Gott ist das Gegenteil von dem, was die Herren der Welt tun, die Diktatoren, die Autokraten, die die Geringen nicht ansehen und denen ein Menschenleben nichts wert scheint. Gott, der Vater unseren Herrn Jesus Christus, ist in seinem Wesen und Handeln gnädig und barmherzig! Von Gott angesehen zu werden, das gibt Anerkennung, das bewirkt Rettung und neue Hoffnung.
„Durch unseren christlichen Glauben und unsere christliche Hoffnung haben wir gelernt, dass das Licht über die Dunkelheit triumphiert und die Tyrannei niemals Bestand haben wird.“
El Roi. „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Diese Jahreslosung ist eine starke Zusage, ein Wort der Hoffnung am Beginn dieses Jahres! Ich wünsche Euch allen, dass dieses Vertrauen Euch persönlich mit Euren Familien und Eure Gemeinden durch dieses Jahr trägt!
Christoph Stiba
Generalsekretär