Ich liebe meine Gemeinde!
Die Bedeutung der Gemeinde für die baptistische Spiritualität
Welche Bedeutung hat die Gemeinde für den Glauben von Baptistinnen und Baptisten? Dieser Frage geht Prof. Dr. Andrea Klimt in ihrem zweiten Beitrag zur Artikelserie INSPIRIERT LEBEN nach.
I love my church! So kommentiere ich gerne Fotos meiner Gemeinde. Ich liebe meine Gemeinde und wenn jemand aus meiner Gemeinde ein Foto von einem Sonntagsgottesdienst, einer Taufe oder einer Gemeindefreizeit auf Facebook postet, dann kommentiere ich gerne mit diesen Worten. Das hat sogar mein schottischer Facebookfreund schon bemerkt, dass „I love my church“ zu meinen Lieblingskommentaren gehört. Ich liebe meine Gemeinde. Und das trifft auf alle fünf Baptistengemeinden zu, zu denen ich bislang gehört habe.
Das sind sehr unterschiedliche Gemeinden. Gemeinden mit Tradition und Geschichte oder eine gerade erst vor wenigen Jahren gegründete. Gemeinden mit unterschiedlicher Altersstruktur. Gemeinden in sehr unterschiedlichen Regionen. Gemeinden mit Menschen aus sehr unterschiedlichen Kulturen. Gemeinden in alten und neuen Gebäuden. Gemeinden mit diakonischen Initiativen oder Werken und ohne. Gemeinden mit einem großen Engagement im jeweiligen Bund oder auch nicht. Gemeinden mit vielen internationalen Kontakten oder mit wenigen. In jeder dieser Gemeinden habe ich gerne mitgearbeitet und mitgestaltet, gefeiert, gebetet, gelebt. Jede dieser Gemeinden hat meine Spiritualität geprägt und meine Liebe zur Gemeinde.
Was ist typisch für die gemeinsam gelebte Spiritualität in Baptistengemeinden? Das gemeinsame Gebet fällt mir dazu als erstes ein. Hier wird für mich die „Spiritualität“ einer Gemeinschaft besonders deutlich. Das Gebet ist in Baptistengemeinden so selbstverständlich wie das Atmen für den Menschen. Baptistinnen und Baptisten beten füreinander und miteinander. Alles wird im Gebet vor Gott gebracht: Das Weltgeschehen, persönliche Probleme, die Gegenwart und Zukunft der Gemeinde, die Not einzelner Menschen und ganzer Gesellschaften. Natürlich wird auch die Dankbarkeit gegenüber Gott im Gebet ausgedrückt. In vielen Gemeinden gibt es Gebetsgemeinschaften: in Gottesdiensten, Bibel- und Hauskreisen und anderen Gemeindeveranstaltungen. Jede und jeder ist aufgefordert, sich mit einem eigenen Gebet zu beteiligen. Für Außenstehende ist diese Gebetsform oft beeindruckend, manchmal auch ungewohnt und befremdlich. Im Grunde wird hier aber zweierlei deutlich. Zum einen, dass sich alle gleichberechtigt einbringen können und ihre eigenen Anliegen selbst formulieren. Zum anderen wird hier der persönliche Glaube, das Vertrauen in einen Gott, der Gebete hört und beantwortet, öffentlich praktiziert und das gemeinsam. Hier teile ich sehr persönliche Dinge mit Menschen, mit denen ich weder verwandt noch in erster Linie befreundet bin. Aber dass ich meine Anliegen mit den Menschen in meiner Gemeinde teilen kann, das verbindet mich mit ihnen.
Auch ein persönliches Gespräch endet oft mit Gebet. Nicht immer beten die Gesprächspartner direkt miteinander, dafür umso öfter füreinander, in ihrer persönlichen Gebetszeit, nachdem sie auseinandergegangen sind. Baptistinnen und Baptisten nehmen Anteil am Leben der Anderen. Auch das ist aus meiner Sicht typisch für eine baptistische Spiritualität: Das Leben miteinander zu teilen, den Alltag miteinander zu teilen. Das baptistische Gemeindeleben erschöpft sich nicht in der Gestaltung und Feier des Sonntagsgottesdienstes, auch während der Woche pflegen die Gemeindeglieder Kontakt zueinander. Sie haben eine gemeinsame Aufgabe. Sie bauen und gestalten miteinander „Gemeinde“ und sind mit der Verkündigung des Evangeliums betraut. In dieser Aufgabe verstehen sie sich als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes. Hier ist ihr missionarisches, diakonisches, soziales und politisches Engagement begründet.
Zu diesem Handeln motiviert sie das Wort Gottes, die Bibel, die für sie alleinige Regel und Richtschnur für Glauben und Leben ist. Daher haben sie auch die Aufgabe, miteinander in der Bibel zu lesen. Hier ist die baptistische Spiritualität geprägt von Austausch und Dialog. Da es in unseren Gemeinden und Bünden kein „Lehramt“ gibt, das vorgibt, welche Glaubensinhalte verbindlich sind, müssen die Gemeinden sich selbst innerhalb der Gemeinde und im Miteinander der Gemeinden darüber verständigen. Hier gibt ein großes Vertrauen auf die Führung des Heiligen Geistes und eine gesunde Skepsis gegenüber allen selbsternannten Lehrautoritäten. Dieses gemeinsame Bibellesen und der nachfolgende Verständigungsprozess fördern die Selbstständigkeit der einzelnen Person und die Kommunikation untereinander. Dass es hier auch zu unterschiedlichen Meinungen und zu Streitgesprächen kommt, gehört zum Prozess. Das hält die Beziehung zum Wort Gottes und untereinander lebendig, manchmal sehr lebendig. Hier sind wir immer wieder herausgefordert, Spannungen zwischen der Vielfalt von Argumenten und Meinungen und der Einheit unter dem Kreuz Christi auszuhalten. Dieses gemeinsame Ringen um das rechte Verständnis des Wortes Gottes gehört für mich, mit Wirkungen und Nebenwirkungen, zur baptistischen Spiritualität. Hier drücken sich gleichermaßen die Freiheit der einzelnen Person und Gemeinde und die Zusammengehörigkeit trotz unterschiedlicher Auffassungen aus.
Das Ringen um Einheit trotz Verschiedenheit ist dann auch eine Motivation sich generell für die Einheit der Christen und Kirchen einzusetzen. Nicht selten sind Baptisten unter denen, die sich regional oder global für Zusammenschlüsse wie die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, die Evangelische Allianz oder den ökumenischen Rat engagieren. Das Miteinander-Ringen wird auch immer wieder in den jährlichen Konferenzen der Landesverbände oder Bünde deutlich. Trotz der Selbständigkeit der jeweiligen Ortsgemeinde gibt es eine innere Verpflichtung, gemeinsam in einem Gemeindebund zu arbeiten. Die Grundlage für diese Haltung, diese Prozesse, ist immer wieder neu ein intensives Studium der Bibel und der Austausch darüber unter Mitwirkung des Heiligen Geistes.
All das macht die Bedeutung von Gemeinde aus und prägt die Spiritualität von Baptistinnen und Baptisten. Und dazu gehört insbesondere auch die Liebe zur Gemeinde.
Ein Artikel von Prof. Dr. Andrea Klimt