Beim Hingehen erlebt

„Damit wir klug werden.“

„Deutscher Evangelischer Kirchentag, ein Großereignis nicht nur für evangelische Christen - Forum und Fest, Dialog und Begegnung.“ So die Selbstbeschreibung. Hingehen ist eigentlich Pflicht, wenn man wahrnehmen will, was in der christlichen Landschaft passiert. Deshalb sind wir dort auch vertreten als Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden mit einem Stand im Markt der Möglichkeiten. Sagt ja schon der Name, das E in BEFG, dass wir dahin gehören. Und vielleicht kann man von den anderen Kirchen auch etwas lernen. „Damit wir klug werden.“

Also los. Auf dem Weg zur Zelthalle mit den Ständen zunächst ein Blick ins Programm. Das Heft ist 620 Seiten stark und natürlich auf Recycling-Papier gedruckt. Erst mal setzt da Verwirrung ein. Ein Seitenblick in der S-Bahn verrät: Die erfahrene Kirchentagsteilnehmerin klebt sich bunte Lesezeichen in das zerlesene Programmheft, am besten nach Tagen farblich sortiert, ein persönlicher Weg durch die Veranstaltungen, Bus- und Wartezeiten mit eingeplant. Ich versuche es mit der Suchfunktion der Smartphone-App für den Kirchentag. Aber Vielfalt kann auch ziemlich überfordern. Was nur machen zwischen Zentrum Regenbogen und dem Liturgischen Tag zu Psalm 90, dem World-Café „Palästinenser, Israelis und wir“ und der Interreligiös-theologischen Basisfakultät der Frauen? Vielleicht hingehen, wo die Lernerfahrung erträglich erscheint, vom Bekannten aus kleine Schritte wagen, z.B. beim pietistisch geprägten Jesustag? Oder die volle Packung Fremdheitserfahrung bei der Bibelarbeit zum Mittanzen?

Angekommen am Stand des BEFG. Friedrich Kleibert, Kollege und Hobbykünstler, ist bereits mit seinen Holzarbeiten beschäftigt. Er sägt aus Wacholderholz kleine Herzen, Kreuze, Fische, Blumen, sogar das BEFG-Logo ist dabei. Echte Handarbeit, in emsigen Stunden zu Hause vorbereitet. Wer an den Stand kommt, darf sie fertig schleifen und mitnehmen. Kostenlos. Von Baptisten geschenkt. Besucher des Marktes der Möglichkeiten setzen sich, freuen sich über die Ruhe, plauschen ein bisschen, hantieren mit Schleifpapier, wundern sich, dass Martin-Luther King ein Baptist war und wir tatsächlich Menschen komplett untertauchen beim Taufen.

Manche packen aus. Ihre Lebensgeschichte und was sie mit ihrer eigenen Taufe verbinden, auch als Kindgetaufte. Erstaunlich oft gute Erfahrungen mit Baptisten. Manchmal auch ihre Befreiung aus der Enge einer unserer Gemeinden. Fachsimpeln mit Theologen über Zeichenhaftes und Sakramentales. Katholikinnen und Lutheraner, Pfadfinderinnen und Posaunenbläsern, auch ein paar Lesben und Schwule sind dabei. Zumeist tolle Christen! Ehrlich und offen. Andere wiederum packen ein. Kulis und PostIt-Blöcke. Vom Korb mit den ausgesägten Symbolen auch mal zwei ganze Hände voll direkt in ihre Sammlertaschen. Als gäbe es kein Morgen. Und schämen sich nicht ein bisschen, so unverschämt zu sein. „Die dürfen sie gerne hier zu Ende schleifen.“ „Ja, mache ich dann zu Hause.“ Tolle Christen. Mich wundert, wie ruhig Friedrich dabei bleibt. Ein Fels in der Brandung.

Ja, es kommen auch noch ein paar Überraschungen für mich beim DEKT dazu: der Church Comedy Club, die Predigt vom koptischen Bischof Anba Damian, eine Diskussion mit Bodo Ramelow von der Linkspartei, ein Workshop zum bedingungslosen Grundeinkommen. Beeindruckender aber sind wieder die einzelnen persönlichen Begegnungen mit normalen Christen-Menschen. Manchmal merkt man ihnen auch ohne viele Worte ihre Begeisterung für den Glauben richtig an, manchmal passt ihr frommer Außenanstrich nicht zum erlebten Verhalten. Das hilft mir, in der großen Vielfalt die Richtung zu halten. Daran will ich lernen und hoffentlich klug werden.

Gunnar Bremer
22.06.2015