Beim Hingehen erlebt
Ein Stück Himmel in Belgien
Ich bin mit Gunnar zu Gast in Middelkerke. Dort an der belgischen Küste gibt es eine kleine Gemeinde. Das Gemeindezentrum: „zweckmäßig“ wäre wohl eine passende Bezeichnung. Nicht wirklich schön: Neonröhren an tiefhängenden Decken, der Gottesdienstraum ein Multifunktionssaal. Auf den Gängen stehen Gefriertruhen mit gesammelten Lebensmitteln, die regelmäßig an Bedürftige verteilt werden. Das kleine Gemeindebüro wurde vorübergehend zum Kiosk umfunktioniert. Gleichzeitig ist es Besprechungszimmer, Lager und Malstube für kleine Kinder – und Empfangsraum für Gäste wie uns. Bis unter das Dach ist jeder kleinste Raum mit Leben gefüllt. Um zu unserem Nachtlager zu gelangen, müssen unsere Füße auf verschachtelten Wegen die wenigen freien Stellen zwischen den Matratzen finden. Es ist gerade das Sommercamp für Teens aus armen Verhältnissen. Über 80 bunte Kinder aus ganz Belgien.
Das Team besteht aus „alten Hasen“, die das schon über 10 Jahre lang machen. Und jungen Männern und Frauen, die selbst einmal als Kind teilgenommen haben. Dabei haben sie Jesus kennen gelernt. Nun nehmen sie sich Urlaub und reisen teilweise von weit an. Die Begeisterung für die Kinder und der Wunsch, ihnen eine richtig schöne Ferienwoche zu schenken und dabei den Glauben zu teilen, ist bei allen mit Händen zu greifen. Lauter Lobpreis in unterschiedlichen Sprachen, Gottesdienste, Stadtspiele, Ausflüge, Baden im Meer, Andachten, Spiele, gemeinsame Mahlzeiten. Alles mit sehr einfachen Mitteln, aber liebevoll und bestens organisiert. Ich sehe in dem Gewusel lauter fröhliche Gesichter. Einfach himmlisch!, denke ich.
Im Hof beim Kartoffelschälen helfen Gunnar und ich mit. Es gibt selbstgemachte Pommes. Wir tauchen ein in diese besondere Atmosphäre, in diesen „göttlichen Ausnahmezustand“. Neben mir hat ein alter Mann mit Rollator Platz genommen. Wie alle anderen aus dem Kochteam trägt er ein Haarnetz, was sehr putzig aussieht. Er steht gleich wieder auf und lenkt sein Gefährt Richtung Küche. Nach etwa fünf Minuten sitzt er wieder neben mir. Erst jetzt fällt mir auf: ich habe ihm wohl sein Schälmesser weggenommen. Nun dreht auch er mit neuem Werkzeug eine Kartoffel nach der anderen in der Hand und entfernt die Schale. Langsam. Sehr langsam. Aber: er ist dabei! Er ist Mitarbeiter und Teil dieser wundervollen Gemeinschaft. Da ist vieles so herrlich bunt beisammen: jung und alt, klein und groß, minimal und maximal pigmentiert, niederländisch, französisch und flämisch.
Wunderbar!, denke ich. Ich habe keine Ahnung, wie attraktiv der normale Gemeindealltag hier ist. Aber die Leute hier begeistern mich! Sie machen ihr Ding. Zwei mal im Jahr so ein Camp für Kinder und Jugendliche. Sie haben herausgefunden, wodurch sie den Unterschied machen - und lassen ihr Licht leuchten!
Joachim Gnep
03.09.2015