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Berufen und begabt, selbständig und verbunden

Über die Grundstruktur einer Gemeinde im BEFG

Der fünfte Abschnitt von Teil 2 der Rechenschaft vom Glauben (RvG) thematisiert die Grundstruktur und Gestalt der Gemeinde Jesu. Das geschieht anhand der drei Stichworte Geistesgaben, Dienste und Ordnungen, die in jeweils einem Absatz entfaltet werden. Ziffer 5 antwortet somit auch auf die Frage, was die Leitung der Gemeinde legitimiert und wie sie auszuüben ist.

Mit der gottesdienstlichen Feier und dem Genuss der Gnadenmittel (Abschnitte 1-4) geht das Geschenk von Gnadengaben und Charismen einher. Unter Bezug auf die einschlägigen neutestamentlichen Texte (1Kor 12-14; Röm 12,1-8; Eph 4,11-16) wird im ersten Satz unterstrichen, dass Sinn und Zweck der Charismen ausschließlich in der Auferbauung des Leibes Christi bestehen. Da alle Glieder mit Gnadengaben beschenkt sind, wirken alle am Aufbau der Gemeinde mit. Sämtliche Fragen, die Form und Gestalt der Gemeinde betreffen, sind daher im Blick auf dieses Ziel zu bedenken.

Mit drei Begriffspaaren werden Gaben benannt, die Gottes Geist insbesondere gibt, um dieses Ziel zu erreichen. Damit wird unterstrichen, dass diese Gaben eine besondere Funktion für das übergeordnete Ziel erfüllen, dem die Gemeinde als Ganze dient. Daher müssen diese Gaben, wie der zweite Absatz zeigt, geordnet werden. Es handelt sich um Gaben, die das Evangelium inhaltlich erschließen (Verkündigung und Lehre), anderen seine Lebenskraft weitergeben (Liebe und Fürsorge) und die Gemeinde orientieren (Leitung und aktuelle Weisung).

Der Ansatz bei den Gnadengaben führt die Verfasser der Rechenschaft vom Glauben zu der weitreichenden Festlegung, dass das Priestertum aller Gläubigen die der Gemeinde von Jesus gegebene Grundstruktur ist. Diese Aussage liegt in der Logik der Argumentation. Wenn jeder Christ durch den Glauben an Christus selbst direkt Zugang zu Gott hat und wenn durch das Wirken des Geistes Gottes jedes Glied am Leib Christi mit Gaben beschenkt ist, dann muss sich das auf die Gestalt der Gemeinde auswirken. Die reformatorische Entdeckung der Rechtfertigung durch den Glauben wird somit konsequent auf die Gestalt der Kirche angewendet. Damit unterscheidet sich das baptistische Bekenntnis allerdings von anderen protestantischen (Frei)Kirchen, wie z. B. der Evangelisch-methodistischen Kirche, die eine bischöfliche Struktur hat.

Die getroffene Festlegung weckt natürlich sofort die Folgefrage, wie die vielfältigen Gnadengaben so ausgeübt werden, dass sie nicht zu einem Durcheinander führen, sondern eine dienende, bereichernde und stärkende Wirkung haben. Darauf geht der zweite Absatz ein, indem er festhält, dass Frauen und Männer in spezielle Dienste berufen und für diese ausgebildet werden. Es kommt zu einem Miteinander von Ämtern, also speziellen – und so müsste ergänzend gesagt werden: ordinierten – Diensten und allgemeinen Geistesgaben. Dass die RvG in diesem Zusammenhang ausdrücklich von Ämtern spricht, ist deutlich zu kennzeichnen. Sie beugt damit dem weitverbreiteten Missverständnis vor, Baptisten würden keine Ämter kennen. Das tun sie aber aus gutem Grund. Deshalb bildet der BEFG gezielt für diese Ämter aus und ordiniert geeignete Personen, indem er sie öffentlich und feierlich beauftragt. Im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden handelt es sich um die Dienste von Pastoren, Diakonen und – im Christusforum (ehem. Arbeitsgemeinschaft der Brüdergemeinden) – Pastoralreferenten. Frauen und Männer werden aus guten theologischen Gründen gleichermaßen für diese Ämter ordiniert.

Als sachliche Begründung für die Berufung in spezielle Dienste nennt die RvG die „besondere Begabung durch den Heiligen Geist“, die bei einzelnen Personen erkannt wird. Ergänzend wäre die dem Reformator Martin Luther folgende Begründung zu nennen, dass die Gemeinschaft der Gläubigen eine solche Ordnung erfordert, weil nicht alle immer und zur gleichen Zeit verkündigen, unterweisen und leiten können. Um des Friedens und der Auferbauung willen ist die Berufung in und die Ausbildung für Ämter und das Delegieren von Aufgaben erforderlich.

Der letzte Satz des zweiten Absatzes will das Verhältnis von Geistesgaben und Ämtern klären, ist aber nicht eindeutig, wenn er festhält, dass sie „in gleicher Weise der Sammlung und Sendung der Gemeinde Jesu Christ dienen“. Die Wendung „in gleicher Weise“ kann entweder auf Geistesgaben und Ämter bezogen werden. Dann würde richtigerweise festgehalten, dass mit der Unterscheidung der beiden Größen keine Wertung vorgenommen wird. Sie sind nicht ungleich, sondern gleich! Allerdings würde dann unterschlagen, dass die Weise durchaus unterschiedlich ist: die einen sind hauptamtlich, in Form einer Anstellung tätig, die anderen ehrenamtlich. Das muss wahrgenommen, reflektiert und verantwortlich gestaltet werden, denn das Miteinander von haupt- und ehrenamtlichen Diensten kann auch eine Quelle für Konflikte sein. Die Wendung ließe sich aber auch auf „Sammlung und Sendung“ beziehen. Dann würde ausgesagt werden, dass Geistesgaben und Ämter sowohl dem einen als auch dem anderen dienen. Aber das versteht sich eigentlich von selbst.

Der dritte Abschnitt führt den Gedanken dahingehend weiter, dass er aus dem bisher Gesagten zum einen die Selbständigkeit der Ortsgemeinde ableitet, zum anderen im gleichen Atemzug die Verbundenheit der Gemeinden untereinander hervorhebt, die in Gestalt des Gemeindebundes zum Ausdruck kommt. Damit wird dem Missverständnis vorgebeugt, die Gemeinschaft der Gemeinden sei ein beliebiger Aspekt, dem sich eine gleichsam autarke Ortsgemeinde je nach Bedarf und Finanzlage auch entziehen kann. Die Selbständigkeit der Ortsgemeinde und die Verbundenheit mit anderen Gemeinden gehören als einander ergänzende und bereichernde Prinzipien zum Wesen der Gemeinde Jesu Christi, denn die VerBUNDenheit „durch den einen Herrn und den einen Geist“ ist ein Instrument „der Sendung der Gemeinde in dieser Welt“.

Einladung zum Weiterdenken

1. Welche Aspekte in diesem Abschnitt der RvG sind überraschend oder auch irritierend neu?

2. Welche Stärken und Schwächen am Prinzip der selbständigen Ortsgemeinde nehmt ihr wahr?

3. Welche Impulse für die Förderung von Charismen und die Leitung der Gemeinde könnt ihr den erwähnten Bibeltexten und dem hier behandelten Abschnitt der RvG entnehmen?

4. Wie können ehren- und hauptamtliche Dienste einander sinnvoll ergänzen und bereichern? Welche gegenseitigen Erwartungen erschweren das?

5. Wie gestaltet eure Gemeinde die Verbundenheit mit dem BEFG bzw. einzelnen Gemeinden? Wie könnte sie ggf. intensiviert werden?

Erschienen in: Die Gemeinde 15+16/2022.

Ein Artikel von Prof. Dr. Oliver Pilnei, Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Hochschule Elstal

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Kommentare (1)

  • Bolko Müller
    am 29.12.2022
    Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Pilnei!
    Vor meiner Pensionierung war ich Beamter, hatte also ein Amt inne. Wenn sich der Bedeutungsgehalt dieses Begriffes nicht sehr gewandelt hat, so stimmt er mit den im NT benutzten Wörtern absolut nicht überein. Seit die Gemeinden im 4. Jhrh. zu Staatskirchen wurden, ist dieser Ausdruck auf die "Dienste" in der Gemeinde übertragen worden. In der Reformation wurde er ohne Problembewusstsein übernommen. Sie kennen sicher den Aufsatz von Ernst Käsemann (zu doulaia u diakonia) in "Verstehen" I/II, die seit meinem Umzug verlegt zu sein scheinen. Sicher ist für fast alle in unseren Gemeinden Ordinierten ihr Auftrag Dienst und nicht Amt; aber es gilt doch auch auf den Beginn von Verschiebungen zu achten.
    Mit herzlichen Grüßen
    Bolko Müller