Monatsandachten

Geistliche Impulse aus der Theologischen Hochschule Elstal

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Ältere Andachten finden Sie im Archiv.

September 2024

Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Jeremia 23,23

Hier spricht Gott selbst. Er ist wütend, aufgebracht. Er wendet sich an Propheten, die sein Volk in die Irre führen. Sie reden ihre eigenen Worte und nicht Sein Wort, erzählen von ihren eigenen Träumen und nicht von Träumen, die Er ihnen gab. Sie maßen sich an, in Gottes Namen zu sprechen. Sie lügen und betrügen. Sie wiegen ihre Mitmenschen in einer falschen Sicherheit, reden was gefällt und warnen sie nicht vor den Folgen ihres Handelns. So ist keine Umkehr möglich. Es wird sich nichts verändern. Menschen betrügen andere Menschen zu ihrem eigenen Vorteil und das tun sie im Namen Gottes. Sie Wegweiser, die falsche Wege weisen.

Dieses Verhalten ist Gott nicht verborgen. Er ist nah. Er schaut nicht weg. Er nimmt dies alles wahr. Vor Gott kann sich niemand verstecken und das ist gut so. Gott sagt, dass er auch ein Gott ist, der fern ist. Dies zeigt, dass sich niemand aus der Verantwortung schleichen kann. Die Menschen, die Gott zur Rechenschaft ziehen will, können dem nicht entkommen, z. B. in dem sie sich „in die Ferne“ begeben. Wo immer Menschen vor ihm weglaufen – er ist schon da: Und er spricht die Wegweiser auf ihre Verantwortung an. So geht das nicht! So ist die Liebe nicht! So nicht! Ändert Euch! Dringt durch zur Liebe! Jetzt!

Wo immer Menschen vor Gott weglaufen – ist er schon da: Das ist sehr tröstlich, weil wir immer nur in seine Arme laufen können. An anderer Stelle betet ein Mensch, der diese Erfahrung gemacht hat: Wohin könnte ich gehen vor deinem Geist, wohin fliehen vor deiner Gegenwart? Würde ich in den Himmel steigen: Du bist dort. Würde ich mich in der Unterwelt verstecken: Du bist auch da. Würde ich hochfliegen, wo das Morgenrot leuchtet, mich niederlassen, wo die Sonne im Meer versinkt: Selbst dort nimmst du mich an die Hand und legst deinen starken Arm um mich. (Psalm 139)

Ich ärgere mich, wenn Menschen sich anmaßen, im Namen Gottes zu reden. Es beruhigt mich, dass Gott nah ist und das schlechte Handeln von Menschen wahrnimmt und sie zur Verantwortung ziehen wird. Es tut mir gut, zu wissen, dass er auch in der Ferne ist und

dass sich vor Gott niemand aus der Verantwortung stehlen kann.

Und wenn ich selber nicht weiß, ob ich anmaßend rede, dann kann ich mich dem Beter des Psalms 139 anschließen: Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz! Verstehe mich und begreife, was ich denke! Schau doch, ob ich auf einem falschen Weg bin! Und führe mich auf dem Weg, der Zukunft hat!

Der Wegweisung Gottes will ich vertrauen und wenn dann einer kommt und im Namen Gottes spricht, dann prüfe ich das erst einmal ganz genau. Gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, zu den angesprochenen Themen erst einmal gründlich Sein Wort zu befragen und das auch gerne in der Gemeinschaft derer, die sich zu Christus bekennen, in dem Gott uns in besonderer Weise nah gekommen ist.

Prof. Dr. Andrea Klimt
Rektorin und Professorin für Praktische Theologie

August 2024

Der Herr heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden. Ps 147,3

Diese Bibelworte sind Teil eines Psalms, der ein großes Lob Gottes anstimmt und der zum Singen gedacht war. Dazu ermuntert der erste Vers: „Gut ist es, unserm Gott zu singen; schön ist es ihn zu loben.“ Singen und loben sind die beiden Verben, die anzeigen, dass an ein musikalisch begleitetes Singen der Gemeinde gedacht war. Wie das klang, wissen wir nicht. Vermutlich hat dieser Auftakt Anton Bruckner dazu animiert, dem Psalm eine wunderbare, kantatenähnliche Vertonung zu widmen (Bruckner WAB 37, Psalm 146). Dass sein Werk den Psalm als den 146. ausgibt, liegt daran, dass er sich bei der Zählung an die lateinische Bibel hält. Es lohnt sich, in dieses Werk, das auf Streaming-Plattformen verfügbar ist, einmal hineinzuhören. Dabei fällt auf, dass unser Monatsvers in einem Rezitativ von einem Sopran nur kurz gestreift wird. Die musikalische und stimmliche Wucht konzentriert sich auf V. 5: „Unser Herr ist groß und von großer Kraft, und unbegreiflich ist, wie er regiert.“ Das haben die Verfasser des Psalms offensichtlich erfahren. Und zwar so, dass Gottes Kraft als heilsames und aufrichtendes Handeln erlebt wurde. Die Israeliten, die alles verloren hatten und im Exil in Babylon waren, hat er zurückgeführt. Jerusalem wurde wieder aufgebaut (V.2). Die Herzen, die durch Verlust, Trauer und Hoffnungslosigkeit gebrochen waren, wurden geheilt; schmerzende Wunden angesichts einer erdrückenden Gegenwart wurde von Gott behutsam verbunden.

Manche Gotteserfahrungen kann man nur besingen. Wer singt, nimmt den Mund immer ein bisschen zu voll. Singend sehen wir mehr, als vorfindlich da ist. Der Monatsspruch ist keine Feststellung, die auf alles und jeden zutrifft. Manche werden mit dankbarem Gesichtsausdruck nicken. Andere lecken sich noch ihre Wunden, weil sie eben noch nicht verbunden sind: überflutete Keller, weggespülte Häuser, zerbombte Häuser, viel Verlust, wenig Aufbau.

Als gesungenes Gotteslob ist dieser Vers ein Begleiter für den Sommermonat August. Wir können unsere tiefe Dankbarkeit und unsere ganze Sehnsucht in ihn hineinlegen: „Danke, Herrgott, für deine große Kraft. … Und, ja bitte, lass sie mir, lass sie uns zuteil werden.“

Singend sehen wir nicht nur mehr als vorfindlich da ist, singend sind wir mehr, als wir sind. Manchmal erfahren wir Gottes heilsame Zuwendung gerade singend. Herzen werden heil, Wunden verbunden.

Prof. Dr. Oliver Pilnei
Professor für Praktische Theologie

Juli 2024

„Du sollst der Menge nicht folgen zum Bösen.“ (Ex 23,2 Elberfelder)

Eine Menge ist mächtig. Nicht erst seit den großen Massenhysterien des Nationalsozialismus ist klar: Eine Masse von Menschen hat eine gewaltige, mitreißende Anziehungskraft. Menschen fühlen sich gerne zugehörig. Einer Masse mit einem vermeintlichen Konsens kann der Einzelne sich nur schwer entziehen. Gerade heute gibt es mit den Sozialen Medien und unserer ausdifferenzierten Gesellschaft immer mehr sogenannte „Bubbles“, Filterblasen, wo wir in Gruppen unterwegs sind, die vor allem unsere eigenen Meinungen widerspiegeln. Das ist aber nur eine neue Episode eines alten Phänomens. Solche Gruppenphänomene haben positive Effekte: Es stärkt das Wir-Gefühl und lässt die Zusammenarbeit leichter fallen. Es gibt eine große Nähe und gute Gemeinschaft.

„Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, die das Böse will.“ (BasisBibel)

In diesen Mengen kann es aber auch dazu kommen, dass sich Meinungen zu Urteilen verhärten, was als böse angesehen wird. Das Erlebnis, dass alle scheinbar dieselbe Meinung haben, senkt dabei die eigene kritische Urteilskraft und Empathie für Menschen außerhalb der Bubble. Deswegen ist es nötig, einen bewussten Umgang mit „der Menge“ zu finden. Es ist heilsam mit Menschen und Meinungen außerhalb der eigenen 'Bubble' ins Gespräch zu kommen und anhand ihrer Perspektiven neu 'das Böse' erkennen zu lernen. Manche 'Bubbles' sind auch zutiefst unbewusst. Als weißer Mann muss ich z.B. Frauen und People of Colour zuhören, um einen Einblick in ihre Lebenswelt zu kriegen. Diese Perspektive bleibt mir sonst verborgen. Gerade der Kontakt mit Menschen, mit denen wir sonst keine Gemeinschaft pflegen, gerade das aktive und reflektierte Zuhören, gibt uns das Handwerkszeug nicht nur der Menge, sondern wirklich dem Guten zu folgen.

„Du sollst der Menge nicht auf dem Weg zum Bösen folgen“ (Luther 2017)

Wenn ich in einer Menge stehen bleibe, werde ich mitgerissen. Ich falle zurück in alte Routinen und Denkmuster. Das Fremde bleibt mir fremd. Es erfordert Kraft, Mut, Geduld und Zeit sich aktiv auf andere Menschen und ihre Perspektiven einzulassen und daraus zu lernen. Wenn wir uns passiv verhalten und keine Stellung für das Gute beziehen, dann besteht die Gefahr einfach der Menge zu folgen.

„Steh nicht hinter der Menge, die auf Böses aus ist.“

Ex 23,2 kann uns dazu aufrufen: Verstecke dich nicht hinter der Menge und Mehrheitsmeinung. Laufe nicht einfach mit, lass den Dingen nicht einfach ihren Lauf, sondern gestalte aktiv mit: Setze dich ein für die marginalisierten Gruppen der Gesellschaft, die in der Mehrheitsperpektive nicht vorkommen. Beziehe aktiv Position für das Gute, auch gegen den Strom.

Carl Heng Thay Buschmann
Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Rektoratsassistent an der Theologischen Hochschule Elstal

Juni 2024

Mose sagte: Fürchtet euch nicht! Bleibt stehen und schaut zu, wie der HERR euch heute rettet! (Exodus 14,13 (E))

Die Geschichte, wie die Israeliten das Meer durchziehen und den Ägyptern entrinnen, übt bis heute ihren Reiz aus. Befreiung aus Tyrannei und Zwang, auch wenn alles verloren geglaubt wird, scheint eine tiefe Sehnsucht bei vielen Menschen wachzurufen. Die Dokumentarserie „Testament. Die Geschichte von Moses“, welche seit kurzem auf der Streaming-Plattform Netflix zu sehen ist, ist nur eines von vielen Beispielen für diese anhaltende Faszination. Von der Überzeugungskraft dieses Formats mag sich jede und jeder selbst ein Bild machen. Die Bibel jedenfalls legt es nicht darauf an, das Wunder als ein Ereignis darzustellen, das man lediglich als interessierter Zuschauer bestaunt.

Der Appell Moses in 2Mo 14,13 widerspricht dem nur auf den ersten Blick. Streng genommen muss man übersetzen: „Fürchtet euch nicht. Nehmt Aufstellung und seht, wie der HERR euch heute rettet!“. Gemeint ist in diesem Fall kein apathisches Stehenbleiben, sondern ein fokussiertes sich Hinstellen. Im kriegerischen Zusammenhang geht es darum, dass sich die Soldaten für eine Schlacht formieren, sich gegenseitig aufputschen, um die eigene Angst zu überspielen und den Gegner zu beeindrucken (so wie es die Philister in 1Sam 17,16 zelebrieren). Doch der Konflikt im Buch Exodus wird anders ausgefochten: Hier wird niemand angestachelt („Tschakka!“) oder bloß beschwichtigt („Da kannst du eh nichts machen“). Die Israeliten werden vielmehr aufgefordert, sich aufzustellen, bereit zu sein – um dann im entscheidenden Augenblick in das sich vor ihnen öffnende Wasser loszugehen.

Dieses Bild knüpft an die Kindheitsgeschichte Moses an, in der Mirjam – seine Schwester – ihn rettet (2Mo 2,1–10). Mirjam steht und beobachtet genau, wie die ägyptische Prinzessin Mose im Wasser findet. In dem Moment, als sie das Mitleid der Pharaonentochter sieht, kommt sie aus ihrem Versteck und schlägt vor, eine Amme zu rufen – die letztlich niemand anderes ist als die Mutter von Mose. So überlebt Mose, der wiederum später die Israeliten aus Ägypten führt.

Im aufmerksamen Hinschauen und Handeln von Menschen handelt offenbar Gott.

Prof. Dr. Dirk Sager
Professor für Altes Testament

Mai 2024

Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.
Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.
(1. Korinther 6,12)

„Alles ist mir erlaubt!“ Das wäre doch schon ein guter Monatsspruch gewesen, oder? Die christliche Freiheit auf den Punkt gebracht. Zur Unterstützung könnte man weitere Sätze dazustellen, die Paulus geschrieben hat. Der Gemeinde in Galatien ruft er zu: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Galater 5,1).

Freiheit ist ein hoher christlicher Wert. Dass wir an einen Gott glauben, der in die Freiheit führt, zeigt sich schon im Alten Testament: „Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.“ So stellt sich Gott in 2. Mose 20,2 vor. Aus der Knechtschaft in die Freiheit führt er, in ein gutes Land hinein – das hat Israel erlebt, so haben sie Gott kennen gelernt.

Diese Freiheit sehe ich bei Christen nicht immer. Allzu häufig verheddern wir uns in Regeln oder lassen uns von Ängsten bestimmen. Für mich war es ein wichtiger Prozess, die Freiheit Gottes zu entdecken. Sie war nicht einfach „da“. Aber immer wieder habe ich erlebt, dass Gott mir Freiheit und Raum zur Entfaltung zuspricht. Mich herausführt aus mancher Enge in seinen weiten Raum.

Die doppelte Aussage „Alles ist mir erlaubt“ ist also nicht nur der Auftakt für das „Aber“, das folgt. Auch wenn Paulus hier vielleicht einen Satz zitiert, den die Korinther gerne vor sich hertrugen, lehnt er ihn nicht einfach ab. Er stellt nur etwas daneben.

Wie übrigens auch Gott in 2. Mose 20: Auf die Erinnerung an die Befreiung folgen die zehn Gebote. Es sind Leitlinien für einen klugen Gebrauch der Freiheit. So ähnlich macht das Paulus hier. Nur zitiert er nicht göttliche Gebote, sondern wendet sich an die Vernunft. Es sind zwei einfache Faustregeln, mit denen er die Grenzen der eigenen Freiheit ausmisst: Nicht alles dient zum Guten – nichts soll Macht haben über mich.

Der erste Satz klingt im Griechischen weniger moralisch als in der Lutherübersetzung: Nicht alles ist hilfreich, zuträglich, sagt Paulus schlicht. Und der zweite Aspekt weist auf die Gefahr, wie leicht absolute Freiheit in neue Abhängigkeit führt. Wer keinerlei Einschränkungen bei der Handynutzung kennt, kann bald nicht mehr ohne den Kick der kleinen Ablenkungen. Alkohol und gutes Essen können fröhliche Genussmittel sein, mich aber auch in Abhängigkeit und Unglück stürzen. Paulus bezieht seine Faustregeln im Folgenden auf den Gang zu Prostituierten, der in der Hafenstadt Korinth weit verbreitet war. Denkt darüber nach, was ihr da tut, sagt Paulus. Sex ist mehr als Triebbefriedigung, da entsteht eine tiefere Verbindung. Seid ihr euch bewusst, was eure Taten für Folgen haben?

Ich finde diese schlichten Faustregeln immer noch hilfreich. Sie nehmen mich als handelnde Person ernst, sie weisen darauf, dass mein Tun Gewicht hat. Es ist nicht „eh egal“, was ich mache. Ich will mich nicht in Abhängigkeiten ergeben, oder das heute Übliche einfach mitmachen. Ich will ernstnehmen, was ich tue. Will ich das wirklich? Ist es meinem Leben zuträglich? Natürlich kann man auch auf der anderen Seite herunterfallen – Selbstkontrolle kann eine Sucht sein, Selbstdisziplin zur Selbstverknechtung werden. Wie also bewahre ich die Freiheit, zu der mich Christus befreit hat? Wo brauche ich Hilfe beim Freiwerden, weil ich mich zu tief in Abhängigkeiten verstrickt habe?

Hier spricht Paulus nur von den Folgen für das eigene Leben, den eigenen Körper. Später führt er die „Alles ist mir erlaubt“-Reihe weiter und weist auch auf die Folgen für andere. In 1. Korinther 10,23f. schreibt er: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles ist zuträglich. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf. Niemand suche das Seine, sondern jeder das des anderen!“

Das „Aber“ ist kein Rückfall in Enge und Ängstlichkeit. Im Gegenteil: Wer frei ist, mündig, dem wird auch die Verantwortung zugetraut, klug mit dieser Freiheit umzugehen. Die Folgen für sich und andere im Blick zu haben. So kommen wir immer mehr in die „herrliche Freiheit der Kinder Gottes“ (Römer 8,21) hinein.

Prof. Dr. Deborah Storek
Professorin für Altes Testament

April 2024

Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt. (1 Petrus 3,15)

Nicht immer ist Schweigen Gold und Reden Silber. In so manchen Situationen in meinem Leben habe ich geschwiegen, obwohl reden vielleicht hilfreicher gewesen wäre und geredet, obwohl schweigen angebrachter gewesen wäre. Nicht jedem will ich Rede und Antwort stehen oder für alles Rechenschaft ablegen müssen. Doch hier werde ich aufgefordert und herausgefordert: Nicht zu schweigen von der Hoffnung, die mich erfüllt. Hier werden wir, als Gemeinde Christi, aufgefordert nicht zu schweigen, von der Hoffnung, die uns erfüllt.

Die Verse aus dem 1. Petrusbrief richten sich als „Mahnung“ an die Männer und Frauen der Gemeinde der damaligen Zeit. Es wird deutlich: Worte haben Macht und es ist besser, seine Zunge zu hüten und Scheltwort nicht mit Scheltwort zu vergelten. Wie die Menschen von damals sind auch wir heute aufgefordert, Gerechtigkeit anzustreben, den Frieden zu suchen und ihm nachzujagen, anstatt auf Böses mit Bösem zu reagieren, wie es in den Versen zuvor beschrieben wird. Wir werden herausgefordert, unsere innere Hoffnung nicht nur im Herzen zu tragen, sondern dieser auch Ausdruck nach außen zu verleihen in unseren Worten und Taten. Wir sind aufgerufen, jedem Rede und Antwort über diese Hoffnung geben zu können. Wir sind aufgefordert, bei diesem Thema nicht zu schweigen. Jedoch nicht auf eine überhebliche und aufdringliche Weise, sondern sanftmütig, ehrfürchtig und ohne Furcht. Vielleicht erleben wir heute nicht unbedingt Drohungen, wenn wir von der Hoffnung, die uns trägt, erzählen. Vielleicht ist es eher Gleichgültigkeit, vielleicht auch ein belustigtes Grinsen. Vielleicht aber auch ernsthaftes Interesse mit vielen, nicht immer einfachen, Fragen.

Der Monatsvers fordert nicht nur heraus, er lädt auch ein zu einer persönlichen Reflexion: Wie steht es um mein Herz und meine Seele? Bin ich erfüllt von dieser Hoffnung, von der hier die Rede ist? Oder bin ich eher gefüllt mit Ängsten und Sorgen oder Neid und Zorn? „Das, wovon das Herz voll ist, davon redet der Mund.“ Der Vers kann auch eine Einladung sein, das eigene Herz zu prüfen, sich wieder mit dieser Hoffnung zu verbinden und neu Raum zu schaffen: Für Gedanken des Friedens, der Liebe und der Gerechtigkeit. Der Vers ermutigt, nach innen zu schauen, um dann nach außen sprach- und handlungsfähig zu werden. Denn wenn wir innerlich von Hoffnung erfüllt und von Liebe ergriffen sind, dann werden das auch unsere Worte und Taten widerspiegeln.

Dana Sophie Jansen
Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Rektoratsassistentin

März 2024

Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier.

Entsetzen und Furcht sind im Markusevangelium die zentralen Gefühle angesichts der Auferstehungserfahrung. Die drei Frauen, die am Ostermorgen zum Grab kommen, finden dieses offen vor und entdecken statt dem erwarteten Leichnam des gekreuzigten Jesus im Grab einen Jüngling in weißem Gewand sitzen. Und Markus beschreibt ihre unmittelbare Reaktion mit den Worten: „und sie entsetzten sich“ (V.5). Der Schock war den Frauen offenbar derart ins Gesicht geschrieben, dass der Engel direkt auf ihr Erschrecken reagiert: „Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“ (V.6)

Die beiden Marias und Salome sind so geschockt, dass sie kaum mitbekommen, dass ihnen der Engel noch aufträgt, diese gute Botschaft an die anderen Jünger Jesu zu überbringen. Und dass sie nach Galiläa gehen sollen, um dort den Auferstanden zu sehen, das scheinen sie ebenfalls angesichts ihres Erschreckens überhört zu haben. Denn Markus schildert anschließend keine Freude der Frauen, sondern dass sie voll Zittern und Entsetzen von dem Grab fliehen und niemandem etwas davon erzählen, weil sie sich fürchten (V.8).

Mit dieser Feststellung endete ursprünglich das Markusevangelium. Alle folgenden Verse finden sich erst in späteren Handschriften und sind offenbar eine später angefügte Zusammenfassung der in anderen Evangelien überlieferten Ostererzählungen. Die gute Botschaft bleibt am Ende des ursprünglichen Markusevangeliums ungesagt, weil der Schrecken über das Osterereignis zu groß war und mehr Furcht als Freude auslöste.

Wie kann das sein? Wie ist dann die Auferstehungsnachricht zu den Jüngern gelangt, wenn die Frauen sie nicht weitergesagt haben? Genau diese Frage will der Verfasser offenbar seinen Leserinnen und Lesern vorlegen: Was passiert, wenn die Osterbotschaft nicht weitergegeben wird? Dann bleibt es bei Furcht und Schrecken. Dann gibt es statt Hoffnung und Freude nur die ängstliche Flucht angesichts des offenen Grabes.

Dieser überraschende Schluss ist eine didaktische Meisterleistung des Evangelisten. Er macht allen, die sein Evangelium bis zu diesem überraschenden Ende gelesen haben, deutlich, dass nun sie selbst gefordert sind. Die Botschaft von dem, was Gott mit der Auferweckung des Gekreuzigten getan hat, muss doch weitergesagt werden. Nur so kann die gute Nachricht unter die Leute kommen, dass der Tod nicht das Ende ist. Nur so können alle erfahren, dass Gottes Macht sogar größer ist als der Tod.

Mit seinem überraschenden Evangeliumsschluss nimmt Markus seine Leserinnen und Leser gleichsam in die Pflicht. Ab jetzt kommt es auf jeden an, der weiß, was an Ostern passiert ist. Ab jetzt darf niemand mehr schweigen. Die frohe Botschaft von der Auferstehung Jesu muss in die Welt, damit es nicht bei Furcht und Zittern bleibt, sondern Menschen ermutigende Erfahrungen mit dem Gott machen können, der in der Osternacht den Tod überwunden hat. Das ist der bis heute notwendige Auftrag für alle, die aus Überzeugung Ostern feiern.

Prof. Dr. Ralf Dziewas
Prorektor und Professor für Diakoniewissenschaft und Sozialtheologie

Februar 2024

Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes richtig ist, für jedes gute Werk ausgerüstet. 2. Tim. 3,16

2. Timotheus 3,16 ist ein Vers, den es sich lohnt zu beherzigen, denn er betont die transformative Kraft des Studiums des Wortes Gottes. Paulus verwendet hier den Begriff „theopneustos“, was wörtlich „vom Atem Gottes inspiriert“ bedeutet. Damit weist er darauf hin, dass die Heilige Schrift nicht einfach menschlichen Ursprungs ist, sondern Gott als ihre Quelle hat. Wie es in unserer Rechenschaft vom Glauben heißt: „Die Bibel ist Gottes Wort im Menschenmund.“

Dieser Vers erinnert uns daran, dass die Bibel ein Geschenk Gottes ist und niemals auf einen akademischen Text oder ein Objekt der wissenschaftlichen oder literarischen Neugier beschränkt werden sollte. Wie Dallas Willard es einmal zum Ausdruck brachte: „Die Bibel ist schließlich Gottes Geschenk an die Welt durch die Kirche, nicht an die Gelehrten. Sie kommt durch das Leben seines Volkes und nährt dieses Leben.“

Um mit Gottes Wort genährt zu werden, müssen wir regelmäßig Zeiten für fokussierte Studie einplanen. Wenn wir bestimmte Verse auswendig lernen, dann durchdringt das Wort Gottes unseren Willen und übt damit seine transformative Kraft auf die Entwicklung unseres Charakters aus. Das Wort Gottes rüstet und formt uns, selbst wenn wir uns dessen vielleicht nicht bewusst sind. Wenn uns Probleme begegnen, die sich im Laufe unseres Lebens ergeben, bringt uns der Heilige Geist diese lebendigen Worte ins Bewusstsein und hilft uns, in diesen Situationen mit Weisheit und Gnade zu handeln.

Die Heilige Schrift schult unser Herz und unseren Verstand, die Dinge aus der Perspektive der Ewigkeit zu sehen. Durch die Erleuchtung durch das Wort Gottes beginnen wir, das Leben in einem neuen Licht zu betrachten. Anstatt unsere Energie auf nutzlose Bestrebungen zu verschwenden, widmen wir unser Leben der Suche nach Wahrheit.

Wenn wir unseren Verstand in den Dienst der Wahrheit Gottes stellen, indem wir die Schrift engagiert und diszipliniert studieren, kann Gott unseren Verstand als Werkzeug in seiner Hand verwenden, um seinen Rettungsplan in der Welt zu verwirklichen. Es gibt keinen höheren Ruf im Leben als diesen: von Gott berufen zu werden, um sein Königreich hier auf Erden zur sichtbaren Realität zu machen. Regelmäßiges und intensives Studium der Heiligen Schrift rüstet uns für diese essenzielle Aufgabe, zu der Gott uns berufen hat, aus.

Warum versuchen Sie nicht in dieser Woche, einen Vers auswendig zu lernen und dann zwei Minuten pro Tag damit zu verbringen, über diese Worte nachzusinnen und darüber zu beten, wie sie sich auf Ihr Leben anwenden lassen? Besonders passend für diesen Zweck sind Psalm 1,1-2, Sprüche 3,5-6, Johannes 16,33 oder natürlich 2. Timotheus 3,16.

Dr. Joshua T. Searle
Professor für Missionswissenschaft und Interkulturelle Theologie

Januar 2024

Junger Wein gehört in neue Schläuche. Mk 2,22 (E)

Ich schätze es sehr, wenn es uns Menschen in Gemeinde und Gesellschaft gelingt, das Alte mit dem Neuen zu verbinden. Denn ich liebe Altes und ich liebe Neues. Gerade die Verbindung aus Altem und Neuem macht für mich ganz häufig die Schönheit des Lebens aus. Wer könnte Neues schätzen, wenn er nicht zugleich um Altvertrautes wüsste? Und wer kann den Kitzel des Neuen und Unbekannten genießen, wenn da nicht zugleich die Ruhe und Vertrautheit des Alt-Bekannten wären? Es kann ein großer Segen sein, Altes und Neues zu verbinden.

Aber manchmal geht das nicht. Es gibt Situationen auf dem Weg des Lebens und des Glaubens, da muss sich das Neue vom Alten trennen, da müssen Bisheriges und Neues unterschiedliche Wege gehen, weil sonst beides verloren geht. Aus einer solchen Situation stammt der Spruch für diesen Monat. Jesus ist mit seinen Jüngern unterwegs und den Menschen fällt auf: Die Jünger des Johannes und die Pharisäer fasten viel, aber die Jünger Jesu tun das nicht. Warum eigentlich? Jesus erklärt es. Er sagt sinngemäß – und sehr vereinfacht – in den Versen zuvor: Fasten ist ein Weg, Gottes Eingreifen herbeizusehnen. Allerdings: Ich, Jesus, bin Gottes Eingreifen. Für meine Jünger gibt es gerade nichts herbeizusehnen, weil das Ersehnte in mir da ist. Darum ist für sie gerade keine Zeit der Sehnsucht nach dem, was fehlt, sondern eine Freudenzeit über das, was da ist. Für sie ist gerade nicht Fasten, sondern Feiern und Staunen dran! Fasten und Feiern, das passt genauso wenig zusammen wie junger Wein und alte Schläuche. Schläuche, das waren in der Zeit Jesu Aufbewahrungsbehältnisse für Wein, die meist aus Tierhäuten gewonnen wurden. Und es war genauso, wie Jesus sagt: Neuer, gärender Wein gehörte in neue, flexible Schläuche, denn dieser Druck des Gärens konnte alte Schläuche zum Bersten bringen. Und dann waren am Ende beide verloren: der neue Wein und die alten Schläuche.

Und das ist auch eine Wahrheit des Glaubens und des Lebens: dass manches Neue nicht in alte Formen gepackt werden darf, weil sonst beides kaputtgeht. Nehmen wir an, Sie würden ab morgen ein ganz neues Leben auf Wanderschaft beginnen – und Ihr Haus auf diesen Weg mitnehmen! Das würde am Ende beides kaputt machen: die Wanderschaft und das Haus (von Ihrem Rücken ganz zu schweigen). Nein, ein verwurzeltes Leben passt zum Haus, und ein Leben auf Wanderschaft zum Zelt. Und wer beides liebt, vermischt es nicht. Für das neue Jahr wünsche ich Ihnen genau das: Liebe zum Alten und zum Neuen; und den Mut, Neues und Altes nicht zu vermischen, wenn es für beide das Beste ist. Denn: Junger Wein gehört in neue Schläuche.

Prof. Dr. Maximilian Zimmermann
Professor für Systematische Theologie

Jahreslosung 2024

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe! 1. Korinther 16,14

Liebe macht einen Unterschied.

Aus der Ferne schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth. Er schreibt an eine zerstrittene Gemeinde in einer schwierigen Situation. Er kann selbst nicht vor Ort sein und die Gemeinde direkt begleiten. So kommt seine seelsorgliche Zuwendung als Gemeindegründer und Gemeindeleiter per Brief. Zum Schluss des Briefes fasst er dann die wesentlichen Anweisungen und Empfehlungen zusammen. Hier betont Paulus noch einmal, was ihm besonders wichtig ist: die Liebe. Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

Die Liebe soll die Grundhaltung sein, in der die Gemeindemitglieder in Korinth leben und handeln. Schon vorher hatte Paulus das betont: Nur die Liebe gibt den Handlungen ihren wahren Wert. Die schönsten Worte klingen, wenn sie ohne Liebe gesagt werden, mechanisch und leer. Selbst der größte Glaube, der größte Verzicht und das größte Leiden nützen nichts ohne Liebe. Die Liebe verändert alles: Worte bekommen Inhalt, Glaube bekommt ein Ziel und das eigene Leiden kann den anderen dienen.

Die Liebe soll die Grundhaltung sein, in der wir leben und handeln. Die Quelle dieser Liebe ist aber nicht im Menschen zu finden. Gott selbst ist der Ursprung dieser Liebe, er ist die Liebe selbst. Unsere Liebe spiegelt dann unser Geliebt-Sein wider, unser Von-Gott-Geliebt-Sein. Das Vorbild für diese Liebe ist Christus selbst. Wenn Paulus die Liebe beschreibt, die geduldig und freundlich ist, die sich zurücknimmt und nicht nachträgt, die Gerechtigkeit sucht und sich an Wahrheit freut, dann malt er seiner Gemeinde Christus vor Augen.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

Wenn wir alles in Liebe tun, dann verbinden wir uns mit dieser Liebe Gottes, die in Jesus Christus Gestalt gewinnt. An ihm können wir uns in unserem Denken und mit unserem Handeln orientieren, so lieben wie er.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. Wenn wir lieben, nehmen wir teil an der Weltgestaltung Gottes durch Liebe. Ich brauche mich nur einklinken in die Liebe Gottes. Mich von ihr beschenken lassen und diese Liebe weiter schenken.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

Das ist gar nicht so einfach. Unser Lieben ist begrenzt.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

Das ist gar nicht so schwer. Gottes Liebe in Christus weitet unsere Grenzen, schenkt uns Liebe, manchmal da, wo wir sie nicht erwarten.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe: Das ist Erinnerung, Korrektur und Motivation und als Jahreslosung ist es das sogar ein ganzes Jahr lang.

Liebe macht den Unterschied!

Prof. Dr. Andrea Klimt
Rektorin und Professorin für Praktische Theologie

Dezember 2023

Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern. (Lk 2,30-31)

Simeon hatte ein Wort von Gott gehört: Er solle nicht sterben, bevor er nicht den Messias, den Christus, gesehen habe. Doch dieses Erlebnis lag nun schon längere Zeit zurück. Simeon wartete und wartete, vielleicht Jahr um Jahr. Manche späteren Nacherzählungen und Bilder stellen ihn als Greis dar. Aber davon weiß der Evangelist Lukas nichts zu berichten. Jedenfalls hatte sich die Sache hingezogen. Simeon gab nicht auf. Er wollte noch etwas vom Leben Gottes in dieser Welt sehen und es umarmen. Endlich: Eines Tages hatte Simeon den Eindruck, er solle in den Tempel gehen. So machte er sich auf den Weg. Der Tempel, das war zu jener Zeit kein Ort der stillen Besinnung und des andächtigen Gebetes, eher ein trubeliger Marktplatz, kein Bethaus, sondern eine „Räuberhöhle“, wie Jesus später sagte (Lk 19,46). Doch wer meint, dass Gott hier fern sei, der irrt. Viele tausend Menschen strömten alljährlich an den großen Pilgerfesten aus der ganzen Mittelmeerwelt nach Jerusalem. Für alle Juden war der Tempel das zentrale Heiligtum und die Wohnstätte Gottes auf Erden. So war es wohl für Simeon nicht ungewöhnlich, genau hier nach dem seit langem erwarteten Gesalbten Gottes, dem Christus des Herrn (V. 26), Ausschau zu halten. Woran mochte er diesen wohl erkennen? Wir wissen es nicht. Die Geschichte fährt ebenso nüchtern wie geheimnisvoll fort (V. 27-31): „Als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern.“ Simeon erweist sich damit als ein Mensch mit einem ganz besonderen Durch- und Einblick. Ein neugeborenes Kind, das von seinen Eltern in den Tempel gebracht wurde, war in Simeons Augen und in den Worten seines Mundes viel, viel mehr als das. Wo andere nur das Kleine und Unscheinbare sahen, da erkannte der prophetische Seher die Größe und das Heil Gottes für alle Welt und alle Völker. Damit wiederholt sich in gewisser Weise das Wunder von Bethlehem. Über dem unscheinbaren Kind in der Krippe hatten schon die Engel gesungen (Lk 2,11): „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Wer Gott sucht, der wird ihn in seinem Sohn Jesus Christus finden, damals im Tempel oder in einem Stall – und auch heute mitten in unserem Leben. Dies feiern wir am Christfest. 

Prof. Dr. Carsten Claußen
Professor für Neues Testament

November 2023

Er allein breitet den Himmel aus und geht auf den Wogen des Meers. Er macht den Großen Wagen am Himmel und den Orion und das Siebengestirn und die Sterne des Südens.
(Hiob 9,8-9)

Es ist eine kalte, glasklare Nacht. Ein Mann steht in einer Wüste des Vorderen Orients und blickt in den Himmel. Hiob heißt er. Wie ein aufgespanntes Zelt umgibt ihn der Nachthimmel. Unzählige Sterne leuchten ihm entgegen, und er sieht Sternbilder, die er schon seit Kindertagen kennt. Langsam ziehen sie mit verlässlicher Treue ihre Bahn. Jeden Tag, jedes Jahr. Wie oft schon hat er diese Pracht bestaunt. Bis vor kurzem war der Sternenhimmel für ihn eine Bestätigung der Macht und Überlegenheit Gottes. Diesem Gott war er treu. Und er hatte ihn wiederum mit Glück und Reichtum beschenkt. Aber jetzt, da ihm alles genommen wurde? Besitz, Kinder, Gesundheit. Jetzt leuchten die Sterne immer noch und ziehen gleichmäßig ihre Bahn. Der Himmel aber ist ihm unheimlich geworden. Der Gott, der die Sterne geschaffen und sie auf ihre Bahn geschickt hat, ist ihm fremd.  

Gut 2000 Jahre später schaue ich in einer kalten Herbstnacht in denselben Himmel. Ich sehe nicht ganz so viele Sterne, weil die Lichtverschmutzung am Berliner Stadtrand so stark ist. Aber den Großen Wagen finde ich sofort. Und Orion auch. Beim Siebengestirn bin ich mir schon nicht mehr so sicher. Ich bin fasziniert und könnte stundenlang nach oben blicken. Ich sehe dieselben Sternenbilder wie Hiob. Vor ihm und nach ihm haben sie unzählige Menschen bestaunt. Was hat sich unter ihnen schon alles abgespielt auf dieser Welt? Geschichten des Glücks und der Hoffnung, Schicksale des Elends und der Not. Frieden und Krieg. Und immer ziehen die Sterne ihre Bahn als würde sie das alles nichts angehen.

Für manche Menschen ist eine solche Naturerfahrung wie ein Gottesdienst. Ich kann das gut nachvollziehen, denn die Faszination für den „bestirnten Himmel über mir“ (I. Kant) teile ich. Für mich ist der Sternenhimmel Ausdruck der unendlichen Schöpfermacht Gottes. Ja, die Natur ist ein Buch, in dem wir Gott finden können. Aber was sie uns zeigt, bleibt uneindeutig. Denn der Himmel kann Menschen auch unheimlich werden. Auch das kann ich nachvollziehen. Dass die Natur eine gute Schöpfung Gottes ist, ein Zeichen seiner Treue und Verlässlichkeit, das versteht sich nicht von selbst. Gewiss wird es mir erst, wenn ich in ein anderes Buch schaue – die Bibel. Dort lese ich die unmissverständliche und eindeutige Zusage, dass Gott unwandelbar treu ist; dass er den unendlichen Himmel verlassen hat, um in seinem Sohn Jesus Christus für immer treu an unserer Seite zu sein. Und wenn mir das im Gottesdienst zugesprochen wird und mir Brot und Kelch gereicht werden, dann sehe und schmecke ich die Freundlichkeit Gottes. Mit dieser Erfahrung im Rücken freue ich mich darauf, Gottes Größe und Macht in der nächsten klaren Nacht am Sternenhimmel zu bestaunen.

Prof. Dr. Oliver Pilnei
Professor für Praktische Theologie

Oktober 2023

Seid Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst. (Jakobus 1,22)

Der Schreiber dieses Briefes hat Angst. Er befürchtet, dass seine Leserinnen und Leser sich zu sehr auf ihren Glauben verlassen. Er kennt die Botschaft des Apostels Paulus, dass der Glaube aus der Predigt und damit aus dem Hören auf das Wort Gottes kommt. Aber er findet es ausgesprochen schwierig, wenn daraus abgeleitet wird, dass es nur noch auf den Glauben ankommt.

Was ist mit einem Glauben, der sich nicht im Leben zeigt? Was ist, wenn das Vertrauen auf die Liebe Gottes nicht zu einem veränderten Verhalten führt? Wie sollen andere die Botschaft des Evangeliums als bedeutsam erkennen, wenn sich die Glaubenden in ihrem Verhalten nicht von anderen unterscheiden?

Deshalb kann der Schreiber des Jakobusbriefes geradezu provokativ behaupten, dass der Glaube ohne Werke tot ist (Jak 2,17 und 26). Für ihn gehören Theologie und Ethik, Glauben und Handeln ganz eng zusammen. Nur wenn beides im Leben eines Menschen stimmig ist, entfaltet das Wort des Evangeliums seine Kraft. Nur dann wird der Glaube an Jesus Christus ein überzeugendes Angebot auch für die, die jetzt noch nichts davon wissen.

All dies wurde in einer Zeit geschrieben, als die Christen als neue religiöse Gemeinschaft von ihrer Umwelt kritisch beäugt, zum Teil verleumdet und mitunter sogar verfolgt wurden. Daher war es für die frühe Christenheit eine Selbstverständlichkeit, zunächst einmal ihre guten Taten, ihre Werke der Barmherzigkeit für ihren Glauben sprechen zu lassen. Sie haben Arme gespeist, Kranke versorgt und sich all denen zugewandt, die in schwierigen Lebenssituationen waren. Ihre guten Werke waren eine unverfängliche und authentische Form, den Glauben an Gottes Liebe, Güte und Barmherzigkeit zum Ausdruck zu bringen.

Auch in der modernen, zunehmend nicht mehr von christlichen Traditionen geprägten Gesellschaft, fragen die Menschen danach, wie authentisch der Glaube gelebt wird, von dem jemand redet. Und für wahr hält man nur noch das, was als glaubwürdig erlebt wird. Deshalb sind heute alle Christinnen und Christen herausgefordert, in ihrem praktischen Handeln die Bedeutung des Evangeliums überzeugend vorleben. Und zu einer solchen authentischen Lebensweise ruft der Jakobusbrief auf.

Es war damals nicht anders, als es heute ist. Wer meint, man könne auch ohne gute Werke zum Glauben einladen, der täuscht sich und am Ende auch die, die sich auf den verkündigten Glauben einlassen. Denn die Menschen merken schnell, wenn zwar die Liebe, Güte und Barmherzigkeit gepredigt, am Ende im Gemeindealltag aber Härte, Mitleidlosigkeit und unbarmherzige Ausgrenzung gelebt wird. Und dann wenden sich Menschen ab, egal welche Konfession auf dem Kirchenschild steht.

Überzeugend für den Glauben wirken hingegen Menschen, die ihr Leben und ihre Gemeindearbeit so gestalten, dass beides ihrem Glauben entspricht. Es geht also immer noch darum, nicht nur Hörer der Botschaft von Gottes Liebe Güte und Barmherzigkeit zu sein, sondern die Güte Gottes auch aktiv im eigenen Handeln zum Ausdruck zu bringen. Dann kann aus beidem auch wieder neuer Glaube an das Evangelium erwachsen.

Prof. Dr. Ralf Dziewas
Prorektor und Professor für Diakoniewissenschaft und Sozialtheologie

September 2023

Jesus Christus spricht: Wer sagt denn ihr, dass ich bin? (Mt 16,15)

Es ist eine natürliche menschliche Neigung: Wenn wir mit etwas Neuem konfrontiert werden, versuchen wir, das Neue in Kategorien einzuordnen, die uns bequem und vertraut erscheinen. Die religiösen Führer zur Zeit Jesu wollten Jesus nach ihren eigenen Vorstellungen und Erwartungen verstehen. Sie erkannten nicht (und auch wir begreifen dies heute oft nicht), dass es nur möglich ist, die wahre Identität Jesu zu verstehen, wenn wir unsere menschlichen Erwartungen beiseitelegen und uns von Jesu eigener Lehre über sein Leben und seine Mission leiten lassen.

Zu der Zeit, als Jesus predigte, gab es viele religiöse Menschen, die glaubten, dass Gott einen politischen König schicken würde, der eine Armee gegen die römischen Besatzer anführt. In gewisser Weise trafen die Erwartungen des Volkes zu: Jesus wird sein Volk tatsächlich befreien, aber weder durch militärische Eroberung noch politische Macht, sondern durch Leiden, Sterben und schließlich sein Auferstehen zu neuem Leben. Jesus kommt als Befreier, aber er befreit nicht als siegreicher Kriegsheld, sondern als leidender Knecht.

Jesus möchte, dass seine Jünger dies begreifen, und stellt ihnen deshalb eine Frage, deren Antwort er bereits kennt: „Wer sagt denn ihr, dass Ich bin?“ Die Antwort der Jünger verrät uns, wie Jesus von seinen Zeitgenossen wahrgenommen wurde. Die Menschen nahmen an, dass Jesus ein Prophet war, etwas, das sie bereits kannten: vielleicht jemand wie Johannes der Täufer, Elia oder Jeremia. Die Menschen hatten nicht unrecht, aber in Jesus lag eine noch tiefere Identität als die eines Propheten verborgen. Jesus stellt also diese Frage, weil er spürt, dass seine Jünger endlich zu begreifen beginnen, wer er wirklich ist: Jesus war, anders als die früheren Propheten, nicht einfach nur das Sprachrohr Gottes. Er war der verheißene Messias. Anders als der Täufer oder Jeremia hat Jesus nicht einfach nur die Ungerechtigkeit und Korruption böser Herrscher beklagt und verurteilt; vielmehr war er gekommen, um diese bösen Herrscher durch seine Auferstehung als König aller Könige und Herr aller Herren zu überwinden.

Dieser Vers sagt uns, dass die Lehre Jesu seine Jünger zu einer viel umfassenderen Erkenntnis seiner selbst geführt hatte – umfassender als die Erkenntnis, die der Menge zugänglich war. Daraus können wir lernen, dass es nur möglich ist zu wissen, wer Jesus wirklich ist, wenn wir ihm nahe sind. Niemand, der Jesus in einer rein abstrakten, distanzierten akademischen Weise studiert, wird jemals in der Lage sein, eine vollständige Antwort auf die Frage Jesu zu geben: „Wer sagt ihr, dass Ich bin?“ Erst dann, wenn wir Jesus nahe sind und seinen Lehren folgen, können wir wirklich wissen, wer Jesus ist. Keine gewöhnliche menschliche Erkenntnis, kein noch so großes akademisches Studium kann uns zu der Erkenntnis führen, wer Christus wirklich ist. So wie bei den Jüngern ist es auch bei uns: Es bedarf einer Offenbarung von oben, um Jesus, den Sohn des Zimmermanns, als den Sohn des Allerhöchsten zu erkennen. Keiner von uns kann die Frage Jesu beantworten, wenn wir uns nur auf unsere eigene Klugheit oder menschliche Wahrnehmungsfähigkeit verlassen. Nur diejenigen, die Christus eng nachfolgen, können ihn als den Sohn Gottes erkennen.

Versuchen wir also nicht, Jesus durch unser eigenes Verständnis und unsere Erwartungen einzuengen, sondern öffnen wir unsere Herzen, um die Fülle der Offenbarung Gottes zu empfangen.

Prof. Dr. Joshua Searle
Professor für Missionswissenschaft und Interkulturelle Theologie

August 2023

Denn Du bist mein Helfer, und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich. Psalm 63,8 (Luther)

Hat Gott Flügel? Im obigen Psalmengebet wird von den Flügeln Gottes gesprochen. Gott wird hier mit einem Vogel verglichen, der seine Küken schützend unter seine Flügel nimmt. Dieses Bild beschreibt, wie Gott sich als Helfer zeigt: In seiner Nähe dürfen wir uns sicher fühlen, wie die kleinen Vögel unter den Flügeln ihrer Elternvögel.

Was mich so fasziniert, ist die Leichtigkeit und Freude, die sich dabei einstellt. Wenn ein Vogel bedroht wird und Angst hat und sich „unter die Flügel“ begibt, dann stelle ich mir vor, dass das Tier ganz still ist und vorsichtig abwartet, bis die Gefahr vorbeigeht. Das Bild spricht aber davon, dass die Küken hier fröhlich singen. Sie sind völlig ohne Angst. Sie fühlen sich sehr sicher, sodass sie sogar „frohlocken“ können.

Was tun, wenn es schwierig wird? Wenn das Leben oder der Alltag mich überfordert? Wenn sich die ein oder andere Angst einstellt und ich mich unsicher fühle? Wie kann Gott da zu meinem Helfer werden? In der Nähe Gottes kann ich sicher sein. In der Nähe Gottes? Manchmal, gerade in schwierigen Situationen scheint Gott sehr weit entfernt zu sein. Dann fehlt das Gefühl von Schutz und Sicherheit.

Die kleinen Küken suchen die Nähe ihrer großen Elternvögel. Sie laufen ihnen nach. Sie schlüpfen unter ihr Gefieder. Wie kann ich Gottes Nähe suchen, wenn er mir gerade fern erscheint? Ich erinnere mich dann gerne an einen Satz, der mich seit vielen Jahren begleitet: „Gott ist nur ein Gebet weit entfernt“.

Im Gebet kann ich mich an Gott wenden und ihm nahekommen. Hier kann ich meine Ängste und meine Überforderungen ausdrücken. Alles, was mich belastet, kann ich Gott sagen. Hier ist auch Raum für Klage, Zweifel und Verzweiflung, für Ärger, Wut und Hilflosigkeit. Das ist für uns etwas gewöhnungsbedürftig, aber viele Psalmengebete beginnen mit Klagen und Fragen an Gott. In Zeiten, in denen Gott nicht nahe erscheint, nahen sich ihm die Betenden, indem sie Gott fragen, warum er nicht eingreift. Viele dieser Gebete enden dann mit Dank und dem Versprechen, Gottes Wohltaten zu verkündigen. Wir wissen allerdings nicht, wie viel Zeit zwischen Klage und Dank liegt: Stunden, Tage, Wochen, Monate oder mehr?

Im Gebet dürfen wir uns Gott nahen. Er nimmt uns auch mit unseren Ängsten und unserer Hilflosigkeit unter seine Fittiche. Und wenn ich alles, was mich belastet, bei Gott im Gebet abladen kann, dann stellt sich möglicherweise auch eine Leichtigkeit ein. Ein Gefühl von Schutz und Geborgenheit, ein Vertrauen, dass es gut ist oder wird, auch wenn es sich gerade nicht danach anfühlt und eine Dankbarkeit, dass Gott mein Helfer ist. Möglicherweise endet ein solches Gebet mit Freude.

Von meinem Spaziergang habe ich mir heute eine Feder mitgenommen. Sie soll mich daran erinnern, dass ich sicher und geborgen bin.

Prof. Dr. Andrea Klimt
Rektorin der Theologischen Hochschul Elstal

Juli 2023

Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet (Matthäus 5,44-45)

Diese kurze Andacht wird nicht die Frage beantworten, wie der Krieg in der Ukraine zu einem Ende kommen und wieder Frieden werden kann. Ich werde dir, liebe Leserin und lieber Leser, auch nicht sagen, was du angesichts von Unfrieden und Gewalt zu tun und zu lassen hast. Und ich werde dich nicht mit lebenspraktischen Beispielen aus deinem Alltag abholen. Heute geht vielmehr darum, dass du ein Wort Jesu in deinen Alltag hineinlässt. Nimm dir zehn Minuten Zeit, nimm eine Bibel zur Hand und lies die Textstellen, von denen hier die Rede ist, lies vielleicht auch ein paar Verse davor und danach.

Wir nähern uns dem Monatsspruch auf einem kleinen Umweg. Rabbi Hillel der Alte, der der Überlieferung nach eine Generation vor Jesus lebte, lehrte: „Sei von den Jüngern Aarons, Frieden liebend und dem Frieden nachjagend.“ Dass Aaron, der Ahnherr des Priesteradels, Jünger oder Schüler hatte, steht gar nicht in der Bibel, und es gibt eigentlich auch keine biblische Geschichte, in der er als Friedensstifter auftritt. Hillel will, so scheint mir, vielmehr sagen: Es kommt nicht darauf an, von vornehmer Abstammung zu sein, sondern: wer friedfertig ist, der ist von wahrhaft edler Art, so edel wie Aaron. In Hillels Ausspruch steckt ferner eine Anspielung auf Ps. 34,15: „Suche Frieden und jage ihm nach.“ Das Psalmwort wird auch im Neuen Testament zweimal zitiert, nämlich im Hebräerbrief (12,14) und im Ersten Petrusbrief (3,11). Auffällig ist, dass der Friede hier als etwas Flüchtiges beschrieben wird, das zu entwischen droht, wenn man ihm nicht aktiv hinterherläuft.

Ähnliche Gedankengänge finden sich in der Bergpredigt Jesu. In den Seligpreisungen heißt es (Mt 5,9): „Selig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ Wieder geht es darum, dass Friede etwas ist, das aktives Handeln erfordert, das nicht durch passives Aussitzen erreicht wird. „Söhne Gottes“ ist noch weitaus kühner als die Formulierung „Jünger Aarons“, die Hillel gebraucht hatte. Von wem aber werden die Friedensstifter „Söhne Gottes“ genannt werden? Anscheinend von Gott selbst, denn Jesus verwendet nach der Sitte seiner Zeit häufig das Passiv, wenn er von Gott als dem Handelnden spricht. Warum aber „Söhne“ und nicht auch „Töchter“? Auch die Frauen sind gemeint. Wieder ist es die Ausdrucksweise der Zeit. Damals sprach man von einer Gruppe von Menschen, zu der sowohl Frauen als auch Männer gehören, im Maskulinum Plural, und so haben wir es ja auch im Deutschen bislang meist getan. Die Lutherbibel 2017 will es besser machen und übersetzt inklusiv „Kinder Gottes“.

Aber das könnte zu falschen Assoziationen führen. Es gibt fromme Erwachsene, die meinen, als Christin oder Christ dürfe oder solle man wieder so einfältig werden wie ein kleines Kind. Das wäre manchmal ja auch ganz bequem, denn ein Kind trägt keine Verantwortung für sein Handeln. Das ist aber im Text nicht gemeint. Es geht hier nicht um kleine Kinder, sondern um erwachsene Söhne und Töchter. „Söhne“ ist so zu verstehen, dass diejenigen, die Frieden tun, mit ihrem Handeln dem Wesen, der Art Gottes entsprechen, dass sie Anteil an Gott haben. Entsprechend redet unser Herr von „Söhnen des Königreichs“ (Mt 8,12), „Söhnen der Auferstehung“ (Mt 20,36), „Söhnen des Friedens“ (Lk 10,6) und „Söhnen des Lichts“ (Lk 16,8). Es geht bei dieser Redeweise also nicht um eine emotional aufgeladene Vater-Kind-Beziehung, sondern um Anteil an, oder Entsprechung mit, einer Eigenschaft oder Wesensart.   

Das Friedenshandeln, zu dem Jesus seine Schülerinnen und Schüler anleitet, hat seine Begründung im Wesen Gottes und nicht in der strategischen Aussicht auf Erfolg. Dieser mag sich zwar zuweilen einstellen, etwa in einfachen Alltagskonflikten, wenn wir boshaftes Verhalten nicht mit gleicher Münze heimzahlen und dadurch unser Gegenüber entwaffnen. Aber in dem Abschnitt, in dem unser Monatsspruch steht, werden Situationen geschildert, die schon aus dem Ruder laufen: Da erleidet jemand grobes Unrecht und will immer noch den Frieden, lässt sich nicht verleiten zu Hass und Rache, obwohl das nach menschlichen Maßstäben völlig gerechtfertigt wäre.

Wie gesagt, es gibt wohl keine einfache Antwort auf die Frage, wie wieder Friede werden kann angesichts der gegenwärtigen militärischen Konflikte. Für heute mag es genügen, dass wir mit der Sehnsucht nach einem Leben gemäß dem Wesen Gottes in den Alltag gehen, denn „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1Joh 4,16).

Prof. Dr. Dr. Martin Rothkegel
Leiter der Bibliothek und Professor für Kirchengeschichte

Juni 2023

Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.
(Genesis 27,28 (L))

„Bist Du glücklich?“ Wann hat Ihnen jemand das letzte Mal diese Frage gestellt? Ich meine nicht die eher beiläufige, häufig floskelhafte Frage „wie geht’s?“, sondern die unvoreingenommene, ganz offene, ehrliche und interessierte Frage nach Ihrem persönlichen Wohlergehen. Würden Sie von sich sagen, dass Sie glücklich sind? Finden Sie diese Frage eher leicht oder schwer zu beantworten? Falls Sie zögern – an welcher Stelle spüren Sie den inneren Widerstand? Was gehört für Sie unbedingt dazu, um sagen zu können: „Ja, ich bin glücklich!?“

Ich vermute, die Frage nach dem Glück war im alten Israel auch keine alltägliche. Die Bibel schildert, wie in besonderen Lebenssituationen Menschen einander den Segen Gottes zugesprochen haben. Dann war man nicht geizig mit Wünschen, sondern hat quasi alle Register gezogen. Das zeigt der aktuelle Monatsspruch, ein Ausschnitt aus dem Gespräch zwischen Jakob und seinem Vater Isaak. Isaak segnet seinen Sohn (den er an dieser Stelle noch für den erstgeborenen Esau hält) mit dem Besten, was man sich zu damaliger Zeit nur vorstellen konnte: mit dem „Tau“ des Himmels – obwohl Regen selten verlässlich fiel –, dem „Fett“ der Erde – auch wenn der Acker meist nur mühsam seinen Ertrag lieferte –, mit „Korn und Wein“ die Fülle – obwohl der Hunger ein ständiger Begleiter war. Gewünscht wird kein Durchschnitt, kein „Mehr-oder-weniger-gut-durchkommen“, sondern die ganze Lebensfülle. Was würden Sie sagen, wenn man Ihnen so viel Gutes wünschen würde?

Wenn Sie mögen, können Sie mir gerne eine E-Mail schreiben, darüber würde ich mich sehr freuen – und ehrlich antworten. Versprochen! Sie können Ihre Gedanken natürlich selbstverständlich einfach für sich behalten. Oder sich mit einem guten Freund, einer guten Freundin darüber austauschen. Ich wünsche Ihnen das Beste!

Prof. Dr. Dirk Sager

Professor für Altes Testament

Mai 2023

„Weigere dich nicht, dem Bedürftigen Gutes zu tun, wenn deine Hand es vermag.“ (Spr. 3,27)

Der Monatsspruch enthält eine Mahnung, die es in die biblische Sammlung der Sprüche, also der Lebensweisheiten Israels geschafft hat. Eine Ermahnung zur Gebefreudigkeit, die im folgenden Vers noch um die Aufforderung erweitert wird, diejenigen, die um Hilfe bitten, nicht auf den nächsten Tag zu vertrösten, wenn eine direkte Unterstützung möglich ist.

Natürlich hat dieser Bibelvers die harte antike Lebenswirklichkeit vor Augen. Wer seinen Lebensunterhalt nicht durch Arbeit verdienen konnte, der war auf mildtätige Hilfe angewiesen. Es gab weder eine Renten- noch eine Kranken- noch eine Arbeitslosenversicherung. Allenfalls die eigene Familie war zu Unterstützung verpflichtet, aber wenn auch die ausfiel, dann war das Betteln die einzige Möglichkeit zum Überleben.

Aus diesem Grund sind im Alten Testament die Witwen und Waisen sowie die Fremden, die keine Familien haben, die typischen Vertreter der Armut. Der Gott Israels aber erweist sich immer wieder als der Vater und Anwalt dieser Witwen und Waisen (z.B. Psalm 68,6) und als Beschützer der Fremden (z.B. Lev 19,33f). Er hat es seinem Volk zur Aufgabe gemacht, die Rechte der Ärmsten in der Gesellschaft zu schützen und sie mit dem zu versorgen, was sie zum Leben brauchen. Und daher waren Hartherzigkeit und die Weigerung zu helfen ein Widerspruch zu jeder echten Frömmigkeit.

Heute haben alle von Armut betroffenen Gruppen im Sozialstaat einen Rechtsanspruch auf elementare Versorgung durch die Gemeinschaft der Steuerzahler. Und manche leiten daraus ab, sie hätten durch ihre Sozialversicherungsbeiträge und Steuerzahlungen ihre Pflicht zur Hilfe bereits erfüllt. Der Monatsspruch aber fragt nicht danach, wieviel schon gegeben wurde, sondern danach, was die Hand noch vermag. Wieviel ist noch im Portemonnaie? Welche Kraft ist noch da? Wieviel Zeit ist noch frei? Welche Kompetenzen habe ich? Das ist entscheidend.

Wie damals kann auch heute die Gemeinschaft nicht alle Lebensrisiken abdecken. Alleinerziehende mit Kindern sind z.B. in Deutschland die am stärksten von Armut betroffene Gruppe und das wirkt sich auf die Zukunfts- und Gesundheitschancen dieser Kinder extrem negativ aus. Welche finanzielle Unterstützung können wir ermöglichen, welche Zeit ihnen widmen, um sie zu entlasten? Welche Konzepte wechselseitiger Unterstützung können wir entwickeln und welchen politischen Druck aufbauen, damit sie mehr Rechte und eine bessere Versorgung erhalten?

Oder wir nehmen die Not der Geflüchteten, die Überforderung junger Familien, die fehlende therapeutische Versorgung psychisch Erkrankter, die Opfer von sexualisierter Gewalt oder die alleingelassenen Alten. Die Not der Einzelnen kann auch in einer reichen Gesellschaft groß sein, und dann braucht es diejenigen, die sich mit dem, was sie haben, dem, was sie wissen, oder dem, was sie organisieren können, aktiv werden.

Niemand kann alle Nöte dieser Welt beheben. Aber wenn alle Bürgerinnen und Bürger an den Stellen, an denen ihnen ein konkreter Hilfebedarf persönlich im Leben begegnet, ihre Hände nicht verschließen, dann wird diese Welt eine bessere Welt sein. Wenn wir an der einen Stelle, an der wir besonders kompetent sind, an der einen Stelle, an der unsere Hand etwas vermag, uns einsetzen, dann handeln wir im Sinne des Gottes, der uns unser Geld, unsere Zeit, unsere Kraft, unser Einfühlungsvermögen und unser Wissen vor allem deshalb gegeben hat, damit wir damit Gutes für die Bedürftigen bewirken können.

Prof. Dr. Ralf Dziewas
Professor für Diakoniewissenschaft und Sozialtheologie

April 2023

Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei. (Röm 14,9)

Diese bedeutungsschwere Aussage des Apostels Paulus hat einen erstaunlich alltäglichen Anlass: Streit und Spaltung in der römischen Gemeinde. Der Zusammenhang des Verses zeichnet ein deutliches Bild: In der römischen Gemeinde sieht man die Dinge unterschiedlich. Die einen haben ein weiteres Gewissen, was das Essen von bestimmten Speisen angeht; die anderen ein engeres. Und das ist so ein großes Problem, dass der Apostel mit seinem berühmten Brief darauf eingehen muss. Es ist beruhigend und beunruhigend zugleich, dass schon die ersten Christenmenschen mit Spaltungen und Streitereien gelebt haben. Sicher, die Themen haben sich verändert: Speisevorschriften stehen heute nicht mehr so im Mittelpunkt (wobei die Frage nach dem Fleisch-Essen gerade wieder in neuer Form auflebt), aber die Fragen nach Musikstil, Gemeindeausrichtung und – spätestens seit den Corona-Maßnahmen – auch gesellschaftlich-politische Überzeugungen führen immer wieder neu zu Trennung und Gruppenbildung in der christlichen Gemeinde.

In diese Situation spricht Paulus eine tiefgreifende Wahrheit des christlichen Glaubens hinein; viel tiefgreifender als die Problemlage in Rom, und doch mit Relevanz für die Alltagsprobleme der Gemeinde: Der gestorbene und wieder lebendig gewordene Herr ist der Herr über die Lebenden und Toten, also über zwei Gruppen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dagegen sind die Unterschiede innerhalb der römischen Gemeinde ein Leichtgewicht. Denn Lebende und Tote trennt mehr als nur eine Meinungsverschiedenheit über Speisevorschriften und andere trennende Ansichten. Sie trennt die scheinbar unüberbrückbare Grenze zwischen Leben und Tod! Aber selbst diese scheinbar unüberbrückbare Grenze kann Jesus Christus nicht aufhalten, auch diese Gruppen zu vereinen, indem er ihr einer Herr ist. Also, liebe Gemeinde in Rom, können auch die Grenzen zwischen euch Jesus Christus nicht daran hindern, euer einer Herr zu sein, in allem Streit und aller Spaltung! Derjenige, der durch sein Sterben am Kreuz und durch sein Auferstehen am Ostermorgen die Extreme des menschlichen Daseins in seiner Herrschaft vereint, Leben und Tod, der vereint unter seiner Herrschaft auch die Extreme eurer Ansichten, Meinungen und Spaltungen. Der evangelische Theologe Otto Michel (1903-1993) bringt es in seinem Römerbriefkommentar auf den Punkt: „Der Herr der Toten und der Lebenden vermag auch Herr über die verschiedenen Gruppen in der römischen Gemeinde zu sein.“

Diese Botschaft bewegt mich in Zeiten, in denen Spaltungen innerhalb und außerhalb der christlichen Gemeinde sehr präsent sind (ob es wirklich mehr Spaltungen als in anderen Zeiten sind, darüber habe ich meine Zweifel). Und gewiss wird es uns nicht vollends gelingen, Spaltungen und unterschiedliche Ansichten aufzulösen. Da bleibt es umso wichtiger, gemeinsam immer wieder den Blick auf den zu richten, der uns über alle Grenzen und Spaltungen und unterschiedlichen Ansichten hinweg unter seiner Herrschaft vereint: den gestorbenen und wieder lebendig gewordenen Jesus Christus.

Prof. Dr. Maximilian Zimmermann
Professor für Systematische Theologie an der Theologischen Hochschule Elstal

März 2023

Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? (Röm 8,35)

Der Apostel Paulus formuliert in diesem Satz zwei Fragen. Aber eine Antwort gibt er nicht. Wer die Bibelstelle kennt, weiß, dass die Antwort im Kontext des Verses gegeben wird. Aber die Fragen haben es in sich. Deswegen lohnt es sich, dass wir zunächst die Spannung aushalten, bevor wir uns die Antwort sagen lassen.

Es sind Fragen, in denen sich ein existentielles Ringen ausspricht. Das Ringen um die Gewissheit, ob Gott in notvollen und entbehrungsreichen Lebenssituationen noch unverbrüchlich an unserer Seite steht. Sind wir noch in seiner Hand? Oder erweisen sich die biblischen Zusagen der Treue Gottes nicht doch als warme fromme Worte. Das sind sehr ernste Fragen. Nicht Wenige stellen sie sich.

Ich denke z. B. an Menschen in der Ukraine, die zwischen zerbombten Häusern am eigenen Leib eine unselige Mischung von alldem erleben, was Paulus beschreibt: die Kälte des Winters; Schikane durch marodierende russische Soldaten; die ständige Gefahr, dass die Bombardierung wieder losgehen kann. Ich denke an Menschen, die angesichts seelischer Bedrängnis nicht ein und aus wissen; an solche, die unter bedrohlichen Krankheiten leiden; an Christen, die in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie offen ihren Glauben bekennen. Sind diese Erfahrungen vielleicht doch stärker als Gott?

In solchen Situation genügt es nicht, einfach nur „Nein, sind sie nicht“ zu sagen. Es braucht schon ein bisschen mehr, um Zuversicht zu gewinnen.

Lassen wir uns die Antwort die Paulus gibt, neu zusprechen: Gott ist für uns (V. 31). Er ist so für uns, dass er alles für uns gibt. Nämlich einen Teil von sich. Seinen Sohn Jesus Christus. Er geht für uns in die tiefste Not des Leidens, um dort ein göttliches Netz zu spannen, das uns auffängt; um eine unsichtbare Verbindung zwischen ihm und uns herzustellen, die stabiler ist als alle Anfechtungen und Zumutungen dieser Welt. Dieser Weg Jesu ist Ausdruck einer Liebe, die sich voll und ganz hingibt. Er ist das Siegel, dass Gott endgültig und unverbrüchlich zu uns steht. Von nun an hat er einen letzten Anspruch auf unser Leben und sonst keine Macht der Welt. Nichts Geschaffenes ist stärker als der Schöpfer, die tragende Kraft, die uns unserem Ziel entgegen führt. Auf diesem Hintergrund erklingt am Ende des Kapitel eine ergreifende Gewissheit, von der wir in diesem neuen Monat tragen lassen können: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“

Prof. Dr. Oliver Pilnei Professor für Praktische Theologie

Februar 2023

Sara aber sagte: Gott ließ mich lachen. Gen 21,6  

An Fasching und Karneval wird viel gelacht. Es ist lustig, sich zu verkleiden und mal ganz anders zu sein, als es der strenge Alltag erfordert. Es ist schön, in andere Rollen zu schlüpfen, und es tut gut, herzhaft über alles Mögliche zu lachen. Ja, dass wir lachen, ist wichtig für unsere körperliche und seelische Gesundheit. Aber noch wunderbarer ist unser Lachen, wenn wir etwas Befreiendes erlebt haben. Das ist das Lachen Saras nach der Geburt ihres Sohnes Isaak.

Endlich konnte Sara befreit auflachen. Die unglaubliche Verheißung, dass sie in ihrem hohen Alter noch einen Sohn gebärt, hat sich erfüllt. Und alle sind gesund: Der Sohn Isaak wird die Verheißung Gottes weitertragen in die Zukunft. Das ist ein ganz anderes Lachen als das verzweifelte und zynische Lachen ein Jahr vorher, als ihr zugesagt wurde, dass sie einen Sohn haben wird (Gen 18,12); ähnlich das verzagte Lachen Abrahams, als er die Verheißung des Sohnes aufnimmt (Gen 17,17). Es gelingt ihnen nicht, die Verheißung Gottes mit ihrer tragischen Lebenssituation zusammenzubringen: Sie sind alt und kinderlos und haben von daher keine Zukunft. Sie versuchen es noch mit ihrer Magd Hagar, die für Abraham ein Kind zur Welt bringt. Wenn man Gottes Verheißung ein wenig nachhilft, dann klappt es vielleicht. Aber das war es nicht, was Gott wollte. Schließlich bekommt Sara selbst ihren Sohn und nennt ihn „Isaak“: „er lacht“, weil sie nach seiner Geburt so befreit lachen kann.

Es gibt viele Arten des Lachens. Doch das befreite Lachen ist Gottes Lieblingslachen, das eben nicht auf Kosten anderer Menschen oder unserer selbst geht, sondern einfach die Freiheit und das Leben feiert. Letztlich wird sich Gottes Verheißung bewahrheiten. Seine Liebe und sein Frieden werden sich durchsetzen. Jetzt müssen wir noch Geduld haben, Gottes Evangelium hören und aufnehmen. Jetzt hinken unsere Erfahrungen noch der Verheißung hinterher; aber die Zeit kommt, da Gott alles erfüllt, das Dunkle verschwinden muss und alles nur noch Freude ist und Lachen. So schön, wenn dieses Lachen schon jetzt immer wieder mal in unserem Leben durchbricht.

Prof. Dr.  Michael Kißkalt

Januar 2023

Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut. (Gen 1,31)

Wir stehen am Anfang eines neuen Jahres – das Jahr 2023. Vor uns liegen noch unbeschriebene Monate, hinter uns das Neujahrsfest. Vielleicht auch dieses Jahr mit neuen Vorsätzen und neuen Hoffnungen: Wird jetzt alles besser?

„Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut.“ Sehr gut?! In den Nachrichten über die Ereignisse in unserer Welt sehe ich oftmals etwas anderes. Da möchte ich manchmal schreien oder auch weinen, aus Verzweiflung und Hilfslosigkeit. Und auch in meinem kleinen Alltag spüre ich Chaos, Ängste oder auch körperliche und seelische Schmerzen. Ist alles so, wie es ist „sehr gut“? Das bezweifle ich. Aber ich bin dankbar, trotz der vielen erschütternden Ereignisse dennoch Freude und Liebe erleben zu dürfen – diese kleinen und großen Lichtblicke, diese „sehr guten Momente“.

Der Schöpfungsbericht in Genesis 1 erzählt davon, wie Gott aus dem lebensfeindlichen Chaos, dem anfänglichen „Tohuwabohu“, ein geordnetes Ganzes erschafft. Seine Freude und Liebe an seiner Schöpfung wird dabei besonders deutlich: Nach jedem Schöpfungstag schaut er sich sein Werk an und bezeichnet es als gut. In Genesis 1,31 schaut er sich seine Schöpfung im Gesamten an – er sieht sie und betitelt sie als „sehr gut“. Er schafft Himmel und Meer, Tag und Nacht, Pflanzen und Tiere und den Menschen, als sein Ebenbild. Und er sieht jeden einzelnen Aspekt seiner Schöpfung und nennt es sehr gut. Gesundes Wachstum geschieht, wenn wir Dinge mit Liebe ansehen und behandeln. In der Schöpfung gibt Gott uns seinen Zuspruch und seine Annahme. Er hat uns aus Liebe erschaffen, er kennt uns und er sieht uns. Auch wenn die Situation heute nicht diesen „sehr guten Zustand“ in der Schöpfungsgeschichte widerspiegelt und so viele Fragen offenbleiben, so kann uns dieser Vers als Erinnerung dienen: Gott ist immer noch unser Schöpfer. Er sieht uns mit Liebe an, bei ihm sind wir angenommen. Und vielleicht können auch wir dadurch unseren Blick wenden und uns auf die Liebe und das Gute in der Welt und in unserem Leben ausrichten. Vielleicht können die Menschen und die Umwelt, die uns anvertraut sind, sich auch unter unserem liebenden Blick gesund entfalten. Vielleicht dürfen wir die Momente, in denen wir die Schönheit und Liebe Gottes zu seiner Schöpfung spüren, noch bewusster wahrnehmen und benennen: Siehe, es war sehr gut.

Natürlich geht es nicht darum, so zu tun, als würde es das Leid und die Ungerechtigkeit nicht geben. Wir dürfen in unserer Ganzheit vor Gott kommen, auch mit dem, was weh tut. Wir dürfen klagen. Ich glaube, dass auch Gottes Herz über die Missstände dieser Welt, seiner Schöpfung, zerbricht. Vielleicht kann uns aber die Erinnerung und Zurückbesinnung auf diesen Ursprung, dem „sehr gut“ in der Schöpfungsgeschichte, neu Kraft und Sicherheit geben: Wir wurden in Liebe angesehen und dürfen so andere in Liebe ansehen. Lasst uns in diesem Sinne das Gute sehen und benennen und es auf diese Weise wachsen lassen.

Dana Sophie Jansen
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theologischen Hochschule Elstal

Jahreslosung 2023

„Du bist ein Gott, der mich sieht“ (1. Mose 16,13) 

„Du bist ein Gott, der mich sieht“. Eine kraftvolle Jahreslosung, die gut für sich selbst stehen kann. Mit diesem starken Titel benennt eine ägyptische Sklavin den Gott Israels. So ist unser Gott, das ist bis heute sein Wesen: Ein Gott, der mich, der dich sieht. Was für eine wunderbare Zusage, die uns 2023 begleitet!

Und doch: Manchmal lösen gerade solche positiven Aussagen Fragen aus. Siehst du auch mich, Gott? Ich habe nicht den Eindruck. Redest du mit mir? Ich höre so wenig. Ermutigung und Enttäuschung liegen manchmal nah beieinander.

Für mich wird dieser fast zu schöne Satz krisenfester, wenn ich ihn in seinem Kontext lese: Als Höhepunkt einer Geschichte, die in knappen Worten viel Schmerzhaftes erzählt. Viel Leid, das erduldet und einander angetan wird. Da ist eine Frau, die jahrelang auf Kinder gehofft hat und jetzt resigniert sagt: Gott hat mir verwehrt, zu gebären. Die ihrem eigenen Mann daher eine Zweitfrau zuführt, ihre Sklavin. Sarai heißt sie da noch, und ihr Mann Abram. Die Sklavin, Hagar, wird nicht nach ihrer Meinung gefragt. Sie wird von Sarai und Abram auch nie mit Namen genannt, immer nur als „meine/deine Sklavin“ bezeichnet. Und als sie, bald schwanger, auf ihre kinderlose Herrin herabsieht, wird sie von Sarai mit Abrams ausdrücklicher Erlaubnis gedemütigt.

In all den großen Themen, unerfüllter Kinderwunsch, Zwangsheirat, Eifersucht, gibt es ein stilleres Leitmotiv, das der Erzähler durch seine Wortwahl hervorhebt: Wie sehen wir einander an – und was lösen wir damit aus? Die Schwangere sieht auf die Kinderlose herab, die Herrin ist plötzlich „wie Nichts“ in den Augen ihrer Sklavin. Sarai ist davon so getroffen, dass sie sich bei Abram die Erlaubnis holt, mit Hagar zu tun, was „gut in ihren Augen ist“. Gut in Sarais Augen ist es, die Sklavin so zu demütigen, dass sie erkennt, wo ihr Platz ist: ganz unten. Die Augen anderer machen mich klein: Diese Erfahrung teilen beide Frauen. Wenn Blicke töten könnten…, sagen wir. Nicht selten erleben wir, wie wahr das Sprichwort ist. Wie schmerzhaft es ist, übersehen zu werden. Wie demütigend es sein kann, wenn meine Schwachstellen ausgeleuchtet werden, mein Versagen, meine wunden Punkte. Kein Wunder, dass die meisten Menschen beides kennen: Den großen Wunsch, gesehen zu werden – und die Angst davor.

Hagar flieht aus dieser Situation in die Wüste. Dort wird ihr ein anderer Blick zuteil. Ein Bote Gottes findet die entlaufene Sklavin. Er spricht sie mit ihrem Namen an, spricht ihr zwei große Verheißungen Gottes zu – mitsamt der Zusage, dass Gott ihre Not gehört hat. Hagars stammelnde Reaktion: „Und sie nannte den Namen des HERRN, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht. Denn sie sprach: Gewiss hab ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat.“

Wieviel Hagar von Gott gesehen hat – wie deutlich sie seinen Blick gespürt hat? Das bleibt wunderbar vage. Zum einen begegnet Gott ihr in Gestalt eines Boten. Erst im Nachhinein erkennt sie in dessen Reden die Worte Gottes. Und dann diese spannende Formulierung am Ende: Die ganze Begegnung erscheint Hagar als „Hinterhersehen“ hinter dem Gott, der sie ansieht. (Ganz wie Mose in 2. Mose 33,18-23 nur hinter Gott hersehen darf.) Die alte griechische Übersetzung bewahrt allerdings eine andere Variante, hier erklärt Hagar mutiger: „ich habe das Angesicht dessen gesehen, der mich sieht.“ Ich mag diesen Nebel über der Szene. So einfach ist das nicht, Gottes Blick wahrzunehmen, seine Stimme zu hören. Er zeigt sich uns – und entzieht sich doch auch. Er geht uns nach auf vielfältige Weisen – aber wir erahnen sein Handeln, seinen Blick auf uns meist nur.

Hagars geheimnisvolle Gotteserfahrung bleibt im Namen des Orts in steter Erinnerung: Brunnen des Lebendigen, der mich sieht (V.14). Und noch viel länger klingt ihr Gotteslob in dieser ergreifenden Erzählung in 1. Mose 16 nach, bis heute. In diesem Jahr sind wir aufgerufen, stammelnd, hoffend, vielleicht auch jubelnd einzustimmen: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Dr. Deborah Storek
Altes Testament