Michael Noss und Christoph Stiba

BEFG-Mitgliederstatistik 2020

Pandemie und individuelle Gemeindesituationen führen zu Rückgang

Zum Stichtag 31. Dezember 2020 gehörten 794 Gemeinden mit 77.685 Mitgliedern zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG). Damit verzeichnet der Bund einen Rückgang von 2.510 Mitgliedern (3,1 Prozent), der zu einem großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass sich im „Corona-Jahr 2020“ weniger Menschen den Gemeinden anschlossen, während sich die Abgänge auf dem Niveau der Vorjahre bewegten. So gab es wegen der Pandemie deutlich weniger Taufen und Aufnahmen durch Zeugnis als im Vorjahr, was alleine mehr als die Hälfte des Rückgangs erklärt. Austritte und Streichungen hängen meist eng mit der jeweiligen Gemeindesituation zusammen.

Wie alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens war auch die Gemeindearbeit ab März 2020 von der Coronakrise schwer beeinträchtigt. Gottesdienste, Gemeindeversammlungen oder Taufen und vor allem auch Gemeinschaft, die für Gemeinden so wichtig ist, waren nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich. So wurden in BEFG-Gemeinden nur 730 Menschen getauft, was einem Minus von 54,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. 762 Menschen wurden durch Zeugnis aufgenommen (- 39 Prozent). Auch die Zahl der anteilsmäßig kleineren Zugangsarten Wiederaufnahme (- 33,8 Prozent) und Aufnahme nicht gläubig Getaufter (- 48,3 Prozent) war rückläufig (siehe Tabelle).

„Durch die Pandemie mussten die Gemeinden von einem auf den nächsten Moment ihre komplette Arbeit ‚neu erfinden‘“, so BEFG-Generalsekretär Christoph Stiba. „Während Gemeinden mit enormer Kreativität fast alles auf digital umstellten und gleichzeitig viel Energie in die Beziehungsarbeit steckten, war zwangläufig einiges nicht möglich. Man kann Menschen nicht digital taufen, und nicht wenige Mitglieder hatten Probleme, in der neuen Gemeindesituation innerlich anzukommen.“ So lasse sich beobachten, dass auch viele Abgänge mit Corona zusammenhingen: „Lange Zeiten ohne Präsenzgottesdienste haben mitunter Entfremdung verursacht oder beschleunigt und zu Austritten oder Streichungen geführt.“

Während die Zugänge 2020 um 47,1 Prozent unter dem Wert von 2019 lagen, blieben die Abgänge (+ 3,6 Prozent) etwa auf Vorjahresniveau. Leicht rückläufig war dabei die Zahl der Entlassungen in bekenntnisverwandte Gemeinden (- 14,7 Prozent). Einen kleinen Anstieg gab es bei Streichungen (+ 5,6 Prozent), Austritten (+ 8,1 Prozent) und Todesfällen (+ 3,8 Prozent).

 „Besonders beschäftigt uns die hohe Zahl der Austritte, die immerhin 41,8 Prozent aller Abgänge ausmachen und für 68 Prozent des Mitgliederrückgangs stehen“, so Generalsekretär Stiba. Ebenso auffällig sei eine recht hohe Zahl bei den Streichungen (18,8 Prozent aller Abgänge). Eine stichprobenartige Recherche in zehn Gemeinden mit auffällig hohen Zahlen hat einige Muster aufgezeigt und zugleich deutlich gemacht, dass die Gründe für Austritte und Streichungen meist sehr individuell mit der jeweiligen Gemeindesituation zusammenhängen. Am Anfang steht oft die aktive Prüfung des eigenen Mitgliederverzeichnisses durch die Gemeindeleitung. Im Fall einer großen Gemeinde, die dies 2020 zum ersten Mal seit Jahren tat, fiel auf, dass zahlreiche Mitglieder sich längst anderen Gemeinden angeschlossen hatten oder dem Gemeindeleben ferngeblieben waren. Eine zusammengenommen dreistellige Zahl an Austritten und Streichungen allein in dieser Gemeinde war die Folge. Überhaupt sind es oft Menschen, die sich schon lange aus der Gemeinde zurückgezogen haben, die gestrichen werden oder auf Nachfrage dann selbst austreten. Die Pandemie hat solche Entwicklungen oft nur beschleunigt: Menschen merkten in der gottesdienstfreien Zeit, dass sie auch ohne Gemeinde leben können. Andere fühlten sich in der kontaktarmen Zeit nicht ausreichend wahrgenommen und wendeten sich ab. Auch Stilfragen (etwa Wunsch nach mehr Liturgie) führten zum Wechsel in nichtbekenntnisverwandte Gemeinden, was in der Statistik als Austritt gezählt wird.

Zwei Gemeinden aus der Stichprobe berichteten, dass Corona auch für Streit sorgte. Dort traten Mitglieder aus, weil, so fasste es ein Gemeindeleiter zusammen, die Gemeinde Online-Gottesdienste einführte, statt sich über die staatlichen Vorgaben hinwegzusetzen und „in den Widerstand“ zu gehen. Streit war auch sonst manchmal der Grund für Austritte. Mal ging es um Macht-, mal um Sachfragen, mal entzündete sich an einer Leitungswahl eine Richtungskontroverse. Auch die theologische Ausrichtung führte in einzelnen Fällen zu Austritten: Manch einem war seine Gemeinde zu liberal, manch einem zu konservativ. In einem Fall traten aus derselben Gemeinde Menschen aus, weil ihnen deren Ausrichtung zu liberal bzw. zu konservativ war. Austritte ganzer Gemeinden aus dem Bund machen nur einen kleinen Teil der gesamten Austritte aus. 2020 war es eine Gemeinde, die austrat, weil sie mit der theologischen Ausrichtung des Bundes nicht übereinstimmte. Deren 113 Mitglieder stehen für 6,6 Prozent aller Austritte. Überhaupt haben der Austritt oder die altersbedingte Auflösung ganzer Gemeinden nur einen kleinen Anteil an der Mitgliederentwicklung des Bundes: 259 Abgänge (6,3 Prozent aller Abgänge) sind darauf insgesamt zurückzuführen.

In den Prozentzahlen zu den Ab- und Zugängen nicht mitgerechnet sind die Überweisungen: Als Wechsel eines Mitglieds von einer BEFG-Gemeinde in eine andere stellen diese eine ergebnisneutrale Position dar, eigentlich. Denn auch 2020 sind wieder Menschen überwiesen worden, ohne in der Zielgemeinde angekommen zu sein. Dadurch hat der BEFG im vergangenen Jahr 102 Mitglieder verloren.

„Es macht uns nachdenklich, dass auch 2020 wieder Menschen die Gemeinden verlassen haben“, so BEFG-Präsident Michael Noss. „Wenngleich wir als Leitung des Bundes wenig Einfluss auf die jeweils konkrete Gemeindearbeit vor Ort haben, nehmen wir Anteil, denn wir sind eine geistliche Bundesgemeinschaft.“ Es gebe keinen Grund zur Resignation: „Wir sind gemeinsam unterwegs, weil wir aus der Kraft der besten Botschaft leben und Jesus Christus den Menschen bezeugen.“ Mit seiner überregionalen Arbeit habe der BEFG ein klares Ziel: „Wir wollen die Gemeinden in ihrer Arbeit unterstützen. Wenn es vor Ort herausfordernde Situationen gibt, sind wir da.“ Im Namen des Präsidiums und der Bundesgeschäftsführung ermutigen Michael Noss und Christoph Stiba die Gemeinden, die Angebote zu nutzen, von der Gemeindeberatung in Krisenfällen über aktuelle Materialien wie in der Coronakrise bis hin zu allen inhaltlichen Angeboten wie Beratung, Fortbildungen oder Veranstaltungskonzepten. Zudem habe die Pandemie wieder gezeigt, wie wichtig Beziehungsarbeit sei: „Gerade Gemeinden mit vielen Kleingruppen haben weniger Mitglieder verloren. Wo wir in enger geistlicher Gemeinschaft miteinander unterwegs sind, bleiben wir beieinander.“

Ein Artikel von Dr. Michael Gruber | Erstellung der jährlichen Mitgliederstatistik: Anja Schultheis