Foto: ruhrkirche

Zuhause mitten in Wetter

Eine Gemeinde wagt mehr als den Tapetenwechsel

Seit über 60 Jahren hat die ruhrkirche in Wetter, das im südöstlichen Ruhrgebiet liegt, ihre Wurzeln. Die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde feierte ihre Gottesdienste bereits in verschiedenen Gebäuden der Stadt, wuchs jedoch nach und nach aus den genutzten Räumlichkeiten heraus. Inzwischen nehmen etwa 180 Gäste regelmäßig an den Gottesdiensten teil, Tendenz steigend. Da ein passendes Gebäude finden, und das in zentraler Lage? Schwierig! Also wagt sich die Gemeinde an ein besonderes Glaubensprojekt: Einen Neubau.

Schandfleck mit Potenzial

Stadtteil Schöntal. Ich treffe Martin Sinn, den Leiter der Bauplanung, am Baugrundstück der Gemeinde. Es regnet kräftig, daher flüchten wir schnell ins Innere eines alten Eckgebäudes. Die ruhrkirche hat es zusätzlich zu dem angrenzenden Baugelände erworben. Das rote Backsteinhaus wir derzeit saniert, renoviert und auf seine neue Funktion als Kinder- und Jugendhaus vorbereitet. Als Kind der Gemeinde ist Martin Sinn in der ruhrkirche groß geworden, hat sie 24 Jahre lang mitgeleitet und engagiert sich nun besonders im Neubau. Mit ihm bilden Pastor Timo de Buhr und der Leiter der Finanzen eine Steuergruppe für das Projekt. Zusätzlich gibt es Teilprojekte mit eigenen Leitern. „Ohne die wäre die Gesamtaufgabe zu groß. Ich bin sehr dankbar, dass wir Leute in der Gemeinde haben, die bereit sind, an diesen Stellen Verantwortung zu übernehmen und das auch wirklich gut und mit Herz machen. Das ist wichtig, damit das Projekt in der gesamten Gemeinde verankert ist.“, meint Sinn.

Beim Durchwandern der Baustelle gibt mir der freiberufliche Coach Einblick in den Prozess, der zum Neubau geführt hat. Wie kam es überhaupt zu dem Entschluss? Seit klar war, dass die ruhrkirche sich vergrößern möchte, war man auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten. Führte Gespräche zu konkreten Gebäuden, mit der Stadt, mit dem Bürgermeister, mit der Sparkasse und prüfte die Möglichkeiten. Nahm wieder Abstand und suchte weiter. Die Gemeinde hat die Suche im Gebet stark mitbewegt und war so von Anfang an Teil des Prozesses ­–  der erst einmal auch ins Leere lief und frustrierte. „Übrig blieb schließlich dieses Gelände mit dem ehemaligen OPEL-Autohaus, das insolvent gegangen ist und über Jahre schon brach lag. Kurz bevor es eigentlich versteigert werden sollte, haben wir es dann gekauft.“, erzählt Sinn. Der Platz war bis dato ein Schandfleck für das Stadtgebiet, weshalb die Idee des Gemeinde-Neubaus auch von Seite der Stadt positiv aufgenommen wurde. Nach Kauf des Grundstücks war allerding noch nicht klar, was genau darauf gebaut werden soll. Sicher war nur, dass es die einzige in Wetter freie Fläche ist und die Gemeinde zentral bleiben möchte. Das Grundstück trotzdem zu kaufen, war also ein großer Glaubensschritt. Dann wurde das daran angrenzende Gebäude an der Ecke frei, in dem wir nun stehen. Für den Altbau gab es eigentlich auch schon einen sicheren Käufer, aber der Eigentümer entschied überraschend: „Ich möchte, dass Sie als ruhrkirche das Haus kriegen.“ – das erlebt die Gemeinde bis heute als echtes Wunder.

Beginn des Abriss

Foto: ruhrkirche

Gottesdienst vor Corona

Foto: ruhrkirche

Teilprojektleitende Bau

Foto: ruhrkirche

Wir sind für das weitere Gespräch mit Pastor Timo de Buhr im aktuellen Gemeindebüro verabredet. Auf dem Weg dorthin zeigt Sinn mir das Gebäude, in dem die ruhrkirche seit Herbst 2017 übergangsweise ihren Gottesdienst feiert: in der Mensa der „Schule am See“. „Dieser Raum ist schön, aber suboptimal, da Nebenräume für Kinderbetreuung fehlen und wir wöchentlich einen hohen Aufwand für den Auf- und Abbau haben.“, erklärt er. Diese Mühen schlauchen die Gemeinde auf Dauer sehr. Umso größer ist die Vorfreude auf das neue Zuhause: Im Sommer 2021 soll es bezugsfertig sein. Gemeinsam mit de Buhr schauen wir kurze Zeit später auf den Grundriss des auf 3000 qm geplanten Gebäudes. Der 37-jährige Familienvater begleitet die ruhrkirche inzwischen schon seit 11 Jahren. „Ich genieße es und bin immer noch gerne hier.“, meint er lächelnd. Deswegen steckt er seine Energie auch gerne in das zukünftige Zuhause der Gemeinde.

Aber was genau wird denn nun eigentlich gebaut? Ein Blick auf die Baupläne zeigt: Hier wird in die Zukunft gedacht. Der neue Gottesdienstraum ist durch teils flexible Wände von 300 regulären auf 400 Plätze erweiterbar. Im geräumigen Foyer werden große Bildschirme aufgehangen, dort können bei Bedarf weitere Besucher den Gottesdienst verfolgen. Durch zusätzliche Baumaßnahmen könnte der Gottesdienstraum in Zukunft außerdem auf 500 Plätze erweitert werden. „Am wichtigsten für uns war die Praktikabilität, dass das Gebäude möglichst multifunktional und zukunftsorientiert ist. Es soll von innen funktionieren und Raum für das haben, was uns wichtig ist und was wir anbieten wollen. Gemeinde ist ja kein Gebäude – ein Gebäude ist etwas, das uns dienen soll, damit Gemeindeleben dort stattfinden kann.“, erklärt de Buhr.

Ganzheitliche Nachhaltigkeit

Auch das Thema Nachhaltigkeit war der Gemeinde für ihr Großprojekt ein wichtiges Anliegen. Das begann eigentlich schon beim Kauf des neuen Gebäudes – sie prüften, ob sie die Altgebäude in das Gemeindeleben einbinden können oder wirklich abreißen müssen. Es wurde viel diskutiert, Wünsche und Ideen immer wieder auf ihre Machbarkeit abgewägt. Das Ziel war aber nie, ein ökologisches Vorzeigeprojekt zu bauen. „Es ist uns wichtig, umweltverträglich zu bauen. Die gesetzlichen Vorgaben geben uns bereits energiesparende Wege vor. Zusätzlich planen wir auf dem Flachdach des Veranstaltungsgebäudes eine Photovoltaik-Anlage und zwei Ladesäulen für E-Autos. Das vormals komplett versiegelte Gelände soll durch Grünanlagen zum Teil wieder renaturiert werden.“, erläutert Sinn. Für den späteren Betrieb ist der Gemeinde Nachhaltigkeit ebenso wichtig. Das bedeutet für sie auch, dass die Räume möglichst oft genutzt werden. Geplant ist ein multifunktionales Gemeindezentrum, dass auch für andere Veranstaltungen im Rahmen der Genehmigung genutzt werden kann. Außerdem ist angedacht, im Foyer des Hauses ein Quartiercafé für die Bewohner des Stadtviertels zu betreiben. „Wir wünschen uns, dass unser neues Gemeindezentrum auch außerhalb der Gottesdienste zu einem Zuhause für Menschen in Wetter wird. Dafür wollen wir innovative und kreative Wege gehen.“, resümiert Martin Sinn. Die Angebote der Gemeinde sollen nicht nur ein kurzes Highlight, sondern beständige Anlaufstelle sein. „Wir wollen kein Feuer, dass nach kurzer Zeit wieder runterbrennt, sondern wünschen uns auch in der Art, wie wir Gemeinde aufstellen und entwickeln, dass es nachhaltig ist.“

Dieser Wunsch reicht bis in die Leitungsstrukturen der Gemeinde hinein. Bereichsleiter sollen eigenverantwortlich und selbstständig entscheiden und arbeiten können. Denn auf diese Weise wächst auch die Identifikation mit der Gemeinde. Gab es Situationen, in denen der Mut für das Projekt auf der Kippe stand? „Ein kritischer Punkt war, als sich herausgestellt hat, dass der zuerst ausgewählte Bauentwurf nicht zu stemmen ist: Die kalkulierten Kosten waren zu hoch. Also wurde eine sogenannte „SOKO Bau“ eingerichtet und alles neu auf den Prüfstand gestellt. Das war für uns ein wichtiger Schritt. Danach sind wir noch mal an den ersten Entwurf dran gegangen und haben geschaut, wo wir Kosten einsparen können.“, erinnert sich Sinn. Das drei-Millionen-Projekt wird nicht über Großspender oder Unternehmer, sondern über die ganze Gemeinde finanziert. Auch dadurch ist es in den Reihen verankert. Finanziell sind der normale Haushalt und die Baukasse streng voneinander getrennt –­­­ der Bau soll nicht zu Lasten der Gemeindearbeit finanziert werden.

Die Zukunft wird groß

Auf die Frage nach einer Vision der Gemeinde, reagiert Timo de Buhr entspannt. „Wir haben da kein festes Bild. Das kann Stress verursachen und Druck machen. Ich denke es sollte flexibel sein. Wir treffen uns regelmäßig mit unseren leitenden Mitarbeitern zum Reflektieren und reden über Ziele, die sich auch immer wieder verändern können. Ich bin zuversichtlich, dass Gemeinde wachsen wird – da, wo wir uns nicht um uns drehen, sondern um Jesus.“ Der Blick in die Zukunft scheint durchweg hoffnungsvoll. „Alle warten darauf, dass es jetzt endlich losgeht. Es ist surreal zu wissen, dass wir in diesem Winter schon in einem geschlossenen Gebäude stehen können. Dann beginnt der Innenausbau und im Frühsommer soll das Ding eröffnet werden. Die Vorfreude und die positive Stimmung wachsen.“, grinst Timo de Buhr. „Es kann losgehen!“, meint auch Martin Sinn.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Gemeinde.Praktisch. Ausgabe 2020.

Ein Artikel von Liesa Dieckhoff