Andacht zu Weihnachten 2023

Das Heil der Welt

„Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern.“
Lukas 2,30-31

Neulich sagte ein Freund mit tiefer Frustration in der Stimme zu mir: „Deutschland ist am Ende, das wird nichts mehr. Eine echte Katastrophe“. Wir saßen in seinem Büro. Draußen auf der Straße ging das Leben weiter wie bisher. Auch sonst war vom Ende nicht viel zu sehen und auch nichts von einer Katastrophe. Ich denke, dass es objektiv auch nicht stimmt, das mit dem Ende. Aber es ist gefühlt so und mit diesem Gefühl haben zurzeit wohl sehr viele Menschen zu tun. Es ist einfach zu viel, was wir, unmittelbar und zum Teil nur mittelbar, bewältigen müssen. Erst Corona mit allen seinen Auswirkungen, dann der Krieg in der Ukraine, der alles auf den Kopf gestellt hat, das entsetzliche Terror-Handeln der Hamas gegen Menschen in Israel und jetzt im Krieg die leidende Zivilbevölkerung in Gaza. Dann kommen auch noch große wirtschaftliche Herausforderungen mit Inflation, steigenden Mieten, Energiekosten und vielen Unsicherheiten im Blick auf mögliche Lösungen hinzu. Das sich stetig erwärmende Klima und die prognostizierten Auswirkungen machen Angst und dann fehlt es nun auch noch deutlich an Geld im Haushalt unseres Landes Das ist alles zu viel, erzeugt ein Gefühl von Ohnmacht und lässt eben emotional so ein Endzeitbewusstsein entstehen, auch wenn mein Leben vielleicht weitestgehend funktioniert und weitergeht.

Da sitzt der alte Simeon nun im Eingangsbereich des Tempels und wartet. Was mag er in seinem Leben und in seiner Welt als Herausforderung erlebt haben? Er ist alt geworden. Vieles, was hoffnungsvoll in seinem Leben begonnen hatte, hat sich nicht erfüllt. Viele Enttäuschungen hat er auf seiner Wegstrecke aufgesammelt. Vielleicht ist er lebenslang auf der Suche gewesen nach der Lösung für alles Menschenleid, Gewalt und Korruption, Machtmissbrauch und blanke Willkür. Vielleicht hat er vieles erprobt, um eine Lösung zu finden. Vielleicht hat er immer wieder Momente erlebt, wo er dachte, dass es eine Lösung geben könnte und sie greifbar nahe sei. Vielleicht ist er immer wieder gescheitert und enttäuscht weitergezogen zum nächsten Abenteuer. Aber offensichtlich hat er nicht aufgegeben. Tief in ihm drin ist er beseelt von diesem Gedanken, dass eines Tages das Heil kommen soll. Und weil er seinen Blick eben nicht nur auf das lenkte, was lebenswidrig war, sondern seine Sehnsucht immer wieder in der betenden Begegnung mit Gott stillte, behielt er diese tiefe Hoffnung und die nicht minder tiefe Gewissheit, dass eines Tages nicht nur die Erlösung, sondern der Erlöser kommen wird.

Und dann geschieht es, an diesem einen besonderen Tag. Er spürt es sofort, als er das Paar mit dem Kind kommen sieht, die ihrer traditionellen Pflicht nachgehen und ihr neugeborenes Kind nach jüdischem Brauch im Tempel darbringen. Er geht auf sie zu, breitet seine Arme aus und betrachtet dieses kleine, unscheinbare Geschöpf. Ein Baby eben, wie es sie überall auf der Welt gab und gibt. Aber er erkennt er das Besondere an diesem Kind und drückt es mit diesem Satz aus: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern.“

Es ist Weihnachten und es stellt sich die Frage, wo wir hinblicken: auf all das Schlimme und Böse? Oder gelingt es uns, mitten in diesem großen Weltdilemma dahin zu sehen, wo das Heil gekommen ist? Die Macht stand schon damals im krassen Gegensatz zu der heilsamen Botschaft „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus.“ Und „Friede auf Erden!“ Die Macht zeigt im Kindermord in Bethlehem ihr hässliches Gesicht. Das Leben Jesu beginnt mit einer Flucht. Migranten in Ägypten, herausgerissen wie viele heute auch. Und genau darin ist die Weihnachtsbotschaft so aktuell und so nahe. Sie tritt immer mitten in die aktuellen Geschehnisse, weil sie gilt, weil es Gott ist, der sie in Gang setzt, weil es ganz klein anfängt, mitten im Weltgetöse untergeht, aber die erreicht, die in Not, in Angst und Schrecken leben.

Es ist Weihnachten. Auch dieses Jahr wieder. Es ist Weihnachten, trotz aller Herausforderungen. Oder sollte ich besser sagen: genau wegen aller uns so sehr bedrückenden Dinge, die uns das Gefühl geben, sie nicht mehr bewältigen zu können? Simeon jedenfalls ist nach seiner langen Lebensreise angekommen. Die lebenslange Suche hat ein Ende. Sein Weihnachten findet dort im Tempel in Jerusalem statt. Da sieht er das Heil der Welt, den Messias, den Christus, Gottes lebendige Verheißung an die Welt. Frieden breitet sich aus und tiefe Dankbarkeit, weil Gott sein Versprechen wahrgemacht hat und gekommen ist, in diesem kleinen, ohnmächtigen Kind. „Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern.“ Wer es einmal gesehen hat, den lässt es nicht mehr los. Männer und Frauen, zu allen Zeiten haben ausgehend von Weihnachten Hoffnung verbreitet, haben gesegnet und nicht geflucht, haben auferbaut und nicht verurteilt, haben mitten im Chaos Zeichen des Friedens und der Liebe aufgerichtet.

Jochen Klepper, auch einer der brutal herausgeforderten Menschen seiner Zeit, hat die ganze Weihnachtshoffnung in ein Lied gefasst.

Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern!
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.
Die Nacht ist schon im Schwinden,
macht euch zum Stalle auf!
Ihr sollt das Heil dort finden,
das aller Zeiten Lauf
von Anfang an verkündet,
seit eure Schuld geschah.
Nun hat sich euch verbündet,
den Gott selbst ausersah.

Ich habe das Heil gesehen, wie viele andere mit mir. Ich möchte mich nicht von Katastrophenszenarien gefangenen nehmen lassen. Nein, es ist nicht das Ende. Gott setzt auch in diesem Weihnachten wieder einen Anfang. Und dieser Anfang soll Menschenherzen erreichen und verändern. Lasst uns Menschen sein, die die Weihnachtsfreude in sich tragen, die segnend und friedvoll durch die Welt gehen, Hoffnung verbreiten, nicht aufgeben und sich nicht packen lassen von allem Widerwärtigen.

Frohe Weihnachten, Jesus ist geboren, das Heil der Welt.

Michael Noss
Präsident