Vorwort Bund aktuell Nr. 8 | 3. August 2023

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist wieder Urlaubszeit. Einige von Euch haben diese schönsten Tage des Jahres schon hinter sich und sind wieder erholt und erfrischt an ihrem Tagwerk, andere sind mitten drin in ihrem Urlaub und einige warten wahrscheinlich schon sehnsüchtig darauf. Endlich Urlaub! Endlich Ferien! Endlich freie Zeit! Eine gewisse Entspannung stellt sich allmählich ein, das Leben wird ruhiger, es ist mehr Zeit für die Familie, für eine Reise, für einen Spaziergang, für den Garten.

Doch: Wirklich Urlaub machen, sich freuen, die Seele baumeln lassen, können das alle? Und ich meine das jetzt gar nicht zuallererst in finanzieller Hinsicht. Obwohl es sicherlich auch ein wichtiger Aspekt ist, dass viele Menschen finanziell gar nicht in der Lage sind, irgendwelche Reisen in ihrem Urlaub zu unternehmen. Ich erlebe aber auch zunehmend, dass Menschen nicht befreit ihren Urlaub genießen können, weil sie zu sehr innerlich gefangen genommen sind von Sorgen um die Zukunft, geplagt von Stress, von Schmerzen, erfüllt von Traurigkeit. Viele haben gerade zwar Zeit, aber gar keinen Sinn für Urlaub und Sommer. Sie sind und bleiben innerlich unruhig und kommen wenig erholt aus ihrem Urlaub wieder zurück. Ich denke, das liegt auch an einer Art Überdosis von „Es ist eigentlich schon zu spät“-Meldungen, die täglich auf uns einprasseln: Ukraine-Krieg, Klimakatastrophe, Inflation, Energiekrise – die Apokalypse schwebt eigentlich über jedem einzelnen dieser Themen. Und man könnte ja fortsetzen: mit Putin, mit der atomaren Bedrohung. Dazu jetzt auch noch der Film „Oppenheimer“ in den Kinos. Übrigens sehr empfehlenswert, wie ich finde, wenn auch mit drei Stunden recht lang…

Alle diese „Es ist eigentlich schon zu spät“-Meldungen vermitteln den Eindruck: Wie es auch kommt, es wird schlimm. Das kann einem schon den letzten Nerv rauben und die Urlaubsleichtigkeit beschweren. Selbst, wenn man es schaffen sollte, im Urlaub die E-Mails, das Handy und die sozialen Medien mal abzuschalten. „Unser Zeitgeist ist panisch geworden“, hat dazu mal jemand gesagt. Ja, und diese Panik nehmen wir auch mit in den Urlaub.

Der Pfarrer und Liederdichter Paul Gerhardt hat schon vor 370 Jahren einen klugen Gedanken dazu gehabt. Auch damals, kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, war der Zeitgeist eher panisch. Und auch in seinem persönlichen Leben hat Paul Gerhardt Sorgen um die Zukunft gehabt, war geplagt von Stress, von Schmerzen, erfüllt von Traurigkeit. Und da macht er 1653 in dem bekannten Sommer-Kirchenlied folgenden Vorschlag: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud’/ in dieser lieben Sommerzeit/ an deines Gottes Gaben./ Schau an, der schönen Gärten Zier/ und siehe, wie sie mir und dir/ sich ausgeschmücket haben.“ Ihr kennt das Lied bestimmt. Vielleicht mögt Ihr es – es ist ja schon so eine Art Volkslied geworden -, vielleicht denkt Ihr auch „Oah, so ‘ne olle Kamelle…“ Für mich steckt jedenfalls ein Geheimnis des Glaubens im Anfang dieses Liedes: „Geh aus, mein Herz...“ – das bedeutet: Wer Gott erfahren will, muss aus sich herausgehen. Damit wir in allem, was uns umgibt, Gott entdecken können, dürfen wir uns nicht fixieren lassen auf die zweideutige Stimmungslage unseres Herzens; darf auch der panische Zeitgeist uns nicht gefangen nehmen. Wir brauchen ein Gegenüber, einen festen Bezugspunkt, einen zuverlässigen Halt außerhalb von uns selbst. Ähnlich vielleicht wie König David es in Psalm 63,8, dem Monatsspruch für diesen Monat August, sagt: „Denn Du bist mein Helfer, und unter dem Schatten Deiner Flügel frohlocke ich.“

Für Paul Gerhardt ist der Sommer eine Zeit solcher Gotteserfahrung, weil er den Menschen zum Auszug aus seiner Selbstbezogenheit anleitet: In der sommerlich ausgeschmückten Schöpfung erfährt er den Herrn, der alles so herrlich regieret. In der Natur, im Zusammenspiel der Kräfte erscheint ihm das Geheimnis der Allmacht, der unerschöpflichen Phantasie und der tiefen Weisheit von Gottes Macht, die hinter dem Dasein dieser Welt waltet. Das Lied fordert auf, sich von diesem Reichtum und dieser Schönheit herauslocken zu lassen, vom weiten Horizont der großen Taten Gottes her das eigene Leben und auch diese Welt zu betrachten. Ganz ähnlich wie Jesus, der seine Jünger daran erinnert, dass Gott die Vögel unter dem Himmel versorgt und die Lilien auf dem Feld kleidet. „Seid Ihr denn nicht viel mehr als sie?“ (Matthäus 6,26ff.) Euer himmlischer Vater weiß, was Ihr braucht. Er weiß auch, was seine Welt braucht. Gott sorgt für Euch!

Viele Menschen sagen, sie müssten in ihrem Urlaub wieder zu sich selbst finden, weil sie sich in den Anforderungen ihres Lebensalltags verloren hätten. Mag sein. Aber vielleicht ist Paul Gerhardts Idee die bessere: „Geh aus mein Herz…“ Und erkenne, wer der Schöpfer und Erhalter und Vollender dieser Welt und auch Deines Lebens ist. Das hilft gegen den panischen Zeitgeist.

Oder mit einer anderen der fünfzehn Strophen aus diesem schönen Sommer-Kirchen-Volkslied: „Ich selber kann und mag nicht ruhn, / des großen Gottes großes Tun / erweckt mir alle Sinnen; / ich singe mit, wenn alles singt, / und lasse, was dem Höchsten klingt, / aus meinem Herzen rinnen.“

Gesegnete Sommer- und Urlaubszeit!

Christoph Stiba
Generalsekretär