Aus der Stille kommt die Kraft

Pastorenstudienfahrt nach Taizé

Mitte September unternahm die Pastorenschaft des BEFG-Landesverbands Norddeutschland eine Studienfahrt ins französische Taizé. 17 Pastorinnen und Pastoren und fünf Pastorenfrauen nahmen dort in der bekannten christlichen Communauté (Gemeinschaft) an einer Jugendkonferenz teil. Die Teilnehmer kamen mit ganz unterschiedlichen Erwartungen und erlebten ein begeisterndes ökumenisches Miteinander, wie Siegmar Assmann und Thorsten May, die der Studienleitung der Pastorenschaft Norddeutschland angehören, berichten. 

In diesem kleinen Dorf im Süden der französischen Provinz Burgund lebt ein Traum, der Traum von Roger Schutz, der 1940 im Alter von 25 Jahren mit einem Fahrrad aus der Schweiz nach Frankreich kam. Er träumte davon, irgendwo eine Kommunität von Männern zu gründen, die ihre evangelischen Wurzeln nicht verleugnen und dennoch eine verbindliche Lebensgemeinschaft in Einfachheit, Ehelosigkeit und Verlässlichkeit führen wollen. Heute, viele Jahre später, besteht die Communauté aus etwa 100 Brüdern, die aus etwa 30 Nationen und ganz verschiedenen Konfessionen und Traditionen kommen. Selbst zwei Baptisten sind dabei. Ihr Anliegen: Ein Symbol der Gemeinschaft zu leben, die durch Jesus Christus ermöglicht wird. Hier werden also die Gemeinsamkeiten betont und nicht etwa die Unterschiede. So entzieht sich die Communauté jedem Versuch, sie in ein bestehendes Schubfach zu stecken. Taizé ist evangelisch, aber nicht nur. Taizé ist auch irgendwie katholisch, aber nicht nur. Taizé bietet auch dem freikirchlich geprägten Christen Andockmöglichkeiten – aber nicht nur. Selbst einem orthodoxen Christen begegnen hier bekannte Elemente. So ist Taizé u.a. offiziell anerkannter Pilgerort der orthodoxen Kirchen – aber eben auch so viel mehr. Ein Symbol einer Gemeinschaft, die durch Jesus möglich ist.

Was bringt einen Menschen und besonders zehntausende von Jugendlichen jedes Jahr dazu, nach Taizé zu fahren? Was lässt sie – und uns – einfache Verpflegung und einfache Unterkünfte begrüßen und als hilfreich empfinden, wo die mediale Versorgung Ausmaße erreicht hat, die wir uns vor 20 Jahren nicht vorstellen konnten? Hier kann die Sehnsucht nach Leben, nach Liebe, Annahme und Wertschätzung gestillt werden. Deswegen kommen jedes Jahr so viele Menschen nach Taizé. Das haben wir erlebt. Die Brüder von Taizé suchen nach der „verborgenen Schönheit jeder Seele“ und geben ihr Möglichstes, dass die Besucher mit Gott in Kontakt kommen. Besonders beeindruckend war für uns der Satz, dass in jedem Menschen eine verborgene Sehnsucht nach Gott wohnt und sich die Brüder dieser Sehnsucht nicht ordnend oder gar verwehrend in den Weg stellen.

Dreimal am Tag gibt es eine liturgische Gebetszeit. Dabei werden Bibeltexte gelesen und gesungen. Viele „Taizé Lieder“ sind uns auch bekannt. Besonderer Höhepunkt jeder Gebetszeit sind etwa 10 Minuten Stille. Alle Christen wissen: Gott redet besonders gerne in der Stille zu uns Menschen. Aus der Stille kommt die Kraft. In unserer hektischen und beschleunigten Gesellschaft ist uns oft die Stille verloren gegangen. Manchmal sprechen wir noch von „Stiller Zeit“ und meinen damit dann auch wieder Aktivität, nämlich Bibellesen, vielleicht Singen und Beten.

Den Glauben an Jesus Christus leben die Taizé Brüder auch in bewusst gewollter Einfachheit. Wenig Luxus in dem Wissen, dass dieser unser Leben so schnell bequem macht – auch unsere Beziehung zu Jesus Christus.

Faszinierend für uns war die Ausstrahlungskraft von Taizé. Von Anfang an waren Jugendliche besonders beeindruckt von dieser Art, den Glauben an Jesus zu leben. Regelmäßiges Gebet, Stille und ein einfaches Leben wecken eine unbeschreibliche tiefe Sehnsucht nach Leben. Viele Menschen machen auf diese Weise erstmalige Glaubenserfahrungen, begegnen Jesus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Jeden Tag nach dem Abendgebet gibt es die Möglichkeit der „Beichte“ und der Seelsorge, was rege in Anspruch genommen wird.

Fünf Tage lebten wir mit vielen Menschen in Taizé zusammen, hatten Begegnungen mit den Brüdern und fühlten uns in dieser angenehmen Atmosphäre fast wie im „Himmel“. Zusammen leben bedeutet auch verzichten lernen auf viele lieb gewordene Gewohnheiten und bewusst einfach leben, einander dienen. Da standen dann plötzlich Pastoren in der Großküche und schrubbten die Töpfe oder teilten das Essen aus. Wir machten die Erfahrung, dass Größe im Reich Gottes mit dem Dienen zu tun hat.

Am letzten Tag kam es zu einer Begegnung mit dem Prior der Communauté, Frére Alois.  Noch nie vorher in der Geschichte der Communauté kam eine Pastorengruppe dieser Größe als Teilnehmer an einem Jugendtreffen nach Taizé. Wir begegneten Menschen, die mit viel Leidenschaft das Verbindende zwischen den Christen – und auch den Kirchen – suchen. Aber das, was uns verbindet, wird nicht durch Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen Kirchenvertretern festgehalten, sondern ganz praktisch gesucht und gelebt. Dies kommt uns als Baptisten sehr nahe. So kann unser Besuch hier mehr sein als eine nette Erfahrung, sondern vielleicht der Anfang einer breiter angelegten Verbindung zwischen der Communauté und den Baptisten – in Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Der globale Ansatz des Evangeliums ist hier sehr deutlich zu spüren.

Wir sind sehr dankbar für diese Erfahrung, die uns ein wenig die Größe Gottes zeigt. Und wir nehmen mit, dass es überall auf der Welt Menschen gibt, die Gott suchen und vielfältig Erfahrungen mit dem auferstandenen Christus machen. In diesem Sinn: „Laudate omnes gentes – lobt Gott, den Herrn, alle Völker!“

Ein Artikel von Siegmar Assmann und Thorsten May