„Erzähl doch mal…!“ Mythos und Motivation in der Gemeinde

Bedeutung und Anwendung narrativer Methoden in der Gemeindeberatung

Unter diesem Thema trafen sich im November 40 Beraterinnen und Berater aus dem Netzwerk „Beratung von Gemeinden“ des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) in Kassel. Beobachtungen und Erfahrungen aus Gemeinden zeigen: Gerade in einer Gemeinde, wo Menschen sich mit einer hohen inneren Motivation ehrenamtlich einsetzen, Opfer bringen und Zeit verschenken, ist das Konfliktpotenzial groß. Wo man mit viel „Herzblut“ und Leidenschaft dabei ist, bleiben Differenzen nicht aus. Um hier wieder zueinander zu finden, kann das Erzählen helfen. Pastorin Heike Beiderbeck-Haus geht auf die Grundgedanken dieser Methode ein und berichtet vom Treffen des Beraternetzwerks, das sie leitet.

Wenn man sich ehrenamtlich engagiert, dann möchte man, dass der Einsatz die Gemeinde im eigenen Sinne formt und dort eigene Werte Gestalt annehmen. In der Gemeinde kann man mit Freude und Leidenschaft Dinge tun, die den eigenen Talenten und Neigungen entsprechen. Man findet dabei Heimat, Zugehörigkeit, Beziehung. Man setzt sich für ein sinnvolles Anliegen ein und findet darin Erfüllung. Wenn es nun in diesem Beziehungsrahmen zu Differenzen kommt, gibt es oftmals zwei Phänomene zu beobachten: „Rückzug“ oder „Kampf“ in Hinblick auf das, was den Menschen wichtig ist.  „Herzblut“ ist vor allem im Spiel, wenn es um die Werte geht. So wird auch so mancher Generationswechsel schwer. Denn wenn Menschen in der Gemeinde für ein bestimmtes Anliegen gearbeitet haben und dieses auch gut gelungen ist, leiden sie sehr daran, wenn es nun anders laufen soll. Wer solche Vorgänge öfters beobachtet, fragt sich: Warum engagiere ich mich überhaupt? Ist es nachhaltig, wofür ich mich einsetze, wofür ich arbeite und mich investiere? Jemand sagte den Satz: „Die Blütezeit einer Gemeinde ist das größte Hemmnis für die Entwicklung der Gemeinde.“ Wie kann Gemeindeberatung helfen, mit dem Mythos der Vergangenheit und mit den „Herzblut-Faktoren“ sinnvoll umzugehen? Wie können nicht nur die Hochmotivierten, sondern auch die Demotivierten oder Unmotivierten in einen solchen Prozess einbezogen werden? Wie kann Beratungsprozess so angelegt werden, dass Menschen nicht panisch reagieren und „dicht machen“, sondern die Komfortzone verlassen um Neues zu denken und zu wagen?

Das Erzählen bietet dazu eine gute Möglichkeit und ist vielfach der Schlüssel für einen gelingenden Zukunftsprozess. Irmgard Neese vom GemeindeSeniorenwerk gab Einblick in die Biografiearbeit. Sie machte deutlich, wie wichtig es ist, dass Menschen Raum haben, in der Gemeinde ihre Geschichten zu erzählen – seien es persönliche Lebensereignisse, Glaubenserfahrungen oder eben auch Gemeindegeschichten. Zum Beispiel: Ein Erzählcafé mit Bildern vom Baugeschehen aus den 80er Jahren kann ein wichtiger Bestandteil eines Meinungsbildungsprozesses für einen geplanten Neubau sein usw. Heidrun Hoffmann-Taufall referierte zu den vier psychischen Grundbedürfnissen nach Klaus Grawe. In der Gemeindeberatung kämen insbesondere das Grundbedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit und das Grundbedürfnis nach Selbstwerterhalt und Selbstwertschutz zum Tragen: Nur, wenn die Person Wertschätzung erfahre, werde sie sich öffnen und von sich erzählen. Wem Raum zum Erzählen gegeben werde, der erfahre wiederum darin Zugehörigkeit, fühle sich gehört und ernst genommen und werde so in den aktuellen Prozess aktiv mit einbezogen. Birte McCloy übte mit den Teilnehmenden unter der Überschrift „Storytelling“ ganz praktische Methoden ein. Wie in der Gemeindeberatung auf kreative Weise Menschen miteinander ins Gespräch kommen können, war auf diese Weise ganz konkret zu erleben. Friedrich Schneider legte ausgehend von der Tageslosung 2.Samuel 12,13 dar, wie bedeutsam ehrlich und ungeschminkt erzählte Geschichten in der Bibel sind.

Da das Netzwerk „Beratung von Gemeinden“ ebenso wie die anderen Tätigkeitsbereiche des bisherigen Dienstbereichs Gemeindeentwicklung nach einer Umstrukturierung nun in anderen Dienstbereichen angesiedelt sind, wurde der bisherige Dienstbereichsleiter, Friedrich Schneider, aus dem Netzwerk „Beratung von Gemeinden“ verabschiedet. Das Leitungsteam der Gemeindeberatung würdigte ihn als einen Dienstbereichsleiter, der immer kreativ und innovativ nach vorne gedacht, zum Experimentieren, Auswerten und Dranbleiben angespornt und viele gute Projekte für den BEFG in Gang gebracht habe: „Ohne ihn gäbe es das Netzwerk ‚Beratung von Gemeinden‘ nicht in der Form, wie es jetzt existiert und funktioniert.“ Der Leiter des nun zuständigen Dienstbereichs Ordinierte Mitarbeiter und Gemeindeberatung, Friedbert Neese, würdigte die Arbeit des Netzwerks als ein sehr wichtiges Angebot und dankte allen Beraterinnen und Beratern für ihr Engagement.

Ein Artikel von Heike Beiderbeck-Haus