„Ich war Teil der deutschen baptistischen Familie“

Interview mit dem malawischen Gastlehrer Owen Mkandawire

Für drei Monate war Owen Mkandawire aus Lilongwe (Malawi) Gastlehrer am Theologischen Seminar Elstal (ThS). Er hielt wöchentliche Lehrveranstaltungen über afrikanische Theologie und die Missionsgeschichte Afrikas. Im Rahmen der Partnerschaft zwischen der Baptist Convention of Malawi (BACOMA) und dem BEFG besuchte er auch Bundesgemeinden in Berlin, Bad Salzuflen, Erfurt, Pinneberg und Gummersbach. Dr. Michael Rohde koordinierte für das ThS Mkandawires Einsatz und führte am letzten Tag von dessen Aufenthalt ein Interview mit ihm. 

MR: Was waren deine ersten Eindrücke von Deutschland, verglichen mit deinen Erwartungen?

OM:
Deutschland ist sehr gut entwickelt im Vergleich zu Malawi. Die Deutschen arbeiten sehr, sehr hart und nutzen ihre Zeit perfekt aus. Zeitmanagement ist ein echtes Problem in Malawi. Wenn Du Dich für 14:00 Uhr verabredest, ist noch niemand da, und manche kommen erst eine Stunde später. Außerdem wird die Umwelt in Deutschland sehr bewahrt, sauber und grün gehalten. Man darf beispielsweise keinen Baum fällen ohne eine Erlaubnis. Und das Wasser in der Stadt ist sehr sauber, sogar in Großstädten wie in Berlin, ganz anders als in unserer Hauptstadt Lilongwe oder in unserer Wirtschaftsmetropole Blantyre.

MR: Was hast du in deiner Zeit in Deutschland an Malawi vermisst?

OM: Fisch vom Lake Malawi, der Chambo ist furchtbar lecker. Außerdem: Wir leben in Malawi wie in einer einzigen Familie. In Deutschland lebt man privater. Die Gastfreundschaft war großartig, doch das Zusammenleben ist anders: In Afrika lebt man miteinander wie in einem großen Dorf. Und ich habe unser Gemeindeleben vermisst.

MR: Welche Unterschiede der Gottesdienstkultur hast du festgestellt?

OM: Unsere Gottesdienste sind viel interaktiver. Hier in Deutschland ist alles sehr gut organisiert und geordnet. In Malawi haben viele Gemeinden drei Chöre, auch mit vielen jungen Leuten, hier habe ich wenige Gesangsgruppen erlebt. In deutschen Gemeinden sind die Ausstattung mit Instrumenten und die Infrastruktur sehr gut, wie in einem Kongresszentrum. Auch für junge Leute gibt es häufig einen Billardtisch oder einen Kicker. Ihr seid gut ausgestattet und auch technologisch modern, die Predigt wird beispielsweise ins Internet gestellt.

MR: Konntest du spüren, dass du hier in Baptistengemeinden bist, oder war es theologisch ganz anders als in Malawi?

OM: Nein, uns verbindet in der Tat das typisch Baptistische, die gemeinsame Anbetung, die Predigt, auch das Kirchencafé nach dem Gottesdienst. Aber es gibt natürlich auch Unterschiede. In Malawi herrscht eine hohe Verbindlichkeit des Gottesdienstbesuches, in Deutschland scheinen die Gemeinden – vielleicht wegen der Aufklärung – sehr frei. Viele bringen keine Bibel mit in den Gottesdienst. In Malawi lieben die Menschen ihre Bibel und haben sie immer dabei. Die Bibelgesellschaft in Malawi hat es daher sehr gut. Andererseits gibt es hier in den Gemeinden viele Liederbücher, in Malawi singen wir meist auswendig.

MR: Du hast in einigen Baptistengemeinden in Deutschland gepredigt. Was war dein Hauptanliegen?

OM: Ich habe in Deutschland mehr gepredigt als in Malawi, dort habe ich andere Schwerpunkte als Lehrer für Kirchengeschichte. Wichtig war mir in der Verkündigung, die Hörer aufzufordern, fokussiert auf Jesus zu sein und in Familie und Alltagssituationen zu beten.

MR: Ist das Gemeindeleben in Malawi anders als das, was du in deutschen Gemeinden kennengelernt hast?

OM: Ich denke schon, wir haben in Malawi in den Ortsgemeinden viele Kleingruppen, die sich mit einem Diakon der Gemeinde als Hauskreise treffen und viel miteinander beten. Auf diese Weise werden Menschen auch Christen und kommen zur Gemeinde hinzu. Wir erreichen auch Menschen, indem wir von Tür zu Tür gehen und sie ansprechen. Diese Tür-zu-Tür-Aktionen sind aber nicht einfach, denn es liegt natürlich nicht jedem, Menschen direkt auf den Glauben anzusprechen.

MR: Du warst als theologischer Lehrer am Theologischen Seminar Elstal. Was war dir am wichtigsten in Deiner Lehre?

OM: Ich wollte, dass die Studierenden eine andere Sicht von Theologie bekommen, eine afrikanische Sicht. Afrikanische Theologie ist anders als die der Kirchenväter, sie ist kontextuell, nimmt also auf die Kultur Rücksicht, und sie ist befreiungstheologisch. Als die ersten Missionare im 19. Jahrhundert nach Malawi kamen, haben sie beispielsweise afrikanische Tänze und Trommeln verboten, da diese aus ihrer Sicht „böse“ waren. Die meisten Kirchen in Malawi erlauben heute traditionelle Tänze und Trommeln, denn wir haben entdeckt, dass natürlich nicht alles, was afrikanisch ist, auch schlecht ist. Diese Einstellung und Lehre der Missionare mussten wir erst überwinden.

MR: Ich war während deines Besuches erstaunt zu erfahren, dass in Malawi viel über deutsche Geschichte gelehrt wird. Wie war es für dich, an historischen Orten wie Erfurt, Eisenach und Wittenberg zu sein?

OM: Es war für mich die anschauliche Seite meines theoretischen Wissens. In der Schule müssen in Malawi alle Kinder lernen, wie Deutschland entstand, beispielsweise wie 1870/71 der Krieg zwischen Preußen und Frankreich verlief. In der zwölften Klasse muss man in Malawi Bescheid wissen über Bismarck und wie klug er gegenüber Frankreich agierte, um das Deutsche Reich zu gründen. Es war für mich beeindruckend, das Deutsche Museum in Berlin zu besuchen, die Statue von Kaiser Friedrich in Potsdam zu sehen oder das Augustinerkloster zu begehen, in dem Martin Luther gewesen ist. Das war für mich Geschichte zum Anfassen.

MR: Wie wurdest du als malawischer Partner der deutschen Baptisten behandelt, und was wäre dein Ideal von Partnerschaft?

OM: Ich habe es sehr genossen, und mein Aufenthalt war wunderbar. Ich wurde nicht als Malawier behandelt, sondern als Teil der deutschen baptistischen Familie. Ich hatte erwartet, dass ich nur am Theologischen Seminar lehre, aber ich habe regionale Pastorentreffen besucht, war beim Bundesrat in Kassel und mit Dir zusammen bei der Missionskonferenz der Europäischen Baptistischen Mission in Wien. In Wien war ich ein Gast „aus Deutschland“ – genial! Die Gemeindebesuche waren für mich ein großes Erlebnis. Es war für mich bereits ideale Partnerschaft, nämlich auf Augenhöhe.

MR: Vielen Dank für das Gespräch!

Owen Mkandawire unterrichtet am Theologischen Seminar der Baptist Convention of Malawi Kirchengeschichte und Mission. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Der Vorschlag, einen Gastlehrer nach Elstal zu senden, kam vom malawischen Partner beim Besuch einer deutschen Delegation  im August 2012. Durch seine Lehre im Sommersemester 2013 hat Mkandawire den Dozenten für Missiologie, Michael Kißkalt, vertreten, der ein Forschungssemester hatte. Der dreimonatige Aufenthalt wurde aus Mitteln des Theologischen Seminars Elstal und des Malawifonds des BEFG finanziert. Der BEFG und das Theologische Seminar Elstal sind dankbar für die Gastfreundschaft aller Gemeinden, in denen Owen Mkandawire zu Besuch war, und für die finanzielle Unterstützung aller Gemeinden und Privatpersonen, die die Partnerschaft fördern.  

Ein Artikel von Dr. Michael Rohde