Kompetenz durch Scheitern

Seminartag des Diakoniewerks der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden in Baden-Württemberg

„Menschen im Scheitern zu begleiten“ sei eine wichtige seelsorgerische und diakonische Aufgabe, sagte Pastor i.R. und Diplom-Psychologe Olaf Kormannshaus am 14. Oktober in der Evangelisch-Freikirchlichen Begegnungskirche in Esslingen. Doch dies falle Gemeinden „fast immer bei Scheidungskrisen schwer“, dabei „ist Gott im Scheitern und hilft hindurch“, betonte Kormannshaus mit Blick auf viele biblische Personen wie Moses, David, Elia oder auch Petrus vor knapp 30 Teilnehmern beim Seminartag „Kompetent durch Scheitern“ des Diakoniewerks der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden in Baden-Württemberg.

Scheitern sei oft noch „extrem schambesetzt“ und galt nach dem amerikanischen Soziologen Richard Sennet lange als „großes Tabu der Moderne“. Dies habe, so Kormannshaus, auch immer wieder dazu geführt, dass viele Menschen nicht mehr in eine Gemeinde kämen. Dabei scheitere jeder Mensch bzw. bleibe hinter dem zurück, was er wolle. Diesen Konflikt habe schon der Apostel Paulus in Römer 7 beschrieben.

Nach der Definition des Kulturhistorikers Stefan Zahlmann sei Scheitern „die wahrgenommene Differenz zum gelungenen Leben“. Gerade in einer Erfolgsgesellschaft habe „das Risiko des Scheiterns zugenommen“, doch Erfolg könne keinem garantiert werden. Allerdings sei Scheitern immer verbunden mit einem „Gefühl von Verlust“. Es habe, anders als beim Trauerprozess, meist „keinen Ort“, führte Kormannshaus weiter aus. In einem Beratungsprozess könnten Erfahrungen aufgearbeitet und bisherige Bewertungen oder Ideale gemeinsam überdacht werden.

Menschen könnten auch unverschuldet scheitern, etwa durch einen Unfall oder wenn der bisherige Arbeitgeber Insolvenz anmeldet und jemand hinterher keinen neuen Job findet. Jedoch könnten sich auch neue Wege und Möglichkeiten entwickeln. Diplom-Psychologe Kormannshaus, der auch als Supervisor (EKFuL) tätig ist, nannte den französischen Maler Henri Matisse als Beispiel. Nachdem er durch den Rollstuhl nicht mehr malen konnte, erfand er für die Kunst den Scherenschnitt.

Allerdings erfolge ein Reifungsprozess aus dem Scheitern nicht automatisch. Dazu gehöre zunächst die Erfahrung tiefen Schmerzes und tiefer Verzweiflung, die nicht einfach übersprungen werden könnten. Glaubende dürften sich auch im Scheitern von Gott angenommen wissen. Der Glaube befreie vom Zwang, dass alles gelingen müsse. Laut einer US-Studie helfe er, Scheitern besser zu bewältigen. Auch deshalb sei es für die Diakonie „eine geistliche Aufgabe par excellence, Anwalt der Gescheiterten zu sein“, sagte Kormannshaus am Ende seiner Vorträge.

Ein Artikel von Holger Gohla