Wie Wandlungsfähig sind Konfessionen?

Vom 24. - 26. November 2011 fand das 4. Theologische Symposium des Theologischen Seminars Elstal (FH) statt.

Zur Frage „Wie wandlungsfähig sind Konfessionen?“ führte das Theologische Seminar Elstal (FH) Mitte November 2011 ein interdisziplinäres und interkonfessionelles wissenschaftliches Symposium durch. Die über 50 Teilnehmer setzten sich aus Pastorinnen und Pastoren, theologisch interessierten Gemeindegliedern und Theologiestudierenden aus ganz Deutschland zusammen. An die Vorträge schlossen sich jeweils ausführliche und lebhafte Ausspracherunden an, bei denen die Referenten auch untereinander ins Gespräch kamen.

Das Thema des Symposiums steht im Kontext sowohl gesellschaftlicher Veränderungen als auch ökumenischer Verständigungsprozesse. Zu den Zeichen der modernen Gesellschaft gehört der permanente Wandel, durch den unmittelbar alle Kirchen und Gemeinden betroffen sind. Die Kirchen in der Moderne stehen immer wieder vor der Herausforderung, ihre Aufgabe und Rolle neu zu definieren und eine entsprechende Glaubenspraxis theologisch zu reflektieren. Auch im ökumenischen Miteinander stehen die Kirchen vor ähnlichen Problemen: Nachdem in den letzten Jahrzehnten des ökumenischen Aufbruchs viele Gemeinsamkeiten und verbindende Elemente zwischen den Konfessionen herausgearbeitet werden konnten, sind die ökumenischen Gespräche mittlerweile an Themen und Bereiche gestoßen, bei denen sich die Frage stellt, wie sich konfessionelle Identität und notwendiger Wandel zueinander verhalten. Wenn es um mehr als nur wechselseitige Verständigung und gutes Miteinander der Konfessionen gehen soll, braucht der ökumenische Dialog Konfessionen, die sich auch inhaltlich theologisch aufeinander zu bewegen.

Aus dieser Situation heraus stellen sich allen Kirchen die Fragen: Wie und unter welchen Voraussetzungen sind tiefgehende Wandlungsprozesse möglich, und wo liegen die Grenzen der Wandlungsfähigkeit von Konfessionen?

 

Neben Prof. Dr. Ralf Dziewas, Dozent Michael Kißkalt und Prof. Dr. Michael Rohde aus Elstal sprachen der Lutheraner Prof. Dr. Eilert Herms (zuletzt an der Universität Tübingen), der Katholik Prof. Dr. Ralf Miggelbrink (Universität Essen), der Methodist Prof. Dr. Michael Nausner (Theologische Hochschule Reutlingen) und der baptistische Journalist und Öffentlichkeitsreferent Dr. William Yoder (Moskau).

Der Elstaler Alttestamentler Michael Rohde referierte über die Krise der Religion Israels in exilischer Zeit als Chance der Erneuerung. Für ihn sind die religiösen Überzeugungen Israels, die mit Tempel, König und Land verbunden waren, durch das babylonische Exil in eine produktive Krise geraten, die durch reflektierenden und dynamischen Umgang mit Vergangenheit und Gegenwart bewältigt wurde und Zukunft ermöglichte. Der emeritierte Tübinger Systematiker Eilert Herms hatte die Frage zu beantworten: „Wie wandlungsfähig ist eine an Bekenntnisschriften gebundene evangelische Kirche?“ Er verwies darauf, dass die lutherischen Bekenntnisschriften keine Glaubensnormen sind, sondern eine Ordnungsfunktion haben; sie sollen sicherstellen, dass die berufenen Verkündiger der Kirche in ihrer Lehre sich an den altkirchlichen Kanon (zweiteiliger Bibelkanon und Glaubensbekenntnis) halten. Der Essener Systematiker Ralf Miggelbrink erörterte die Frage, ob das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) einen Paradigmenwechsel zur Moderne oder nur ein Intermezzo darstellte. Seine Entscheidung fiel eindeutig für den Paradigmenwechsel aus, wobei er zugleich darauf hinwies, dass nach römisch-katholischem Verständnis in der Kirche keine vollkommen neuen Erkenntnisse vertreten werden können, sondern nur Entfaltungen dessen, was schon immer, überall und von allen geglaubt wurde, für die Herausforderungen der Gegenwart.

Die anderen Vorträge befassten sich mit der konfessionellen Wandlungsfähigkeit speziell bei den Freikirchen. Der Elstaler Diakoniker und Sozialtheologe Ralf Dziewas stellte sich der Frage, ob kongregationalistische Freikirchen zu konfessioneller Verbindlichkeit und Wandlungsfähigkeit im ökumenischen Gespräch fähig sind. Kongregationalistische Freikirchen sind für ihn soziologisch gesehen Gemeinschaften andauernder Diskussionen um alle strittigen Fragen, weil sowohl Freiheit und Freiwilligkeit als auch das Streben nach Einmütigkeit zu ihren identitätsstiftenden Prinzipien gehören. Wandlungsprozesse im Kontext des ökumenischen Dialogs ereigneten sich bei ihnen nur, wenn sie auf positiven Erfahrungen mit Angehörigen anderer Kirchen gegründet sind. Verbindlichkeit im ökumenischen Gespräch sei grundsätzlich möglich, stehe aber unter dem Vorbehalt, dass bereits Erreichtes auch wieder in Frage gestellt werden könne. William Yoder, der bei der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten und bei der Russischen Evangelischen Allianz in Moskau als Öffentlichkeitsreferent tätig ist, schilderte die Wandlung konfessioneller Identitäten der Freikirchen in Russland innerhalb der letzten 20 Jahre.

Über den Wandel ethischer Orientierung der weltweiten Evangelisch-methodistischen Kirche am Anfang des 21. Jahrhunderts informierte der Reutlinger Systematiker Michael Nausner die Teilnehmer. Er stellte besonders heraus, das Kriterium für eine ethisch verantwortbare Wandlungsfähigkeit der christlichen Kirche sei die Teilhabe am gottgewirkten Veränderungsprozess der Schöpfung. Über konfessionelle Alterierungsprozesse „in der Fremde“ am Beispiel afrikanischer Migrationsgemeinden in Deutschland referierte abschließend der Elstaler Missiologe Michael Kißkalt, der zugleich Leiter der internationalen Mission in Deutschland des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden ist. Wenn sich Migrationsgemeinden der neuen Heimatkultur öffnen, unterstrich er, wandelt sich auch ihre konfessionelle Ausprägung. Eine besondere Dynamik erhalte dieser Alterierungsprozess durch die pentekostal-charismatische Prägung vieler Migrationsgemeinden.

Das Wissenschaftliche Symposium über die Wandlungsfähigkeit von Konfessionen war bereits das vierte dieser Art am Theologischen Seminar Elstal. Themen der bisherigen Symposien waren der Monotheismus als theologisches und politisches Problem, der Historische Jesus im Spannungsfeld von Glaube und Geschichte sowie die Bedeutung diakonischen Handelns für die Glaubwürdigkeit der Glaubenden. Die Beiträge dieser Symposien sind sämtlich in Buchform erschienen. Auch für das aktuelle Symposium ist eine entsprechende Veröffentlichung geplant.

Ein Artikel von Prof. Dr. Uwe Swarat