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Die Aufrichtung der Gottesherrschaft
Gottes Offenbarung in Jesus Christus
Schon die Überschrift dieses Artikels lässt aufhorchen: „Kann es sein, dass Gott sich nur in Jesus Christus offenbart?“ Die drei so genannten abrahamitischen Religionen werden auch deshalb Offenbarungsreligionen genannt, weil sie sich in ihren Grundlagen und Heiligen Schriften auf eine Offenbarung Gottes berufen.
Das einzigartige Unterscheidungsmerkmal des christlichen Glaubens im Unterschied zu Judentum und Islam wird in der „Rechenschaft vom Glauben“ (RvG) gleich im ersten Satz markiert. „Gott hat sich in seinem Sohn Jesus Christus offenbart und seine Herrschaft zum Heil der Menschen aufgerichtet.“
Damit ist im Prinzip schon alles gesagt. Und es werden sofort viele Fragen ausgelöst. Ist mit der Herrschaft Gottes auch ein Herrschaftsanspruch des Christentums verbunden, der abzulehnen sei? In diesem Sinne interpretieren Kritiker die Inschrift auf der restaurierten Kuppel des Humboldt-Forums in Berlin („…es ist in keinem andern Heil … und alle Knie werden sich beugen…“) Rechtfertigt die Herrschaft Gottes auch Gewalt, wie die Geschichte des Christentums leider auch in vielfältiger Weise gezeigt hat?
Aussagen und Duktus der RvG zeigen, dass diese Gottesherrschaft in Christus, die „mit seinen Worten und Taten“ angebrochen ist, eine ganz andere ist.
Grundlegendes
Der erste Abschnitt des ersten Artikels führt sofort ins Zentrum unseres Glaubens. Er fällt quasi mit der Tür ins Haus, ohne lange Anmarschwege zu gehen. Er fragt nicht zunächst, ob und wie man überhaupt etwas erkennen kann (Erkenntnistheorie) oder wie man Gott erkennen und was man von ihm wissen kann (Lehre von der Offenbarung), sondern setzt direkt mit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus ein. Das ist erstaunlich, weil Gott sich ja nicht erst in Christus offenbart hat, sondern auf vielfältige Weise schon vorher. Die angeführte Bibelstelle am Rand Hebr 1,1ff. belegt es, ohne dass der Text näher darauf eingeht: „Viele Male (oder: Nach und nach sich offenbarend) und auf verschiedenste Weise sprach Gott in der Vergangenheit durch die Propheten zu unseren Vorfahren. Jetzt aber, am Ende der Zeit, hat er durch seinen eigenen Sohn zu uns gesprochen“ (NGÜ).
Offenbarung setzt die Verborgenheit Gottes voraus! Zwar kann der natürliche Mensch in der Schöpfung erkennen, dass es Gott geben muss – „sein unsichtbares ⟨Wesen⟩, sowohl seine ewige Kraft als auch seine Göttlichkeit“ (Röm 1,19 ELB), nicht aber wer dieser Gott ist, sein Wesen, seinen Charakter, seinen Willen (spezielle Offenbarung).
Auch die Gottesherrschaft wird schon im AT mannigfach bezeugt, wenn auch der Begriff Königsherrschaft Gottes im AT nur selten vorkommt (z.B. Ps 145,11-13; 1Chr 28,5).
Aber die unüberbietbare Fülle der Offenbarung geschieht erst in Christus. Er ist das letzte Wort Gottes. Und auch die Gottesherrschaft wird erst in Christus vollendet.
Das wird im ersten Artikel der RvG ausgeführt, indem a) Leben, b) Werk und c) Stellung Jesu Christi als Erhöhter beschrieben werden.
Einzelne Aussagen
Im zweiten Absatz werden Leben und Botschaft Jesu beschrieben. Jesus von Nazareth hat „Gott den Menschen und die Menschen Gott nahe gebracht“. Durch seine vollmächtigen Predigten kehrten Menschen um zu Gott, erlebten Vergebung ihrer Schuld, Befreiung aus „gottlosen Bindungen“ sowie Annahme und Tischgemeinschaft. „Mit seinen Wundern und Taten brach die Gottesherrschaft an.“ Eindrücklich sagt Jesus selbst, dass „das Reich Gottes gekommen ist“, wenn er „durch den Geist Gottes die Dämonen austreibt“ (Mt 12,28). Seine Herrschaft über destruktive Mächte wird darin manifestiert.
Der dritte Absatz bezeichnet „das Werk Jesu, der auf die Erde kam, um die Werke des Teufels zu zerstören (1Joh 3,8)“. Hier wird selbstverständlich vom Teufel gesprochen, ohne näher auf die Problematik des Bösen einzugehen.
Jesu Kreuzestod wird als „stellvertretender Tod für die Schuld der Menschheit aller Zeiten“ bezeichnet. Menschen haben mit der Deutung des Todes Jesu als stellvertretendes Sühnopfer schon immer – und heute wieder besonders – ihre Probleme. Zu viele unserer Kultur und unserem Denken fremde Begriffe, Bilder und Deutungen von Vergebung / Sühne / Versöhnung stellen sich als Hindernis für einen liebenden Gott in den Weg, der scheinbar ein Opfer braucht, um Versöhnung zu wirken. Der Text problematisiert das nicht. Er betont stattdessen, dass sich „in Jesu stellvertretendem Tod Gott für uns erschlossen hat als der, der Liebe ist“. Damit nimmt er unausgesprochen Jesu Selbstaussage auf, der sein Wirken als Hingabe für andere bezeichnet (Mk 10,45) und bei der Einsetzung des Abendmahls sein Sterben als Akt der Stellvertretung „für die vielen“ versteht (Mk 14,24). Und auch die paulinischen Aussagen zum Tod Jesu als Sühne oder Sühneopfer (Röm 3,25f; 5,6.8; Gal 3,13 u.a.) sowie die Aussagen des Hebräerbriefs führten dazu, dass das Zeugnis von dem stellvertretenden Sühnetod Jesu die am weitesten verbreitete wurde.
Im vierten Absatz wird „Jesu Auferweckung von den Toten“ als Inkraftsetzung des Versöhnungswerkes bezeichnet und gleichzeitig die Erhebung Christi zum Herrn bekannt, mit der „das Ende der Weltzeit begonnen“ hat und die wiederum der Grund für die Hoffnung der Glaubenden ist. Die sogenanne „Endzeit“ hat bereits mit der Auferstehung Jesu Christi von den Toten begonnen.
Der fünfte Abschnitt geht auf die Stellung des erhöhten Christus ein. „Als der Auferstandene ist Jesus zur Herrlichkeit des Vaters erhöht…“ Er ist „Herr über seine Gemeinde und … über die ganze Welt solange, bis er als „Weltvollender kommt“. Mehr wird nicht gesagt.
Nach neutestamentlichem Zeugnis bedeutet die Erhöhung Christi die Einsetzung „als Gottessohn in Kraft“ (Röm 1,4). Das wurde mit Worten aus Psalm 2,7 als Inthronisation (Hebr 1,5) verstanden und mit Ps 110,1 als Sitzen zur Rechten Gottes ausgelegt (Apg 2,33; 5,31; Röm 8,34; Eph 1,20 u.a.). Die Vollmacht Gottes wird auf den Messias übertragen (vgl. Mt 28,18), auch die des Richters (Joh 5,22; vgl. RvG S. 35). In dieser Funktion ist Jesus der Herr über Lebende und Tote (Röm 14,7-9), bis er „als Weltvollender“ wiederkommen wird in „großer Macht und Herrlichkeit“ (Mk 13,26).
„Christi Herrschaft wird von seiner Gemeinde geglaubt und verkündigt…“ Man kann die Herrschaft Christi auch „nur“ glauben sowie glaubwürdig verkünden und leben, weil sie von anderer Art ist als diejenige „der Herrscher dieser Welt“ mit Gewalt und Unterdrückung.
Die Unterscheidung der Herrschaft Christi in eine geistliche und eine sichtbare, „wenn er als Weltvollender kommt“ klingt hier an, ohne sie an dieser Stelle detailliert zu beschreiben.
Der letzte Absatz beschreibt die Konsequenzen, die sich aus „Gottes Heilswerk in Christus“ ergeben – nämlich Wort und Dienst der Versöhnung sowie die Identität der Gemeinde als „Zeichen der neuen Welt Gottes“. Als Zentralbeleg wird 2. Kor 5,17-21 angeführt, eine grundlegende und global umfassende theologische Aussage des paulinischen Evangeliums, das Kern und Auswirkung des Heils- und Versöhnungshandelns Gottes zusammenfasst.
Einladung zum Weiterdenken
1. Warum ist die Offenbarung Gottes in Jesus Christus im Kontext anderer Offenbarungsreligionen als Alleinstellungsmerkmal zu betonen?
2. Wie kann man den Stellvertretenden Tod Jesu heute in seiner Bedeutung erklären?
3. Warum ist die Auferweckung Jesu als Erhöhung Christi wichtig?
4. Wodurch wird die Gemeinde zum Zeichen der neuen Welt Gottes?
Erschienen in: Die Gemeinde 03/2022, S. 16-17.
Ein Artikel von Horst Afflerbach, Pastor i.R, leitete bis zu seinem Ruhestand 2018 die Biblisch-Theologische Akademie Wiedenest
Kommentare (1)
Warmbt, Volker
am 09.03.2022