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Von Hoffnung, Frust und langem Atem

Ein Jahr nach der Flutkatastrophe: Was die Menschen bewegt

Ein Jahr ist es her, seit Unmengen von Regen in den verschiedenen Gegenden Deutschlands und anderer Länder dafür gesorgt haben, dass kleine Bäche zu großen Flüssen wurden, die über die Ufer traten und verheerende Überschwemmungen verursachten. Ein Jahr nach der Flut fällt die Bestandaufnahme recht unterschiedlich aus. Auch Gemeinden und Einzelpersonen des BEFG waren und sind betroffen. Die Fluthilfe des BEFG hat von Anfang an geholfen. Insgesamt wird deutlich: Es ist ein langer Atem nötig.

„Ehrlich gesagt bin ich ein wenig in Sorge, wenn ich an den bevorstehenden Jahrestag der Flutkatastrophe denke“, sagt Ralf Beyer, gemeinsamer Fluthilfekoordinator vom Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) und vom Bund Freier evangelischer Gemeinden (Bund FeG). „Bei vielen Menschen wird da einiges wieder hochkommen von den traumatischen Ereignissen, die sie vor einem Jahr erlebt haben.“ Leider seien viele Menschen in den betroffenen Gebieten sehr frustriert und enttäuscht, weil der Wiederaufbau so schleppend vorangehe und sie sich von offizieller Seite in ihrer Not alleingelassen fühlten, gibt er zu bedenken. Er und sein Netzwerk von Helferinnen und Helfern werden aber – wie bereits in den vergangenen zwölf Monaten – vor Ort und für die Menschen da sein. 12.000 bis 18.000 Personentage haben sie im vergangenen Jahr an Hilfseinsätzen organisiert, schätzt Beyer. Dies sei von den Leuten vor Ort sehr bewusst wahrgenommen und wertgeschätzt worden. So schrieb ihm unlängst eine Familie: „Ohne euch hätten wir oft sehr gefroren und auch Hunger gehabt. Ihr wart monatelang unser Anker, hattet stets Kaffee und Kuchen und vor allem ein offenes Ohr für uns.“

Auch ein Jahr nach der Flut ist noch viel zu tun

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Das Inventar einer zerstörten Zahnarztpraxis

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Baurbeiter in Bad Münstereifel

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Dass nach Schlamm schaufeln und Schutt wegstemmen mehr und mehr die Notwendigkeit der psychosozialen Hilfe in den Vordergrund rückt, stellt auch Udo Hermann, Mitglied der Bundesgeschäftsführung des BEFG, fest, der dem Lenkungsausschuss Fluthilfe von BEFG und Bund FeG angehört: „Diese lange Zeit, in der in manchen Gebieten noch nichts vorangeht, ist sehr belastend für die Leute. Deshalb vermitteln wir schon seit einiger Zeit Therapeutinnen und Seelsorger, um die Menschen in der Aufarbeitung der Geschehnisse zu begleiten.“

Jens Mankel, Seelsorgereferent in beiden freikirchlichen Bünden, koordiniert die Vermittlung von Seelsorge, Beratung, Therapie, Supervision und Schulung für die Betroffenen und Helfenden in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Über seine Vermittlung fand auch ein Traumaseminar in der EFG Hagen statt, die durch die Flut so große Schäden erlitten hat, dass eine Totalsanierung nötig ist. Pastor Ronald Hentschel zeigt sich begeistert: „Dieses Seminar war fantastisch. Es ist sehr gut in unserer Gemeinde angenommen worden.“ Kurz nachdem die Wassermassen die Kirche überflutet hatten, sei man noch davon ausgegangen, dass nur das Gebäude zerstört sei. Doch auch Privatpersonen waren betroffen. Gerade in diesem Zusammenhang sei es sehr hilfreich gewesen, dass durch den Fluthilfefonds des BEFG und des Bundes FeG sehr kurzfristig und unbürokratisch geholfen werden konnte. Die Bewilligung finanzieller Mittel durch offizielle Stellen dauert sehr lange, das hat auch die Gemeinde in Hagen feststellen müssen: „Die Vorplanung lief super“, so Hentschel, „aber seitdem brauchen wir viel, viel Geduld.“ Dennoch blicke man hoffnungsvoll in die Zukunft. „Wir haben diesen Einschnitt genutzt und den Wiederaufbau so geplant, dass wir uns nach Abschluss der Bauarbeiten energetisch auf der Höhe der Zeit befinden mit einer Heizungsanlage mit Wärmepumpe und allem, was dazu gehört.

Die kleine Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde in Wuppertal-Barmen „Köbners Kirche“ muss auch noch warten. Das Untergeschoss des Gemeindehauses, das Wasserschäden erlitten hatte, konnte zwar trockengelegt werden, weiter ist aber noch nichts geschehen. „Wir müssen erst einmal eine Lösung finden, dass so etwas nicht wieder passiert, bevor wir renovieren und neues Mobiliar anschaffen“, sagt Ute Hoffmann von „Köbners Kirche“. Das denkmalgeschützte Gebäude war bereits vom letzten Hochwasser 2018 betroffen. 2019 hatte der der Sturm „Friederike“ Teile des Kirchendachs zerstört. Mit der Flut 2021 wurde die Gemeinde also in kürzester Zeit wiederholt gebeutelt. Mit 50.000 Euro aus der Fluthilfe konnte zunächst Soforthilfe geleistet werden. Ein Gutachten für künftige Schutzmaßnahmen ist mittlerweile erstellt, Ideen gibt es auch, nur die Finanzierung ist noch völlig unklar. Der Gottesdienstraum ist glücklicherweise verschont geblieben.

Mittlerweile wieder trockengelegt

Im Café de Gemeinde stand alles unter Wasser

Ein neues Klavier wurde noch nicht wieder angeschafft

Das war in der EFG Dormagen nicht der Fall. Dort musste die Gemeinde in den vergangenen Monaten ihre Gottesdienste im Schützenhaus oder in der Kulturhalle feiern. Sie hat auch das Konzept der Hauskirche ausprobiert: Mehrere kleinere Gruppen von Gottesdienstbesuchern und -besucherinnen feierten in Privatwohnungen. „Aber wir haben gemerkt: Die Leute haben große Sehnsucht nach einem zentralen Gebäude, einem festen Treffpunkt – wo man auch mal Dinge planen kann und nicht nur von Woche zu Woche lebt“, sagt Gemeindepastor Roger Bahr. Auch hier müsse man überlegen, wie man sich langfristig schützt. „Als neulich Starkregen angesagt war, haben wir kurzerhand Sandsäcke vor die Tür gelegt, aber das ist ja auch keine Lösung auf Dauer“, so Bahr. Dennoch ist die Kirche soweit wiederhergestellt, dass die Gemeinde hofft, am 14. August Einweihungsgottesdienst feiern zu können. Roger Bahr, für den das gleichzeitig auch ein Abschiedsgottesdienst ist, ist dafür sehr dankbar: „Uns bekannte Privatleute waren Gott sei Dank nicht betroffen und bei unserem Gemeindeleben im Provisorium haben alle immer toll mit angepackt.“ Auch diese Gemeinde konnte auf das Wissen und das Netzwerk des Fluthilfekoordinators Ralf Beyer zurückgreifen.

Sandsäcke vor der Tür

Ende Juli will die Gemeinde in das sanierte Gebäude einziehen

Im August soll Gottesdienst gefeiert werden

Gut 1,6 Millionen Euro an Spendengeldern sind beim BEFG eingegangen. Rund 600.000 Euro wurden davon bislang eingesetzt – im Wesentlichen zur Unterstützung von betroffenen Privatpersonen und Gemeinden. Es wurden davon aber in der Region tätige Hilfsorganisationen und ihre konkreten Angebote mitfinanziert. Ein größerer sechsstelliger Betrag ist zur Unterstützung der direkt betroffenen BEFG-Gemeinden zurückgestellt, um auf Abruf schnell zur Verfügung zu stehen.

Dass der Wiederaufbau von Region zu Region in sehr unterschiedlichem Tempo abläuft, beobachtet auch Ralf Beyer: „Es gibt Gegenden, da ist vieles schon neu und schöner als vorher, aber es gibt eben auch die Regionen, in denen es noch genauso aussieht wie vor einem Jahr, wo noch nicht mal klar ist, ob die Häuser abgerissen werden dürfen oder nicht.“ Besonders schlimm sei es in der kalten Jahreszeit gewesen, wenn Menschen noch in Wohnungen mit kaputten Scheiben leben mussten und kaum ein Fenster erleuchtet war. Jemand sagte dazu: „Es sieht aus, als schaue man in lauter dunkle Löcher.“ Um in diese Dunkelheit Licht zu bringen, werden Beyer und viele weitere Helferinnen und Helfer auch nach dem Jahrestag weiterhin präsent sein, um die Sorgen der Menschen zu teilen und zu helfen. Und dann gibt es auch Rückmeldungen, die Zuversicht vermitteln und Hoffnung schenken: „Ich finde es so bemerkenswert, wie feinfühlig ihr immer wieder an all Eure Mitmenschen denkt. Und wie sensibel ihr mit den Herausforderungen umgeht und sie meistert! Ihr seid so groß! Das größte Flut-Geschenk! Danke!“

Ein Artikel von Julia Grundmann